Funkadelity – Prof. P.’s Rhythm and Funk Revue: Trombone Shorty, Galactic, The Iguanas und Gnarlemagne
Patienten der Intensivstation des Lebens! Der Geschlossenen des Alltags! Setzt es ab, das Morphium des Allerweltgedudels!
Tretet Eure Gehörgangtranquilizer in die Tonne, das verdammte Valium des guten Geschmacks, das uns das Hirn verklebt und das Trommelfell sediert! Tut dies und hört auf den Professor! Denn er hat Kunde. Kunde vom Funk, Kunde vom Soul. Nicht von der Pharrell-Williams-Happy-Ambulanz, nein, ich spreche vom Funk, meine Damen und Herren, vom Soul aus den Tiefen des Südens, wo es schwül ist und dreckig, wo die Fliegen an der Wand nach Luft japsen, wo die Flusskrebse Quickstep tanzen und die Sonne sich spiegelt in der frischpolierten Posaune der Liebe. Ich spreche von New Orleans, meine Freunde, vom melting pot der Magie, vom Manifest des Lebens. Von der Stadt die unterging, vom Atlantis des Funk, des Soul, des Jazz, des Blues … Hier vibriert er noch immer, der Pulsschlag der Erde, aus der all das erwuchs, was den Planeten in der Balance hält.
Nehmen wir also Troy Andrews, ein Kind der Stadt, das schon mit vier Jahren statt mit Playstation oder Matchbox-Autos mit der Posaune des Bruders spielte. Sie war ihm zu groß, er war zu klein, doch wie in jeder guten Beziehung spielte Größe keine Rolle. Sein Großvater, eine Legende an der Mündung des Mississippi: Jessie Hill, dem New Orleans die Rhythm-and-Blues-Hymne „Ooh Poo Pah Doo“ verdankt. Enkel Troy rockte dann im Kindergartenalter mit Bo Diddley, mit den Neville Brothers, mit dem Voodoo-Meister Dr. John. Damals, in den Tiefen der neunziger Jahre eines längst vergangenen Jahrhunderts, erarbeitete er sich seinen Künstlernamen: Trombone Shorty. Heute tourt er, mittlerweile 28 Jahre alt, um die Welt, posaunt seine Weisheit beim Karneval in Brasilien ebenso wie im weißen Haus an der Seite von B.B. King, Mick Jagger und Jamming-Partner Barack Obama hinaus.
Vergangenes Jahr durfte Trombone Shorty erstmals als Headliner das New Orleans Jazz & Heritage Festival beschließen – eine Ehre, die all die Jahre zuvor den Funk- und Soul-Veteranen der Neville Brothers vorbehalten war. Downbeat wählte ihn jüngst zum besten Jazzposaunisten, in der HBO-Serie „Treme“ über das Post-Hurrikan-New Orleans hat der Mann am Mundstück mehr als einen sehens- und vor allem hörenswerten Auftritt. Und zum Jahresausklang 2013 servierte Trombone Shorty seine mittlerweile dritte Platte auf dem ehrwürdigen Verve-Label, das schon Ella Fitzgerald, Roy Eldrige und The Velvet Underground ein Zuhause war.
