FIDELITY zu Gast bei … Lyravox, Hamburg
Der König ist tot, lang lebe der König – Lyravox Karl Mk II
Mit dem Aktivlautsprecher Karl begann für Lyravox eine neue Zeitrechnung. Doch so hervorragend ihr Top-Modell auch spielte, den Hamburger Tüftlern brannte es schon länger unter den Fingern, vieles noch besser zu machen: Vorhang auf für Karl den Zweiten.
In aller Kürze
Lebhaft, spielfreudig, holografisch und vor allem unglaublich stark: Lyravox Karl Mk II macht dem Rang eines Top-Modells alle Ehre. Ein Lautsprecher, den man so schnell nicht aus dem Ohr bekommt.
Prolog A: Lifestyle
Es soll ja Musikliebhaber geben, die eine angeborene Aversion gegen Strippen und Geräteberge haben. High End – gern doch, aber es sollte wohnlich aussehen und sich einfügen. Von der Community werden solche Querköpfe bisweilen belächelt: Wer nicht bereit sei, mit Strippen, Kabelliften und Stromverteilern zu experimentieren, der könne die Suche nach perfektem Klang auch gleich lassen. Doch wie Tante Marthas Musiktruhe und der Schneewittchensarg von Opa Willibald zeigen, zielten bereits die Anfänge der stilvollen Reproduktion auf harmonische Vereinigung von Klang und Wohnlichkeit. Lifestyle zählt gewissermaßen zu den initialen Gedanken von HiFi. Und genau auf dieses Klientel zielen die Produkte der Hamburger Manufaktur Lyravox: Anfangs sogar mit einer unübersehbaren Hommage an die Musiktruhe (mit dem Modell „Stereomaster“), verknüpfen ihre Kreationen höchste klangliche Meriten mit der Lust, mal wieder beim Innenarchitekten anzurufen.
Prolog B: Karl
Zum zentralen Leitmotiv des jungen Unternehmens wurde ein Kerl namens „Karl“, eine sprichwörtliche Wand aus Gehäusemodulen, die sich mannshoch (160 Zentimeter) im Hörraum auftürmen. Das Konglomerat gibt jedem Treiber sein eigenes Volumen. Und obwohl der Lautsprecher ein wahrer Riese ist, funktioniert er hervorragend unter Lifestyle-Aspekten. Die samtig-weiße Oberfläche, bildhübsche Keramiktreiber von Accuton und seine lässig nach hinten gelehnte Haltung lassen den Koloss mit dem Hörraum verschmelzen. Wichtiger noch: Karl ist digital, intelligent und aktiv. DACs, eine computergesteuerte Raumklangkorrektur sowie saftige Verstärkerleistung bringt er mit. Man muss einfach die Quelle anstöpseln und kann loslegen. Dirigiert wird alles über eine stilvolle Alu-Fernbedienung. Aus diesem Basiskonzept leitete der Hersteller eine ganze Modellfamilie ab: Karlotta, Karlina, Karlos und Karlsson transferierten das Schnittmuster ihres Ahnen in kompaktere Wohn- und Hörräume.
Und genau darin liegt ein Problem für den Suzerän: Klar, Karl kann zu Recht stolz sein auf seinen klangvollen Nachwuchs. Doch nötigte die Miniaturisierung dem Entwicklerteam um Jens Wietschorke und Götz von Laffert zahllose Problemlösungen ab, die letztlich neue Erkenntnisse brachten und den Umgang mit Treibern und Materialien verbesserten.
Zunächst erfolgten Optimierungen, die sich noch auf den Ahnen übertragen ließen: Die „Pure“-Versionen aller Modelle verzichten auf den integrierten Streamer. Das nimmt den Lautsprechern die Halbwertszeit und steigert die Performance der integrierten DSP-Entzerrung. „Weniger Features, mehr Klang“ lautete die Devise. Zuletzt legten die Hamburger sogar die MDF-Platten zur Seite und entwickelten für ihren kleinen exklusiven Karlsson ein Gehäuse aus Kunststein, das sie augenzwinkernd als „K-Material“ bezeichnen. Das Resonanzverhalten dieser Konstruktion erklimmt ein neues Niveau. Als selbstbewusster Lehnsherr konnte Karl seine wachsende Rückständigkeit nicht tatenlos hinnehmen und verlangte nach einem Upgrade.
