MHW Audio, Sonthofen
Bedingungslos analog – das Konzept von MHW Audio hat eine klare Linie. Und der bleibt Inhaber Dieter Molitor sogar dann treu, wenn eigentlich kein Weg an Digitaltechnik vorbeiführt.
Fotografie: Carsten Barnbeck
Atmosphärisch lässt sich dieser Vormittag im Februar kaum überbieten. Nur selten in den vergangenen Wochen zeigte sich die Sonne so lebensfroh und frühlingshaft. Die Berge rund um den südlichsten Zipfel des Allgäus sind immer noch mit Schnee bedeckt und sorgen für eine Ausleuchtung, die man mit bloßen Augen kaum erträgt. Durch das große Panoramafenster im Hauptgeschäftsraum von MHW Audio hat man einen fantastischen Blick auf das Schauspiel. Ein Teil von mir möchte sich einfach zurücklehnen und die Kulisse genießen, doch ich konzentriere mich auf die Antwort zu meiner gerade gestellten Frage. „Doch, doch, du hast das schon richtig verstanden: Die Raumkorrektur arbeitet vollständig analog.“
Nachdem die Sätze verklungen sind, erfüllt kurzes, intensives Schweigen den Raum. Das verschmitzte Grinsen in den Gesichtern meiner Gesprächspartner lässt mich ahnen, dass ich nicht der erste bin, der mit Verwunderung auf die technischen Hintergründe des neuen „Prozessors“ reagiert. Mir gegenüber sitzt ein sichtlich gut gelaunter Dieter Molitor, Gründer und Geschäftsführer von MHW Audio. Auf dem Stuhl daneben hat es sich Markus Reitz bequem gemacht, Mitgeschäftsführer der gemeinsamen Lautsprecherschmiede Live Act Audio. Der Dritte im Bunde ist Martin Hoefle. Er lernte MHW Audio über die von ihm entwickelte Reinigungsflüssigkeit „Deinformer“ kennen und kümmert sich seit einigen Monaten um die Öffentlichkeitsarbeit. Ich nippe an meinem Kaffee, werfe einen flüchtigen Blick auf ein Tablett voller Butterbrezn, das auf dem Tisch steht, und überlege für einen Augenblick, ob es nicht zu viel des Guten wäre, wenn ich meine Frage noch ein drittes Mal wiederhole.
Wir befinden uns im Dachgeschoss eines Sonthofener Gewerbebaus. Eine Vielzahl von Dekorationen schmückt die beiden langgestreckten Zimmer: Schallplatten, Holzscheite, Hirschgeweihe und historische Fotografien, wohin das Auge nur blickt. Zu beinahe jedem Exponat wird mir Dieter Molitor im Laufe des Tages noch eine kleine Geschichte erzählen. Zwischen der Deko schart sich eine umfassende Werkschau von Live-Act-Audio-Lautsprechern und eine umfangreiche Auswahl von Plattenwaschmaschinen. MHW Audio ist der größte Händler für Vinyl-Reinigungsautomaten und hat praktisch alle im Sortiment: Clearaudio, Hannl, die eigene Hausmarke Levar, Nessie und mehr.
