SoundSpace Systems, Berlin
Musik fühlen – und keine Kompromisse machen, das ist SoundSpace Systems
Berlin – Fürth. 500 Autokilometer auf der A9, fünf Stunden Fahrt. Viel Zeit zum Nachdenken über das, was ich am Wochenende hören durfte. Zeit, um sich Strategien zu überlegen, wie ich das Gehörte langfristig wieder aus dem Kopf bekomme. Denn nach einem Sonntag bei der Berliner Lautsprechermanufaktur SoundSpace Systems (SSS) haben sich meine Hör-Maßstäbe verschoben. Meine heimische Anlage wird wohl eine Weile schweigen.
Im Zuge der virtuellen HIGH END setzte sich die FIDELITY-Redaktion erstmals mit Dr. Michael Plessmanns formidablem Lautsprechermodell „Pirol“ auseinander. Der Schallwandler verfolgt eine Klangphilosophie, so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Ein Bekenntnis zu Präsenz, tonaler Balance – und einem Auflösungsvermögen, das modernen HiRes-Medien Rechnung trägt. Als die Redaktion darüber diskutierte, ob der Pirol zeitnah Einzug in den Ismaninger Hörraum halten sollte, kam auf Anfrage ein Gegenvorschlag: Man habe bei SSS auch noch etwas deutlich Größeres in der Pipeline. Das sei allerdings bei einem Stückgewicht von 300 Kilogramm aufwendig zu verschicken und noch schwerer aufzustellen. Ob wir nicht einmal vorbeischauen wollten? Wollten wir – und so kam es zum Sonntagstrip nach Berlin.
Die A9 war leidlich frei, sodass ich den Roadster zwischendurch ausfahren konnte. Mein bajuwarischer Youngtimer wird allerdings ab 140 Stundenkilometer im Cockpit so laut, dass ich den Fuß schnell wieder vom Gas nahm. Mit geplättetem Gehör in der Hauptstadt anzukommen wäre kontraproduktiv gewesen. Denn in der 2017 gegründeten High-End-Manufaktur wartete auf mich eine Hörsitzung mit einem Schallwandler, den man unter die Superboxen einreihen darf – ich sollte die „Aidoni“ kennenlernen. Als mir Michael Plessmann mit strahlendem Lächeln die Tür seiner Firma in Berlin-Charlottenburg öffnete, stand die Sonne schon tief am Himmel. „Ich habe drei verschiedene Paar Boxen vorbereitet“, erklärte er, und sein Lächeln wurde noch tiefer. So lächelt nur jemand, der sich seiner Sache absolut sicher ist und längst keine sorgenvollen Gedanken mehr an die Qualität seiner Produkte verschwendet.
Versierter Querdenker
Michael Plessmann ist klassischer Quereinsteiger. 1970 war er 13, seine musikalischen Helden hießen Deep Purple, King Crimson und Jethro Tull. 50 Jahre später baut der promovierte Biophysiker allerdings keine Rock’n’Roll-Lautsprecher – obwohl er sich bei den Chassis seiner Schallwandler zum Teil im Regal für PA-Speaker bedient. Gehört wird alles, von großsinfonischer Klassik über Musica Nova und den verwandten Contemporary Jazz bis zu Blues, Bluesrock und Rock, weil alte musikalische Lieben nicht rosten, sondern reifen. Die Zielgruppe bei SSS ist entsprechend weit gefasst: Locker auf der Couch sitzend Gustav Mahlers „Auferstehungssinfonie“ zu genießen gelingt mit Aidoni und Pirol ebenso gut wie der Abenteuer-Ausflug in die akustischen Metallgewitter von Rammstein.
In seinem ersten Leben konzipierte Plessmann Biotech-Fabriken, was „eher den Ingenieur als den Physiker“ forderte. Gerade das Nicht-Experte-Sein, die Außensicht, habe sich in dem für ihn fachfernen Thema als hilfreich erwiesen: „Einmal brauchten wir Kondensat-Abscheider, also ließ ich mir die Technik von Herstellern erklären, die mich unterstützten. Weil wir ohne vorgefasste Meinung zu ihnen kamen, lernten wir schnell, worum es im Kern ging“, erklärt Plessmann. Danach war er als Berater für große Konzerne der Automobilindustrie tätig, arbeitete mit Stromerzeugern und Banken zusammen, privatisierte Kraftwerke und erweiterte so nicht nur seinen Horizont, sondern auch seine Reputation.