Auf nach Hamburg
Als ich an einem Oktobermorgen im Hörraum der Hamburger die Oberfläche des neuen Königs befühle, ist mir die Exklusivität des Augenblicks kaum bewusst. Was ich da betaste, ist Modell „Null“, der Prototyp der neuen Mk-II-Version. Ein weiteres Exemplar steht seit wenigen Tagen im Vorführraum von CM-Audio in Neuss, wie mir Sascha Harbs-Heinsohn erklärt. Er ist im Nebenraum gerade dabei, gemeinsam mit Jens Wietschorke ein zweites Serienmuster zusammenzubauen.
Lyravox hat sich in einem wundervollen Atelier in der Hamburger Jaffestraße niedergelassen. Ein Glücksgriff, wie mir die beiden beim späteren Rundgang erläutern. Das in Gelb und Grün gehaltene Gebäude beherbergte früher die Palmin-Fabrik, war also Ausgangspunkt zahlloser Fondueabende. Viel wichtiger als die spannende Fetthistorie ist für Lyravox allerdings die ruhige Lage. Obwohl die Autobahn nur wenige Hundert Meter entfernt ist, Logistik und Infrastruktur also passen, wirkt der Komplex mit seinem Bootsanleger am Jaffe-Davids-Kanal geradezu idyllisch. Und er bietet Raum für Erweiterung, sollte das offene, lichtdurchflutete Loft irgendwann nicht mehr genügen. „Als wir vor knapp drei Jahren eingezogen sind, war das ein einziger Saal“, erinnert sich Jens Wietschorke. In Eigenleistung unterteilten sie die Fläche in eine Küche, ein kleines Lager sowie in eine Werkstatt fürs „Prototyping“ und den sprichwörtlichen letzten Schliff. Der zentrale Bereich bietet genügend Platz für ein Büro, Montage- und Verpackungsflächen. Und dann ist da noch der riesige Hörraum, der nun nach zahllosen akustischen Verfeinerungen beneidenswert klingt, ohne sich überdämpft anzufühlen. Er wurde so angelegt, dass man in der Mitte des Raums durch Drehen des Stuhls bis zu drei Anlagen hören und vergleichen kann.
Der Entstehungsablauf aller Modelle ist mehr oder weniger gleich: Entwickelt, klanglich abgestimmt und getweakt wird direkt im Haus. Steht das Konzept, vergibt Lyravox Aufträge an verschiedene Spezialisten. Die produzieren Baugruppen oder Gehäusesegmente und liefern sie in geforderter Stückzahl fertig lackiert an. Zu diesen Lieferanten gehört beispielsweise Accuton. Da die Hamburger eng mit CM-Audio Neuss und Mönchengladbach zusammenarbeiten, nutzt Wietschorke jede Gelegenheit, sich bei den kaum vierzig Kilometer entfernten Pulheimern einen Kaffee abzuholen, sich über neueste Accuton-Treiber zu informieren und hier oder dort eigene Anregungen loszuwerden. Die enge Kooperation führte zu einer ganzen Familie von Keramik- und Diamant-Treibern, die für Lyravox maßgeschneidert werden. Einzige Ausnahme sind die großen Basstreiber, die von Scan-Speak zugekauft werden. Ihre kraftvolle Elektronik beziehen die Hamburger von Hypex. Die Class-D-Module werden samt DSP und Hochbit-DAC auf großen Kupferplatten montiert und im Rücken der Lautsprecher verankert. Dabei entwickelt Wietschorke gemäß der Vorgabe, jedem Signalweg seine eigene Kraftzelle zu geben. Für Karl bedeutet das nicht weniger als zehn Endstufen mit einer Gesamtleistung von 2,4 Kilowatt – pro Lautsprecher.
Einige Modelle, wie etwa die Karlsson, haben vor ihrer Vollendung noch einen kurzen Aufenthalt in der Werkstatt. Die Gehäusekanten des kompakten Lautsprechers sind nach der Montage scharfkantig wie ein Skalpell. Sie müssen vorsichtig abgefräst werden, was mir Jens Wietschorke in einer Wolke aus Kunststeinflocken demonstriert. Die Endmontage aller Lautsprecher erfolgt auf einer Arbeitsinsel, die von allen Seiten zugänglich ist. Das ist vor allem bei den größeren Modellen unabdingbar, da man sie kaum allein handhaben kann. Anschließend erfolgen Testläufe sowie die stilgerechte Verpackung in Lyravox-Schutzfolie und robuste Flightcases.