Warum sollte jemand einen analogen Raumprozessor auf die Beine stellen? Der Markt ist voller DSPs. Die sind kostengünstig, schnell, effektiv, und auch die erforderliche Software gibt es zuhauf. Solche Chips können jede Sekunde tausende Frequenzbänder analysieren und phasentreu verbiegen. „Wir möchten aber keine tausend Bänder entzerren“, kontert Molitor die Ausformulierung meiner Gedanken. „Draußen bei unseren Kunden werden wir immer wieder mit der Realität konfrontiert. Kein Raum ist perfekt. Und doch sind es gerade mal eine Handvoll, oft sogar nur ein bis zwei Frequenzbereiche, die für die tragenden und hörbaren Probleme verantwortlich sind.“
Genau hier kommt das ARCS ins Spiel. Das „Analog Room Correction System“ ist grundsätzlich nichts anderes als ein komplexes Filterwerk. Sehen kann ich es noch nicht, da im Produktionsbetrieb in Honhardt, unweit von Dieter Molitors alter Heimat Schwäbisch Hall, gerade die Feinarbeit am Gehäuse erfolgt. Doch der Beschreibung und einigen Handyfotos gemäß wird es sich um eine Komponente im HiFi-Gardemaß handeln. Ein robuster Metallkorpus, 43 Zentimeter breit, mit einer Frontblende, die all die erforderlichen Regler und Taster kaschiert und so gleich noch verhindert, dass man versehentlich etwas verstellt. Klappt man sie herunter, hat man menüfreien Direktzugriff auf zwei mal acht Multimode-Filter, die Shelf- oder Glockencharakteristika sowie Hoch- und Tiefpass beherrschen und sich haarfein in Frequenz, Intensität und Güte abschmecken lassen.
Ein DSP würde bei dieser Aufgabenstellung nur müde lächeln. Analog umgesetzt ist so ein Filterwerk jedoch höllisch aufwendig und kann ein frustrierendes Eigenleben entwickeln. Jedes noch so winzige Bauteil hat Einfluss auf den Klang, und da wundert es mich natürlich nicht zu hören, dass die Testphase lange gedauert hat. Zwei Jahre Planung, Experimentieren, Hören und Feinabstimmen waren erforderlich, um den ARCS auf einen ausgereiften Stand zu bringen. Schon zur HighEnd im nahen Mai soll er in zwei Ausführungen vorführbereit sein.
Dieter Molitors Erwähnung des analogen Raumprozessors war eigentlich eine Randnotiz, der Fokus meines Besuchs sollte seinen Plattenwaschmaschinen gelten. Doch dann warf die unerwartete Flut geplanter Neuheiten mein Konzept aus der Bahn, und wir verbrachten nahezu den gesamten Tag mit Diskussionen über die Erweiterung des Portfolios: Neben dem ARCS wird MHW Audio dieses Jahr noch zwei neue Live-Act-Audio-Modelle vorstellen. Kompaktmonitore, die explizit für eine wandnahe Aufstellung geeignet sind, Problemlöser für kleine Räume also. Und passend dazu wird es auch einen Subwoofer geben. Außerdem weitete das Unternehmen kürzlich den Vertrieb von MFE über die deutschen Landesgrenzen aus. Im Rahmen des neuen weltweiten Vertriebs stieß MHW bei dem niederrheinischen Analogspezialisten verschiedene Neuentwicklungen an. Neben Verstärkern in völlig neuem Design wird es einen Kopfhörer-Amp der Premiumklasse geben, der auf 300B-Röhren basiert. Abermals versichere ich mich vor dem Notieren, ob ich das gerade richtig verstanden habe: ein reiner Kopfhörerverstärker, der genug Leistung produziert, um damit große Boxen anzutreiben? „Genau! Cool, oder?“, lautet Dieter Molitors vergnügte Antwort. „Sowas hat kein anderer.“
Und dann kommen wir zur Vinyl-Hygiene. Vier neue Reinigungsautomaten sollen dieses Jahr beim hauseigenen Label Levar erscheinen. Bis alle Modelle im Markt sind, kann es aber noch etwas dauern. Die Aufmerksamkeit gilt aktuell ohnehin einer anderen Wasch-o-Matik: Gerade in diesen Tagen beginnt MHW mit der Auslieferung der estländischen Ultraschall-Waschmaschine Degritter, deren stilvolles Alu-Design bereits im Vorfeld für großes Aufsehen sorgte.
