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Nothing But A Party
Nothing But A Party - Basin Street Records' New Orleans Mardi Gras Collection Basin Street Records, 2012

Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue

Der Professor hört heute: Annie Lennox, Dr. John, Playing for Change, Davell Crawford und eine besonders heilende Mardi-Gras-Compilation

Funkadelity: Prof. P.’s Rhythm and Funk Revue

Der Professor hört heute: Annie Lennox, Dr. John, Playing for Change, Davell Crawford und eine besonders heilende Mardi-Gras-Compilation

Vielleicht sollte man mit dem Herumhausieren von persönlichen Anekdoten und Anekdötchen eher sparsam umgehen, das verkünden zumindest verstaubte Vordenker des gepflegten Buchstabenaneinanderreihens, aber zum Glück ist das Eurem liebsten Rhythm-and-Funk-Analysten so egal wie ein altes Ikearegal. Von daher lasst mich berichten, geehrtes High-End-Publikum, dass Euer aller Professor dereinst als Pennäler beim Konsumieren der Populärmusikhitparade seine Briefmarken sortierte. Und es gibt zwei Lieder aus den Tiefen des neonpink leuchtenden zwanzigsten Jahrhunderts, die, so sie mir aus einem Autoradio oder anderen Oldieverbreitungsorganen entgegenwehen, mich sofort zurückbeamen an den gelb lackierten Arbeitstisch im Kinderzimmer, vor mir ein aufgeschlagenes Album mit bunten, gezahnten Papierschnipselchen aus aller Welt: „Do You Really Want To Hurt Me“ von Culture Club, sowie „Sweet Dreams (Are Made Of This)“ von den Eurythmics. Warum ich dies im weiten Rund des FIDELITY-Lesezirkels erzähle? Weil man sich immer zwei Mal hört im Leben. Erinnert Ihr Euch, dass ich an eben dieser Stelle vor zwei Monaten Screamin’ Jay Hawkins mit seinem gnadenlosen „I Put A Spell On You“ zitierte? Nun, das singt jetzt Annie Lennox. Glaubt Ihr nicht? Weiterlesen.

Annie Lennox
Annie Lennox – Nostalgia
Universal/Island, 2014

Doch, doch. Annie Lennox singt „I Put A Spell On You“. Das könnt Ihr mir, dem Wahrhaftigkeitsjünger des Highenduniversums, glauben. Es ist ein weiter, weiter Weg vom Dasein als Eurythmics-Frontfrau zur Interpretin jenes Mannes, der aus Erheiterung und Voodoo-Begeisterung bei jeder passender Gelegenheit ein klapperndes Skelett mit sich herumtrug. Screamin’ Annie aber wirft sich auf ihrem neuen Album Nostalgia mit einer guten Kehle voll Gospel hinein in diesen Song, der neunzig Prozent aller Coversongartisten, die das versuchen, unverdaut wieder ausspucken würde. Nicht Frau Lennox. Sie hat die Macht und die Magie, um diesem nahezu uncoverbaren Stück eine eigene Note zu verpassen. Dass kann der gute Professor vom Rest der Platte leider nicht sagen. Dem Great American Songbook habe sie sich gewidmet, sagt sie, all den klassischen Klassikern. „Summertime“zum Beispiel, puhh. Chrrr-zzzz-chrrr-zzzz… Äh, was ist? Ach ja, Text schreiben. „Summertime“. Einer der durchgekautesten Songs der Welt. Und Lennox klingt hier wie eine weitere Westentaschen-Streisand, die mit Pathos, aber ohne Power das Publikum in einer halbvollen Flughafenbar zu animieren versucht. So plätschert das Album vor sich hin … mit Ausnahme von zwei weiteren Songs. Ähre, wem Ähre gebührt, wie der Bauer sagt: Bei „Georgia On My Mind“ lässt sich Lennox auf ein atemraubendes artistisches Duett mit einer wabernden Hammondorgel ein. Und das letzte Stück der Platte, Duke Ellingtons „Mood Indigo“, mündet in einem grandiosen New-Orleans-Brassband-Finale – da hat sich der laaaaange Atem doch gelohnt.