Während unseres Rundgangs entdecke ich überall Zeugnisse von der Umtriebigkeit der Hamburger. Verschiedene Laptops und Messmikrofone, mit denen die Aktivelektronik der Boxen abgestimmt wird, aber auch Bastelkram wie kleine Boxen, die zum Ausprobieren neuer Treiber und Chassis genutzt werden, sowie Muster von Abdeckgittern, die unterschiedlich lackiert, bearbeitet oder sandbeschichtet wurden. In einem Regal des Montageraums fallen mir kleine „Käseecken“ mit interessanten Flachmembranen auf. Sascha Harbs-Heinsohn schnappt sich eine davon und demonstriert mir an der Karl Mk II, dass sie genau in die große Kerbe am Rücken des Prototyps passen. Wie alle Lautsprecher der Karl-Familie besitzt das Oberhaupt Diffusstrahler, zwei kleine Tweeter, die sich am Rücken überkreuzen, sowie einen nach oben abstrahlenden AMT. Die „Käseecken“ zeugen von dem Versuch, die beiden rückwärtigen Tweeter durch einen kleinen Breitbänder zu ersetzen. Das erfüllte aber nicht die Erwartungen, wie ich erfahre, das Diffus-Konzept blieb unverändert.
Die vier Säulen des Karl
Wo wir schon mal am Objekt stehen, will ich wissen, was genau die Mk-II-Version vom Vorgänger unterscheidet. Neben unzähligen Feinheiten in der Konstruktion, neusten Class-D-Modulen der vierten Generation und aktualisierten DACs sind das vor allem vier zentrale Elemente. Es beginnt mit der veränderten Anordnung des Mitteltöners: Saß der bei Mk I noch oberhalb des Hochtöners, wird der brandneue, deutlich leistungsfähigere 4D-Keramiktreiber nun unterhalb des Tweeters montiert – auf Augenhöhe. Das hebt die Präsenz des Lautsprechers und bettet Stimmen sowie Instrumente harmonischer in die übrigen Frequenzen ein. Die drei anderen, von außen nicht unterscheidbaren Siebenzöller arbeiten derweil als Tiefmitteltöner. Anteil an der besseren Gesamtabstimmung hat auch die veränderte Konstruktion des Kolosses. Im Profil bildet Karl nun keine Gerade mehr. Die Gehäusesegmente ab dem Diamant-Einzöller wurden dem Hörplatz entgegengeneigt. Diese minimale „Bananenform“ bemerkt man erst auf den zweiten Blick, die Laufzeitunterschiede der Treiber wurden dadurch aber deutlich verbessert.
Optimierung Nummer drei lehnt sich an den Baustoff von Karlsson an: Aus Kosten- und Gewichtsgründen wäre es undenkbar, einen Riesen wie Karl vollständig aus Kunststein zu fertigen. An dieser Stelle sollte ich anmerken, dass sich Lyravox als Ziel gesetzt hatte, Karl den Zweiten am Verkaufspreis des Vorgängers auszurichten. Die Hamburger fanden trotzdem einen Weg, das vorzügliche Resonanzverhalten ihres Jüngsten auf das Top-Modell zu übertragen. Ins Innere jedes Gehäusesegments werden mehrere H-förmige Kunststeinträger eingesetzt und verspannt. Die drei Stäbe, aus denen diese Träger zusammengefügt sind, werden mit einem Spezialkleber verleimt, der ihr Material auflöst und zu einem einzigen Block vereint. Ein kurzer Klopftest und das Anhalten einer Stimmgabel illustrieren, wie wirksam diese Maßnahme das Gehäuse bedämpft: Die Segmente von Karl Mk II wiegen kaum mehr, sie verhalten sich aber, als handle es sich um massive Steinblöcke.
Veränderung Nummer vier zielt ebenfalls auf das Resonanzverhalten, versteht sich allerdings als Option und Geschmacksfrage: Die gesamte Verstärkerelektronik ist nun in einem separaten Gehäuse untergebracht. Die beeindruckende Komponente besitzt einen massiven Deckel aus Kunststein. Die insgesamt 20 Hypex-Module sind in Fünfergruppen angeordnet, die sich an die Passivkühler der Seitenwände sowie an eine Kühlöffnung im Zentrum des Gehäuses lehnen. Kunden hatten immer wieder Bedenken geäußert, ob die Schwingungen im Inneren des Lautsprechers nicht Einfluss auf die empfindliche Elektronik hätten – oder umgekehrt. Das Argument ließ sich nicht wegdiskutieren: Natürlich brachte die Auslagerung der bestromten Technik einen hörbaren Sprung nach vorn. Aber wie gesagt: Wer es mit dem Lifestyle ganz genau nimmt, kann Karl Mk II wie gewohnt mit internen Verstärkern ordern. Obwohl Weiß mittlerweile die Grundfarbe aller Lyravox-Modelle ist, kann man natürlich auch Farbwünsche für die seidige Lackierung äußern, sollte für diese Maßanfertigung allerdings höhere Lieferzeiten einkalkulieren.
