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FIDELITY zu Gast bei Piega in Horgen

FIDELITY zu Gast bei … Piega in Horgen

Alles bleibt besser

Piega in Horgen – Alles bleibt besser

Wie erneuert man ein Traditionsunternehmen, ohne alte Werte zu gefährden? Piega ist dieser knifflige Spagat gelungen. Die Marke wurde an die Folgegeneration übergeben und schuf damit Raum für innovativen und frischen Wind. Sobald die neuen Modelle emotional und wuchtig losmusizieren, weiß man aber: Die Schweizer bleiben sich treu!

FIDELITY zu Gast bei Piega in Horgen

Horgen ist ein beschauliches Örtchen am Westufer des Zürichsees. Es hat alles, was die Schweiz für einen Touristen schweizerisch macht: Einen urigen Ortskern in sanfter Hanglage, traditionelle Architektur, kleine Geschäfte, hochmoderne Infrastruktur – und Piega. Wer sich nur etwas auskennt, weiß, dass die Erzeugnisse der Lautsprechermanufaktur viele Aspekte der Eidgenossenschaft reflektieren. Erlesene Zutaten wie resonanzberuhigte Aluminiumgehäuse, Hightech-Klebstoffe oder Bändchentreiber treffen wie selbstverständlich auf klassische Konstruktionsansätze, liebevolle Handarbeit und ein zusammengewachsenes Team. Wenn man zudem erleben durfte (vor vielen Jahren hatte ich die Ehre), wie die Gehäusestränge im Alu-Werk unter dem Druck von mehreren tausend Tonnen gezogen werden, dann weiß man, dass eine saftige Portion Naturgewalt in den Lautsprechern schlummert: „Neben der Presse fühlt es sich an, als würde ein beladener Güterzug aufschlagen“, hatte Entwickler Kurt Scheuch uns damals versprochen – und lag vollkommen richtig.

Doch der Anlass meines Besuchs sollte nicht sein, Ihnen Land und Leute zu beschreiben. Alles drehte sich um die tiefgreifende Veränderung des Unternehmens: Piega meisterte in den zurückliegenden Jahren einen Prozess, der momentan vielen HiFi-Manufakturen Kopfschmerzen bereitet. Die von Kurt Scheuch und Leo Greiner gegründete Manufaktur musste in die Folgegeneration überführt werden. Dazu gehört natürlich mehr, als einen Notar aufzusuchen. Die Gründer zählten Anno 1986 noch zur „ersten Front“ der HiFi-Innovatoren. Während Tüftler Scheuch sich anfänglich noch in einer kleinen Garage um die wiedererkennbare Klangsignatur der Lautsprecher kümmerte und allmählich sein Interesse für Aluminium entdeckte, vertrat Leo Greiner das Unternehmen nach innen wie außen. Die beiden mussten das Konzept ihrer Manufaktur nicht erst analysieren, um es zu verstehen, sie gestalteten es.

Greiners Söhne Alexander und Manuel, die Piega heute in kaufmännischer und vertrieblicher Funktion leiten, standen vor größeren Herausforderungen: Sie mussten Signatur und „Footprint“ der Marke verinnerlichen, einen potenten Ersatz für Kurt Scheuch auftreiben und alles so mit ihren eigenen Vorstellungen und Ideen vereinen, dass Piega am Ende immer noch Piega blieb.

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Allen Grund für gute Laune: Die beiden Geschäftsführer Manuel (l.) und Alexander Greiner leiten mittlerweile das Unternehmen, das ihr Vater Leo gemeinsam mit Kurt Scheuch gründete. Bei meinem Besuch durfte ich sogar den “Sound of Success” hören, der eigentlich nur zu ganz besonderen Anlässen erklingt. Ich verzeichne das mal als dickes Lob für FIDELITY.