Nothing But A Party
Nothing But A Party – Basin Street Records’ New Orleans Mardi Gras Collection
Basin Street Records, 2012

Allen Kiffern ohne kulturhistorische Grundausbildung sei gesagt: Nein, bei Mardi Gras handelt es sich nicht um eine bewusstseinsverbreiternde Kräutermischung vom lila Hausboot in der dritten Gracht von links. Mardi Gras, oder auch „fetter Dienstag“, das ist der Tag der Karnevalstage, das Elysium des Alltags, das Nirvana für alle Neurotiker, Nudisten und Nihilisten, schaut selbst im Lexikon unter „N“ nach, oder bei jedem anderen Buchstaben Eurer Wahl, liebe Alliterations-Agnostiker. Mardi Gras ist in der Weltmetropole des Untergangs, im Atlantis des Jazz und Funk und Blues und Zydeco, in der Stadt der feuerroten Flusskrebse, in New Orleans also, verehrte Hörakustikervereinigung, vor allem musikalisch eine Offenbarung. Da darf man all die herumfliegenden bunten Ketten und entblößten BH-Füllungen gerne vernachlässigen. Das in New Orleans – oder besser: N’Awlins – beheimatete Label Basin Street Records hat einen ganz und gar heißblütigen Mix der besten Südstaaten-Karneval-Songs zusammengestellt, das will und muss der Professor Euch auf die Ohrläppchen tätowieren – auch wenn die Veröffentlichung schon ein Jahr her ist. Kermit Ruffins bläst auf „Mardi Gras Day“ seine vor Erregung vibrierende Trompete, die verschwitze Bläser-Truppe der Rebirth Brass Band tanzt sich durch ein pumpendes „Let’s Go Get Em“, Jon Cleary and the Absolute Monster Gentlemen (wir verleihen hiermit den goldenen Joint für den besten Bandnamen des Jahres) drehen einem mit ihrem verschachtelten E-Piano-Funk „Just Kissed My Baby“ die Kniescheiben auf links … Leute, kauft das Ding.

Dr John
Dr. John – Ske-Dat-De-Dat. The Spirit Of Satch
Proper Records, 2014

Begrabt mein Herz an der Mündung des Mississippi, geneigte Voodoo-Freunde. Des Professors großer Guru, Dr. John, verneigt sich vor Louis Armstrong, und alle, die wir noch keine zu arg verrosteten Lendenwirbel im Kreuz haben, auch Sie dahinten auf dem Sofa, mein Herr, verneigen uns jetzt einmal ganz tief vor Dr. John. Ske-Dat-De-Dat, das ist schon im Titel eine Reminiszenz an Satchmos unvergleichliches Improvisations- und Intonationstalent. Der alte Südstaaten-Veteran Dr. John wirft sich in Begleitung vieler Mississippi-Mitstreiter in 13 Songs, die unter der Regie der Produzentin und früheren Ray-Charles- und Bootsie-Collins-Posaunistin Sarah Morrow zum besten Jazz-Funk 3.0 werden, den die Welt bis dato vernahm. Schon der Einstieg ins Album mit „Wonderful World“ unter Mithilfe der Blind Boys of Alabama sowie Trompeter Nicholas Payton zeigt, dass der alte Malcom John Rebennack Jr. – unter diesem Namen trat Dr. John vor 73 Jahren ein in die Schwüle von New Orleans – auch im gesetzten Alter frisch und munter ist wie ein junger Flusskrebs. Ein herrlicher Off-Beat, Bigband-Sound und ein freifliegendes Trompetensolo machen diesen abgehangenen Klassiker zu einem wahren Meisterwerk der Coverkunst. „Mack The Knife“ wird zum atemlosen Funk, „Tight Like That“ zur Afro-Cuban-Ballade mit Raggamuffin-Touch, und bei „World On A String“ umschmeicheln sich Dr. John und Bonnie Raitt derart, dass man sich fast als Voyeur fühlen mag. Höhepunkt ist ein heftig verfunkter Gospel mit kristallklar peppendem Piano: „Nowboy Knows The Trouble I’ve Seen“. Wo ist die Taste? Ah: Repeat!