Es geschah irgendwann in den Ferien, die Michael Plessmann gerne beim Wandern in Kärntens Nockbergen verbringt: Er beschloss, eigene Lautsprecher zu entwickeln. Auch das Herzensthema ging er vorurteilsfrei an: „Meine einzige Legitimation war, dass ich gern und viel Musik höre.“ In den Anfangsjahren kooperierte er mit einem bekannten deutschen Lautsprecherentwickler, der das Know-how mitbrachte, um Plessmanns Ideen umzusetzen. „Irgendwann mussten wir aber feststellen, dass unsere Ansprüche an die Produkte sich nicht mehr deckten“, erklärt er rückblickend und spricht von einem „notwendigen Abnabelungsprozess“.
Das zeugt von unternehmerischem Mut. „Um an mein Ziel zu gelangen, musste ich neue Wege gehen und Grenzen überschreiten“, resümiert Plessmann, der SSS als Denkfabrik versteht. „Unsere Lautsprecherentwicklung ist unkonventionell. Sie baut auf einem Prozess kreativer Zerstörung auf, der alles Bestehende hinterfragt und gegebenenfalls über den Haufen wirft“. Nur so könne Innovation stattfinden. Es erfordere die Zertrümmerung alter Lehrmeinungen, um etwas Zukunftsweisendes zu schaffen. Das Querdenken praktizierte er schon zu Studienzeiten, denn der studierte Biologe promovierte in Biophysik, wo es unter anderem um die Wirkung von Schallwellen auf lebende Organismen ging – nicht die einzige bewusste Grenzüberschreitung in seinem Leben.
Das Original als Maßstab
Sein Boxen-Flaggschiff hat Michael Plessmann in einem weitläufigen Raum Seite an Seite mit dem Pirol geparkt. Für den Besuch aus Süddeutschland, der eine Tasche mit CDs dabeihat, wurde extra ein hochwertiger Silberscheibendreher besorgt. Zu Testzwecken und zum Genusshören setzt Plessmann, der aus Hannover stammt, aber schon lange in Berlin lebt, am liebsten analoge Quellen ein. So dient als zentrale Quelle die Dreherlegende Platine Verdier.
Die Endstufen verbergen sich unter dem Parkettboden und bedienen wahlweise die Schallwandler im großen oder jene im kleinen Hörraum. Die Verstärkertechnik würde den SSS-Kreationen in gewünscht neutraler Manier zuspielen. Brauchen das Flaggschiff Aidoni und der Pirol doch nach Plessmann kein „Sounding“. Zudem achtet er auf hohen Wirkungsgrad, um auch Röhrenverstärker nicht aus dem SSS-Universum auszusperren. Dogmen haben es schwer bei einem, für den „jegliche Art von Musik eine Grundkomponente für das seelische Gleichgewicht“ darstellt. Einer, der oft in Livekonzerte geht; einer, bei dem das Original der Maßstab ist, an dem Musikwiedergabe sich zu orientieren hat. „Feel the Music“ ist der Firmenslogan und das Programm, nach dem sich bei SoundSpace Systems jeder Schallwandler richten muss. Von der gewollten Distanz, die manche Lautsprecher aufbauen, hält Michael Plessmann nichts. Seine „Singvögel“ – „Aidoni“ heißt „Nachtigall“ auf Griechisch – sind Vollbereichswandler mit fühlbarer Präsenz. „Das ist der Wechsel von der 25. Reihe im Konzert nach vorn“, so Plessmann.
Hinter der Firmenadresse verbirgt sich das Nervenzentrum von SSS, aber keine Fertigungsstätte. Nur ein paar Muster seines „Hochton-Klanghorns“ in verschiedenen Holzarten hat Michael Plessmann im Arbeitszimmer liegen. Zum Nachdenken über die perfekte Wiedergabe von Musik ist der Firmensitz aus den 1960er Jahren der richtige Platz: wohlriechende Holzböden und -möbel, ein wohnliches Hörzimmer mit Kunst an den Wänden und – ganz wichtig – bestens bestückte Schallplattenregale.