Das Manifest des gelungenen Übergangs steht bei meinem Besuch in Horgen körperhaft im Hörraum: Die brandneue Master Line Source (MLS), ihres Zeichens ultimatives Topmodell der Schweizer und so frisch, dass sie bislang noch nicht einmal den Weg auf die Homepage gefunden hat. Der Namenszusatz „MK-II“ kennzeichnet den Generationssprung und erklärt meine anfängliche Irritation – im Vorfeld war ich von einer verbesserten Version der nächstkleineren MLS 2 ausgegangen. Die Verwechslungsgefahr zwischen den Modellen kann Piega ziemlich egal sein. Beim Kostenadäquat eines Einfamilienhauses in anständiger Lage ist der vierteilige Koloss eine derart exklusive Versuchung, dass eine Serienfertigung gar nicht erst eingeplant wurde. Die „MLS MK-II LTD Edition“ ist ein reinrassiger Technologieträger, ein Aushängeschild, und soll in dieser Funktion nur wenige Male maßgefertigt werden: „Dieser einzigartige Lautsprecher wurde eigens für Sie mit Liebe, Sorgfalt und Blick aufs Detail bei Piega in der Schweiz angefertigt“, kündet eine bronzefarbene Plakette am Rücken von Seriennummer 002, die ich im Hörraum kennenlerne. Es ist ein purer Glücksfall, dass ich sie überhaupt erlebe: Der Kunde aus England wollte seine neue Box mit einem Erlebnis und einem Trip nach Zürich verbinden. Er kommt sie in Horgen hören, ehe die schwarzen Prachtstücke sorgfältig verpackt auf die Reise gehen.

Doch vorher bin ich dran! Kaum eine Stunde nach meiner Ankunft drückt mir Entwicklungsleiter Roger Kessler ein iPad in die Hand. „Ich würde vorschlagen, du nimmst das hier und tobst dich in aller Ruhe aus“, sagt er und ist kurz darauf verschwunden. Allein fühle ich mich nicht. Die beiden riesigen Bassgehäuse, die mit ihren 178 Zentimetern nur etwas niedriger sind als ich, und zwei monolithische Wände aus Bändchen verraten mir, dass alle im Haus dabei sein werden, wenn ich gleich Gas gebe. Ich lehne mich im Sessel zurück und mache den Anfang mit Fleetwood Macs „The Chain“. Gitarrenklänge plätschern, ehe mich der erste Schlag auf die Bass Drum zurück in die aufrechte Sitzhaltung reißt. Nicht, was Sie jetzt denken: Natürlich klingt die Kick über riesige Lautsprecher mit einem Wirkungsgrad um 94 Dezibel abgrundtief, autoritär und gräbt sich wohlig in die Magengrube. Dreht man T+As HV-Elektronik auf, kann der Tiefton regelrecht brachial werden. Was mich aufschrecken lässt, ist jedoch die Tatsache, dass ich die Trommel für einen Augenblick im Raum wahrnehmen kann. Aus der Mitte, wenige Zentimeter nach rechts versetzt und knapp zwei Meter hinter den Lautsprechern flackert mit jedem Pedaltritt Mick Fleetwoods ein kreisrunder Gegenstand vor meinen Augen auf – ein schemenhaftes Abbild, in Dimension und Position derart nachvollziehbar, dass ich unvermittelt eine Gänsehaut bekomme. Die vermutlich beste Abbildung, die ich bislang erleben durfte – und der perfekte Auftakt für exklusive zwei Stunden mit der MLS MK-II.

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Weiter geht’s mit Led Zeppelins „Dazed And Confused“, das den Hörraum mit seiner Atmosphäre und Coolness einnimmt. Die Stimme von Robert Plant kündet greifbar und plastisch von den Qualitäten des neu entwickelten Koaxbändchens. Die Mehrteiligkeit der MLS sorgt für eine perfekte Lokalisierung der Schallereignisse: Das Piega-Team suchte für die je 200 Kilogramm schweren Bassgehäuse die Stellen im Raum, an denen sie perfekt funktionieren, und richtete anschließend die schlanken (mit je 100 kg aber nicht minder schweren) Mittel-/Hochtoneinheiten aus. Als Konglomerat von vier perfekt austarierten Line Arrays strahlt die MLS MK-II den Schall in Form von Linienwellen ab. Mehrfach beuge ich mich vor, ducke mich im Sessel, stehe einige Male sogar ganz auf. Egal in welcher vertikalen Position ich meinen Kopf halte, die insgesamt 30 Treiber bleiben „in Phase“ und tönen ohne Spur von Interferenzen in jeder Sitzhaltung identisch. Der durchaus große Piega-Hörraum liege an der unteren Grenze des Machbaren, wie ich später erfahre. Ein Lautsprecher dieser Größe und Leistungsklasse benötige enormen Auslauf.