Playing For Change
Playing For Change 3 – Songs Around The World
Playing For Change Records, 2009

Darf man Euch, Genossen des guten Gehörs, in Richtung Youtube schubsen? Wisst Ihr was? Der Professor nimmt sich als Audioautonomer und Funkfreigeist einfach die Freiheit: Schaut Euch das Video „Stand By Me“ des Musikprojekts Playing For Change an, knapp 70 Millionen Online-Fetischisten haben schon vor Euch klick gemacht. Die Idee ist so einfach wie gut: Ein paar Hobby-Produzenten reisen um die Welt, nehmen mit Straßenmusikern und lokalen Musikgrößen denselben Song auf und schneiden daraus am Ende ein Gesamtkunstwerk. Und das klingt, man muss es sagen, grandios. Auch auf der neuen, dritten Platte: 150 Musiker aus Israel, dem Kongo, den USA und einem Dutzend anderer Länder, Musiker, die sich größtenteils nie getroffen haben, spielen gemeinsam auf Songs Around The World ein paar Klassiker ein. Darunter der blinde Grandpa Elliott, der vor seiner Entdeckung als Youtube-Phänomen 60 Jahre lang seine Mundharmonika auf den Straßen des French Quarters in New Orleans blies. Und das alte Lavagestein Keith Richards, der jamaikanische Jazz-Gitarrist Ernest Ranglin und Reggae-Mann Toots Hibbert. Reggae ist überhaupt das Leitmotiv dieser dritten Playing For Change-Platte, deren Erlöse Schulprojekten in der Dritten Welt zugute kommen. Bob Marleys „Get Up Stand Up“ wird mit Soul verfeinert, im fetten Beat von „Reggae Got Soul“ versteckt sich ein feines, kleines Jazz-Gitarren-Solo – und „Down By The Riverside“ versetzt uns alle in irgendeine schwarze Baptisten-Kirche am Ufer des Ol’ Man River. Das belanglose „La Bamba“ überspringen wir einfach.

Davell Crawford
Davell Crawford – My Gift To You
Basin Street Records, 2013

Ein kleiner Geheimtipp aus Crescent City, dem mondsichelförmigen New Orleans. Pianist Davell Crawford veröffentlicht auf dem lokalen Label Basin Street Records, das in dieser meiner Rhythmus-Revue auch bei der Karnevals-Compilation die dringend nötige Beachtung findet. Der 39-jährige Mississippi-Musiker lässt es zwar arg langsam angehen auf My Gift To You, doch das mag für manch anstehenden Herbstdepressionstag und dunkle Winterstunden vor dem heimischen Audio-Altar genau das Richtige sein. Davell ist der Enkel des vor zwei Jahren verstorbenen New-Orleans-Posaunisten James „Sugar Boy“ Crawford, der in den Fünfzigern als Sugar Boy and his Cane Cutters beim legendären Label Chess Records veröffentlichte, dann aber nach einem Zusammenstoß mit der Polizei in den sechziger Jahren und daraus resultierenden Verletzungen nur noch äußerst selten auf der Bühne stand. Sein größter Hit war 1954 „Jock-A-Mo“, aus dem dann das wohl am meisten gecoverte Stück am Mississippi wurde, „Iko Iko“. Davell Crawford nun ist auch dank der Familienhistorie bestens vernetzt und lud sich aus New Orleans stammende Gastmusiker wie Dr. John, Hiphop-Bouncer Big Freedia, Blueshaudegen Walter Wolfman Washington und Jazz-Trompeter Donald Harrison ins Studio. Alle Stücke sind sanft und dezent funkyfunky arrangiert. „Creole Man“ verbindet Indianer-Chants mit Soul, „Junco Partner“ lässt das Piano perlen wie an einem klaren Wintermorgen – und der Blind-Faith-Klassiker „Can`t Find My Way Home“ schnurrt wie ein Kätzchen am Ofen.

 

 

 

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