Gubaidulina – Streichquartette
Seit dem 18. Jahrhundert sind zwei Gattungen die Visitenkarte eines jeden Komponisten: die Sinfonie und das Streichquartett. Während die Sinfonie nach 1945 sich auf den kompositorischen Rückzug begeben hat, entwickelte sich das Streichquartett zur avantgardistischen Vorzeigegattung. Egal, ob dekonstruierend experimentell wie bei Helmut Lachenmann oder eher an traditionellen Formen orientiert wie bei Wolfgang Rihm, die Gattung ist sowohl auf Festivals als auch auf dem Tonträgermarkt präsent. Zu verdanken ist dies auch einem Ensemble wie dem Arditti Quartett, das unzählige Uraufführungen und Ersteinspielungen initiiert hat. Im Schatten der Ardittis haben sich in den letzten Jahren neue Quartettvereinigungen etabliert, die die Fackel des Gewagten und Neuen weitertragen. Das Quatuor Molinari gehört unzweifelhaft dazu und hat nach der Gesamteinspielung der Streichquartette Alfred Schnittkes nun das gesamte Werk Sofia Gubaidulinas eingespielt. Anders als Schnittke, der in seinem postmodernen Zugriff in der Musiktradition wildert, zeigt Gubaidulina ihren eigenen, beinahe schon hermetischen Klangkosmos von stiller Zurückhaltung einerseits und expressiver Zusammenballung andererseits. Das Spiel der Molinaris ist dabei immer durchhörbar austariert und in den innehaltenden Momenten wunderbar schwebend, dennoch könnte man sich die expressiven Ausbrüche der Musik noch ein wenig zupackender, risikobereiter vorstellen. Dennoch haben wir es hier mit einer äußerst verdienstvollen Gesamteinspielung zu tun, die nahelegt, den Einspielungen des Quartetts in Zukunft größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.