Mein Hörparcours führt mich weiter zu Kraftwerks „Radioaktivität“, einem Beethoven-Allegretto, Holsts „Mars“ und schließlich zur herrlich holzigen Orgel von Philip Glass’ „Prophecies“ – allein bin ich zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr, da sich Marketingleiter Roman Walser zu mir gesellt hat und neugierig mitlauscht. Anschließend steht mir der Sinn nach „handfesterem“ Material, ich lasse ein Intermezzo aus Ambient-Electro erklingen (Boards of Canada, Aphex Twin, Louisahhh) und arbeite mich schließlich über etwas Alternative Rock von Rage Against the Machine zu schmissigem Pop à la Eagle-Eye Cherry vor. Die MLS spielt souverän mit, denn als ausgefeilter Allrounder kann sie mit allem auf vergleichbar hohem Niveau umgehen. Grenzen steckt dann und wann lediglich die Qualität mancher Aufnahmen.

Nachdem ich mich von der MLS losreißen konnte, mache ich einen Rundgang durchs Haus. Mitarbeiter Mario Ballabio erklärt mir alle Schritte, die er, seine Kollegin Jasmine Keller und Tochter Ailina Ballabio, die neben ihrem Studium bei Piega jobbt, zu beachten haben. Ich konnte seinen Ausführungen schon bei mehreren Gelegenheiten folgen, bin aber immer wieder aufs Neue überrascht, mit welcher Präzision die drei ans Werk gehen: Die zugelieferten hauchdünnen Kaptonfolien werden mit Konzentration, Augenmaß und tausendfach einstudierten Handgriffen weiterverarbeitet. Ich werde Zeuge, wie Jasmine Keller längliche Dämpferstreifen auf die Rückseite von Hochtönern klebt, die – einmal in der Nähe des Bändchens – wie von allein den Weg zur Folie suchen. Das muss beim ersten Mal sitzen. Anschließend macht sie mit dem Skalpell vier kleine Einschnitte am Rand der Tweeter, verschafft ihnen mehr Bewegungsfreiheit und Bandbreite. „Schon deswegen werden wir nie ein großer Massenhersteller sein“, erläutert Ballabio. Es gebe eine physische Obergrenze der täglich herstellbaren Bändchen. Das gelte insbesondere für die komplexen koaxialen Mittelhochtöner.

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Bei meinem Rundgang lernte ich alle Stationen der Fertigung kennen: Hier montieren Marcel Bartosch (Vordergrund) und Marco Rossi gerade ein Pärchen Coax 711-Standlautsprecher.

Bei dieser Gelegenheit erfahre ich ein Detail, das mir bislang vollständig entging: Tatsächlich fertigen die Schweizer nicht ein Koaxbändchen auf dem aktuellen Stand der Technik (wie ich immer dachte), sondern für praktisch jedes Lautsprechermodell eine angepasste Variante. Die Breiten der gegenphasig beschalteten Leiterbahnen, Magneten, Größe und Bewegungsfreiheit der Tweeter (korrekt: die Schnitte) werden an die Variablen des jeweiligen Modells und seines Gehäuses angepasst. Eigentlich logisch: Die Koaxtreiber müssen zu Anzahl und Wirkungsgrad der eingesetzten Basschassis passen. In Regalen entdecke ich ein gutes Dutzend Montagerahmen für unterschiedliche Varianten und Generationen der komplexen Bändchen. Die Typen sind konsequent durchnummeriert. Ballabio weist auf einen Rahmen mit der 211 und erklärt mir, dass ich die gerade in der neuen MLS MK-II gehört habe.