Say That To Say This ist genau das, was jeden Sonntag auf jedem Herd in den Schwarzenvierteln von N’Awlins brodelt, vor allem natürlich im Stadtteil Treme, wo einst auf dem Congo Square die Sklaven aus Afrika musizierten und den Jazz erfanden – und wo auch Trombone Shorty groß wurde: ein Gumbo, ein Eintopf mit all jenen Zutaten, die so nur in New Orleans zusammengeworfen werden. Fisch, Fleisch, Hühnchen, Wurst, Flusskrebse, Okra-Schoten, Bohnen und literweise Tabasco – so schmeckt New Orleans. Und so klingt Trombone Shorty, wenn er sich mit seiner Band Orleans Revue ins Studio oder auf die Bühne begibt: Da trifft Funk auf Rock, Jazz auf Soul, Gospel auf Calypso. „Say that to say this“, das ist New-Orleans-Slang für „ums kurz zu machen“, „auf den Punkt kommen“. Und das tut Shorty. Er vermengt die tausend Stilrichtungen seiner Heimatstadt zu einem knallharten Fusion-Mix. Hier brüllen im Titelsong 70er-Jahre-Gitarren, die Bläser-Sektion rund um Shorty schreit um Hilfe. In „Get The Picture“ hämmern die Drums einen verschachtelten Südstaaten-Offbeat, während Trombone Shorty, losgelöst vom Instrument, in bester Maceo-Parker-Manier immer wieder eine Zeile singt: „I play the funk, say what, I play the funk“. Dann plötzlich „Be My Lady“, der Balladen-Klassiker der New-Orleans-Funk-Altmeister The Meters. Und wer spielt hier erstmals seit 1977 wieder in Originalbesetzung zusammen? Die Meters mit Art Neville an den Keyboards, Gitarrist Leo Nocentelli, Bassist Georg Porter Jr., Schlagzeuger Joseph Modeliste und dem erst später zur wohl fettesten Funk-Formation außerhalb des James-Brown- und George-Clinton-Universums dazugestoßenen Perkussionisten Cyrill Neville.
Beim historisch legitimierten Legenden-Schnulz – Barry White lässt grüßen – bleibt man nicht: Kurz darauf folgt mit „Fire And Brimstone“ ein schwerst schleppender Groove, dessen balladeske Züge im Posaunengewitter untergehen. Am Ende des Albums leuchtet in „Shortyville“ ein Regenbogen über der Stadt: In der New Orleans’ Second-Line Tradition – der legendären Beerdigungszeremonien mit fideler Bläsersektion hinterm Sarg – treibt ein Funk-Beat Posaune und Trompete vor sich her, bis alle erschöpft ins Sofa fallen. Produziert wurde die Platte übrigens von Raphael Saadiq, der bereits Joss Stone, The Roots und TLC betreute. Das ist vielleicht der einzige Nachteil von Say That To Tay This, bisweilen fehlt einigen Stücken der Dreck und die Schwüle, die New Orleans auszeichnen. „Dream On“ oder „Long Weekend“ klingen ein wenig wie von der R’n’B-Resterampe, da wurde ganz offensichtlich auf Charterfolge geschielt. Das war beim Verve-Debüt Backatown sowie dem Folge-Album For True noch anders. Da sorgte Ben Ellman, Saxophonist und Mastermind der ebenfalls aus New Orleans stammenden Funkband Galactic, für die rundum perfekte Mississippi-Delta-Mischung.
Wenden wir uns also aus gegebenem Anlass Galactic zu. Wer wissen will, wie man innerhalb von 20 Jahren aus einer durchschnittlichen Fusion-Jazz-Kombo eine ultrafette Funk-Rap-Institution formt, dem sei das Œvre dieser 1994 gegründeten Band ans Herz gelegt. Aktuellstes Werk ist Carnivale Electricos, eine bizarre Scheibe, die Mardi-Gras-Rhythmen aus dem Herz der Südstaaten mit Electro-Samples, Rap und sattem Blues zusammenwürfelt. Man merkt Galactic an, und das ist gut so, dass sie in den vergangenen Jahren unter anderem mit B.B. King, den Neville Brothers, den Roots und der Hiphop-Gruppe Jurassic 5 tourten. Bestes Einstiegsalbum allerdings, um mit der bisweilen verqueren Rhythmus-Welt dieser außergewöhnlichen Band vertraut zu werden, ist das bereits 2007 erschienene Album From The Corner To The Block, auf dem sich unter anderem Bass-Rapper Chali 2na von Jurassic 5 beim Stück „Think Back“ mit unnachahmlich sonorer Stimme durch einen fulminanten Brass-Band-Rhythmus singt. Das nächste komplette Galactic-Album ist erst für 2015 geplant, das hat der gute Professor P. für Euch in Erfahrung gebracht, verehrte Freunde des Funk. Bis dahin sollen, so verrät uns Galactic-Saxman Mr. Ben Ellman via Mail, erst einmal einige Singles veröffentlicht werden. Zwei sind schon heraus: Im Januar kam die Soulfunk-Miniatur „Dolla Diva“, im Februar „Higher And Higher“, Bluesfunk mit der Unterstützung des Mofro-Frontmannes J.J. Grey, ein Blues-Haudegen aus den Sümpfen von Florida.