Wer fühlen will, muss hören
Anschließend hatte ich Gelegenheit, einige Songs mit dem neuen Flaggschiff zu hören. Ich erlebte, wie das berauschende Drum-Intro von Phil Collins’ „I Don’t Care Anymore“ den Hörraum auf den Kopf stellte, ließ Kirchenglocken und die beinahe schon groteske Zimmerorgel von Nick Caves „Red Right Hand“ durchs Zimmer wabern und war leibhaftig dabei, als Mr. Cave in aller Intimität sein „Girl In Amber“ ins Mikrofon hauchte. Ich ließ die ersten leisen Takte von Beethovens Siebter erklingen und berauschte mich daran, wie Brandon Perry mit dunklem Timbre „Carnival Is Over“ intonierte und die Hallfahnen in die Ewigkeit entschwanden. Karl bringt solche Momente mit unglaublicher Emotion herüber, bildet mit seinen erstklassigen Tweetern selbst feinste Details ab und wirkt dabei unglaublich holografisch und plastisch. Autorität drückt sich eben nicht nur durch Pegel und Standfestigkeit in den untersten Lagen aus. Das Lyravox-Flaggschiff erinnerte mich daran, dass ein leistungsfähiger Woofer den Lautsprecher als körperliches Objekt verschwinden lässt. Die Abbildung bekommt eine extreme Tiefe und Lässigkeit. Anteil an der überragenden Performance hat natürlich auch das Aktivkonzept. Wie bei vielen Lautsprechern dieser Bauart bilden Treiber und Endstufen eine feste Einheit, wurden miteinander und füreinander entwickelt. Der Lautsprecher besitzt keine analoge Frequenzweiche und verursacht folglich auch keine Phasenfehler. Ergebnis ist ein „Auf den Punkt“-Charakter mit überirdischem Timing, Spielfluss und höchster Präzision. Oder anders gesagt: Karl der Zweite geht direkt unter die Haut.
Der Korrektheit halber sollte ich allerdings anmerken, dass ich den Lautsprecher in seinem Biotop erlebte, in jenem Raum, in dem er auch entwickelt wurde. Wie beim Heimspiel einer Fußballmannschaft verschafft das einen kleinen Vorteil. Dank seines penibel abstimmbaren DSP-Netzwerks – wir konnten dem Prozess bereits in verschiedenen Räumen beiwohnen – lässt sich der Klang des Lyravox-Hörraums allerdings weitestgehend auf andere Umgebungen übertragen. Karl dürfte also in praktisch jeder Umgebung seinen Status als absoluter Top-Lautsprecher wahren.
Info
Aktivlautsprecher Lyravox Karl Mk II
Konzept: aktiver Standlautsprecher mit (optional) ausgelagerter Elektronik
Bestückung: 25-mm-Diamanthochtöner (Accuton BD25), 7″-Mitteltöner (Accuton 4D Keramik), 3 x 7″-Tiefmitteltöner (Accuton C173), 12″-Woofer (Scan-Speak 30W Aluminium), 2 x Diffusfeld-Hochtöner (Vifa XT 25), Diffusfeld-AMT
Verstärker: 10 Class-D-Endstufen der 4. Generation (Hypex N-Core), insgesamt 2400 W (pro Lautsprecher)
Anschlüsse analog: 1 x XLR (symmetrisch), 1 x Cinch
Anschlüsse digital: 1 x S/PDIF (Cinch), 1 x optisch (Toslink), 1 x XLR (AES/EBU)
D/A-Wandler: Hochbit-DAC, verarbeitet Eingangssignale bis 24 bit/192 kHz
Besonderheiten: DSP für Kanalauftrennung (keine analoge Frequenzweiche), integrierte Raumkorrektur (nur für digitale Quellen), bis zu drei Klang- und Room-Setups möglich, automatische Quellenerkennung, Wake-up/Sleep-Automatik, Fernbedienung
Ausführung: Weiß (individuelle Ausführungen auf Anfrage möglich)
Maße (B/H/T): 52/160/46 cm (inkl. Fuß)
Gewicht: 88 kg
Garantiezeit: 3 Jahre
Paarpreis: ab ca. 56 000 € (bei Redaktionsschluss noch eine unverbindliche Voraussage)
Kontakt
Lyravox Gerätemanufaktur
Jaffestraße 6
21109 Hamburg
Telefon +49 40 32089798