Schwierig zu beantworten ist die Frage nach der Zahl der Mitwirkenden an SoundSpace Systems. Nachdem die Stückzahlen bei „deutlich unter 100 Boxenpaaren im Jahr“ liegen, setzt Michael Plessmann auf ein Netzwerk aus Zulieferern vom Schreiner bis zum DSP-Programmierer. Weil man Top-Fachkräfte für die kleinen Fertigungschargen bei SSS „nicht dauerhaft blockieren“ dürfe. Abgestimmt wird nach Gehör. Nachdem Michael Plessmann beim Klang „nicht der alleinige Maßstab sein kann und will“, lädt er, wenn er einen Prototyp fertig hat, Kreative mit Musik-Faible zum Hörabend ein, um Stärken und Schwächen des neuen Modells auszuloten.
SoundSpace Systems: Gespür für alle Tonlagen
Auf meinem eigenen Hörtest-Zettel betone ich die tonale Richtigkeit und den anspringenden Charakter der Aidoni, die zum Genusshören gedacht ist, als Abhörmonitor aber auch keine schlechte Figur macht. Die Basis dafür ist ein frisch gedachtes wie einzigartiges Konzept, das für jeden der Wege den perfekten Ansatz bemüht: Die aktiven 38-Zentimeter-Bässe werden pro Box von viermal 500 Class-D-Watt befeuert, ein digitaler Signalprozessor (DSP) sorgt für Kontrolle. Michael Plessmann verspricht „schnellen, staubtrockenen Bass bis unter 20 Hertz“ – und weidet sich am verblüfften Gesichtsausdruck derer, denen zum ersten Mal diese stupende Tiefton-Potenz serviert wird. Das Design kommt ohne Bassreflex-Tricks aus. Musik der britischen Trip-Hop-Band Massive Attack wird zur körperlichen Erfahrung: „Die Kraft des Basses muss ein physisches Erlebnis sein, sie darf nicht den Umweg über den Verstand nehmen“, formuliert Plessmann einen seiner Grundgedanken.
Sahnestücke sind zwei Supravox-Mitteltöner in D’Appolito-Konfiguration, die einen Hochton-Magnetostaten einrahmen, den besagtes Horn unterstützt. So erreicht Plessmann mit der 148 Zentimeter hohen Aidoni eine Räumlichkeit, die jeder Kompaktbox zur Ehre gereichen würde, und im Mittelhochtonbereich einen Schalldruck von über 120 Dezibel.
Für eine Brüllbox, mit der man kleine Hallen beschallen kann, würde freilich niemand 350 000 Euro pro Paar ausgeben. Viel wichtiger sind Stimmigkeit und Homogenität. In späteren Stunden taugen Aidoni und Pirol vorzüglich zum Leisehören. Da darf es gern auch Kammermusik sein. Oder das „verschollene Album“ des Saxofon-Genies John Coltrane: Both Directions At Once drückt mir der begeisterte Schallplattensammler als limitierte Schmuck-LP-Kassette in die Hand, überlässt mir das Auflegen der Platte auf den Riesenteller der Platine Verdier – und schließt bei den ersten Takten, die Rudy van Gelder am 6. März 1963 aufnahm, verzückt die Augen.
Eine Gänsehaut ist unvermeidlich. Als hätte er gewusst, dass ihm keine lange Lebenszeit vergönnt ist, produzierte „Trane“ viel mehr Studioaufnahmen, als sein Impulse!-Label wirtschaftlich rentabel veröffentlichen konnte. Wenn man eine solche Scheibe über die Aidoni hört, ist das Gefühl, direkt vor den Musikern zu sitzen, überwältigend. „Genau so muss das klingen“, sagt Michael Plessmann.
Keine Musik für die Massen, kein Lautsprecher für die Massen. Aber genau das, wofür Plessmann SoundSpace Systems gründete: musikalische Emotion. An Plessmanns Schallwandler und Coltranes Musik wird man sich wohl noch in Jahren erinnern. Bei Coltrane hat das funktioniert, Michael Plessmann arbeitet daran.
Was Mastermind Michael Plessmann gerade konstruiert? Was Feines. Mit Vogelnamen. Details werden an dieser Stelle bald verraten.
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