Wenig später sitze ich mit Entwicklungsleiter Roger Kessler im Hörraum und reflektiere die Erlebnisse. Er zählt zu den „Neuzugängen“ im Unternehmen. Zuvor war er als Audio Engineer in der Automobilbranche tätig, integrierte Car-HiFi-Systeme für BMW. Dass in so einem Umfeld andere Herangehensweisen gelten, merke ich schon an der Antwort auf meine erste Frage: Ich erzähle ihm, dass ich es für eine gewaltige Herausforderung halte, einen Lautsprecher wie die Ur-MLS überhaupt zu verbessern. Wo fängt man da an? Analyse und Fehlersuche, erwidert Kessler und ergänzt, dass man eigentlich immer etwas zum Verfeinern findet. Die MLS MK-II entstand als Gemeinschaftsarbeit zwischen der alten und neuen Garde. Kurt Scheuch entwickelte sie gemeinsam mit Daniel Raymann. Er selbst habe vor allem seine Kenntnisse über Messtechnik, Analyse und computergestützte Simulationen ins Unternehmen eingebracht. Erst dadurch wurde Piega fähig, ein Produkt wie die Ace Wireless zu realisieren. Da deren Aktivmodule in Fernost gefertigt werden, sei Ausprobieren und Herantasten nahezu ausgeschlossen gewesen. Also simulierten Roger Kessler und sein Team sämtliche Parameter der drei Modelle im Computer und stimmten die Boxen auf „binärem“ Weg ab. Erst als alle Einzelteile geliefert waren, zeigte sich, dass die Berechnungen passten. Die Wireless-Lautsprecher sind also nicht nur als Produkt neuartig im Portfolio der Schweizer – auch ihre Entstehungsgeschichte ist bislang einzigartig.

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Bei der MLS hingegen habe sich das Entwicklungsteam zahllose Parameter der Gehäuse und Treiber auf dem Messtisch vorgeknöpft und dabei etliche kleine, bisweilen winzige Angriffspunkte entdeckt. Grundliegende Probleme der vorherigen Konstruktionen wurden allerdings nicht zutage gefördert: „Die Zeiten, in denen man an einem Stellrad schraubt und unglaubliche Veränderungen erzielt, sind vorbei“, erklärt er mir. Doch bewirkten auch die vielen Details in der Summe einen merklichen Schritt nach vorn.

So wurden die UHQD Graphene Woofer von SEAS besser ins Gehäusekonzept eingebettet. Schon die Gewichtsveränderung mittels Beschichtung der Membranen habe ausgereicht, um das Verhalten der 12 Treiber zu optimieren. Außerdem ersetzte Kessler die vormals getrennten Mittel- und Hochtonbändchen durch eine identische Anzahl der Koaxbändchen. Für mehr Kontrolle werden die nahezu massefreien Treiber rückseitig mit einer Folie beklebt. Ihre enorme Bandbreite bleibt derweil erhalten: Auch die neuen „211er“ spielen bis 50 Kilohertz. Anschließend stimmte Kessler die Frequenzweichen neu ab. Mit 24 Dezibel pro Oktave greifen die recht drastisch zu, doch sind in einer Line Source trotz insgesamt 30 Treibern nur zwei Trennfrequenzen bei 460 und 2800 Hertz erforderlich. Die Endabstimmung sei bei der MLS MK-II die größte Herausforderung gewesen. Das Mikrofon der Messsoftware wisse schließlich nicht, dass es sich um eine Line Source handelt. Und so bleibe – wie eh und je – das beständige Hineinhören, Abchecken und genussvolle Musikhören immer noch der entscheidende Schritt …

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PIEGA SA
Bahnhofstrasse 29
8810 Horgen
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Telefon +41 44 725 90 42
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