All Ihr da draußen, die Ihr dieses wunderbare kleine High-End-Pamphlet aus dem Briefkasten gezogen habt, diese Offline-Petition für eine bessere Welt. Euch sagt der Professor: New Orleans, das ist die Wiege all dessen, was gut, fett und cholesterinreich ist auf dem Globus des guten Geschmacks. Cajun und Zydeco aus den Sümpfen des Deltas, Calypso von den Nachfahren karibischer Sklaven, Jazzpiano aus den Kaschemmen am Ufer des Mississippi. Ich könnte ewig weiterpredigen. Was muss ich tun? Dies: Eine Band will ich Euch noch ans vor Verlangen nach dem heiligen und alles heilenden Sound bebende Herz legen, auf dass es Euch das Blut durch den Irrgarten der Arterien pumpt und unterm Schädeldach die Synapsen durchrüttelt. The Iguanas. Nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Schülerband von Iggy Pop.
Nein, The Iguanas aus New Orleans. Im März kam die neue, neunte Platte dieser ganz und gar infektiösen Band heraus. Aufgenommen im Piety Street Record Studio im Upper 9th District von New Orleans, hier, wo die Wellen des Golfes von Mexiko während des Hurrikans Katrina über die Bordsteige schwappten, hat das Quintett um Saxophonist Joe Cabral all das auf Juarez vereint, was diese Stadt ausmacht. Texmex meets Second Line meets Swamp Blues meets Polka. Eine Art Tropical Funk, möchte man sagen. Die Gruppe zieht den Hut vor der Vergangenheit und unterlegt beispielsweise Fats Dominos „It Keeps Raining“ mit einem feinen Latino-Beat, vereint auf „Wedding Of Chicken And Snake“ spanische Lebensfreude mit alter Quengel-Orgel, und auf „Matomoros Way“ wird ein wildes Akkordeon durch die Wüste Mexikos getrieben. Die Iguanas bleiben sich auch nach 20 Jahren treu. Schon auf ihrem ersten Album Mitte der neunziger Jahre, The Iguanas, coverten sie Allen Toussaints New-Orleans-Klassiker „Fortune Teller“ sowie Celso Pinas „Por Mi Camino“ in derart entspannter, entrückter Weise, dass man nur immer wieder den Replay-Knopf drücken mochte. Und mag.
Kommen wir zum Ende meiner offenen Sprechstunde. Bevor der Professor Termine fürs kommende Quartal verteilt, hier noch ein kleiner Nachruf. Auf eine Band, die sich gerade nach sechs viel zu kurzen Jahren und nur zwei Alben aufgelöst hat. Vielleicht lag’s am Namen. Gnarlemage ist schwer zu merken, und bei Amazon oder Youtube vertippt man sich gerne. Die Gruppe um Stu Dias machte, was sie selbst als „Garagen Soul“ beschrieb. Sie kam aus dem Mittleren Westen der Verunreinigten Staaten von Amerika, ihr Herz aber schlug für und in New Orleans, wo sie gerne und oft auftraten. Die beiden Platten Run For Shelter und A Warm And Cosy Vulcano sind Delta-Blues pur: Rau, funky, dreckig. Vulcano ist leider vergriffen, aber das Debüt Run for Shelter sollte noch über den bekannten Online-Versandhandel zu beziehen sein. Allein das Eröffnungsstück „Funky New Orleans“ lohnt die Anschaffung: So hätte James Brown geklungen, wenn er in einer Roma-und-Sinti-Familie aufgewachsen wäre. Die gute Nachricht: Mitglieder von Gnarlemage, das teilte mir Sänger Stu Dias in einer netten kleinen Mail mit, haben sich in der Old-Time-Blues-Jazz-Kapelle The Soggy Po Boys zusammengefunden. Man bastle an der ersten Platte – allright! Und jetzt sagt der Professor: Praxis geschlossen. Für heute.