Mit seinem Neuheitenreigen, dessen Abarbeitung uns fast drei Stunden kostete, dürfte Dieter Molitor zu den umtriebigsten Ruheständlern der Republik zählen. Ursprünglich leitete er die Geschicke seines erfolgreichen Fahrradhandels MHW Bike Store. Ende 2013 hatte er sich aus dem Geschäft zurückgezogen, alle Anteile verkauft und sich mit seiner Frau in Sonthofen niedergelassen: „Wandern, Radeln, das Leben genießen und was man hier sonst noch so treiben kann“, hatten sich die beiden auf die To-do-Liste gesetzt. Außerdem wollte er sich neben dem Radfahren auch seiner zweiten Leidenschaft widmen und die HiFi-Kette auf Vordermann bringen.
Wenn Dieter Molitor von den darauffolgenden Ereignissen berichtet, klingt es so, als habe sich alles Schritt für Schritt ergeben. Das Funkeln in seinen Augen lässt mich jedoch ahnen, dass ihn, den erfahrenen Geschäftsmann, das große HiFi-Fieber packte. „Auf Dauer kann man in Sonthofen nicht viel machen“, begründet er den Umstand, dass er mit seiner Frau mittlerweile in Salzburg lebt. Das ist plausibel: Wer „Live Act“ in den Namen seiner Firma prägt, verlangt nach einem regen kulturellen Umfeld.
Alles begann mit Frustration: Molitor konnte einfach keinen Lautsprecher finden, der seinen Ansprüchen genügte. Nach einigen Vorgesprächen beauftragte er den Lautsprecherentwickler Jürgen Schön mit der Konstruktion eines Traumwandlers. Heraus kam das bis heute erhältliche Spitzenmodell 512. Molitor war von der mannshohen, um einen 12-Zoll-Koax herumkonstruierten Box derart angetan, dass er gleich noch weitere Exemplare für seinen zwischenzeitig gegründeten Laden MHW Audio bestellte.
Einer der ersten Kunden war sein heutiger Partner Markus Reitz. Der hatte einen vergleichbaren Hintergrund, hatte sich gerade aus der eigenen Holzfirma zurückgezogen und brachte ein Know-how mit, das den Boxen von Live Act Audio bis heute zugutekommt. Die Oberflächen der Klangskulpturen erinnern an die Borke unbehandelter Holzscheite. Glatt, sauber und möbeltauglich zwar, aber irgendwie auch herrlich urig. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um massives Holz, sondern um zahlreiche verleimte Platten, die mit extremem Druck verdichtet werden und dabei ihre einzigartige Struktur erhalten. Diese Technik macht das Holz nicht nur unvergleichlich interessant, sondern verbessert die akustischen Eigenschaften.
Nur etwas mehr als fünf Jahre ist das her, und doch hat sich das anfängliche „Hobbyprojekt“ grundlegend gewandelt. Mit dem Mathematiker und Diplom-Physiker Mico Germanos haben Molitor und Reitz einen genialen Entwickler gefunden, der die Produktlinien von Live Act Audio auf mittlerweile sieben Modelle erweiterte – die erwähnten Neuzugänge sind da noch gar nicht mitgezählt.
MHW Audio indes vollzog eine schleichende Transformation vom reinen HiFi-Shop zum Vertrieb mit klarer Spezialisierung. „Ich wollte von Anfang an das tun, was ich kann, womit ich mich auskenne und womit ich mich am wohlsten fühle“, erklärt mir Dieter Molitor während des Mittagessens beim nahegelegenen Italiener, „und das ist eben die Analogtechnik.“ Er sei der Schallplatte seit seinen HiFi-Anfängen verfallen und habe sich bei heute keine einzige CD gekauft. Und diese Leidenschaft spiegelt sich in den Produkten seines Vertriebes, Ladens und der beiden selbstgegründeten Marken Levar und Live Act Audio wieder. Die Frage, wie man einen Raumprozessor baut, stellte sich deshalb gar nicht erst. Natürlich muss er analog sein, anders macht das doch keinen Sinn! Und wenn man dafür mit dem Kopf durch die Wand muss? – Nun ja, dann ist das ein Ansporn und garantiert kein Hindernis.