Elac, Kiel – Wandel ist die einzige Konstante
Kaum ein anderer deutscher Hersteller kann auf eine derart lange und bewegte Geschichte zurückblicken wie Elac. Wir waren zu Besuch in Kiel und konnten in die fast hundertjährige Historie der „Electroacustic GmbH“ abtauchen.
Sicher kennen Sie Matroschkas. Diese kleinen Holz- oder Kunststoffpüppchen, die sich in der Mitte öffnen lassen, nur um im Inneren ein weiteres Figürchen zu offenbaren. Befasst man sich intensiver mit der Geschichte und den Ursprüngen von Elac, fühlt man sich schnell an dieses Konzept erinnert. Schicht um Schicht lüften sich die Geheimnisse um den Ursprung des Unternehmens, doch zum Kern scheint man nicht vorzudringen. Mit diesem „Kern“ meine ich natürlich ein Gründungsdatum, das der Traditionsmarke einen unverrückbaren Anfang setzt. Der Spielraum ist gewaltig: Je nach Perspektive, Auslegung und Dehnbarkeit des Betrachters könnte das Unternehmen zwischen 36 und sagenhaften 122 Jahren alt sein.
Weil Kieler zum Volksstamm der kühlköpfigen Holsteiner zählen, bevorzugen sie greifbare, pragmatische Lösungen, die sich festnageln lassen und über die man nicht weiter diskutieren muss. Fragt man die Mitarbeiter des Unternehmens, dann jährt sich das Gründungsdatum 2021 zum 95. Mal – weil der Name „Electroacustik GmbH“ (kurz: Elac) 1926 erstmals in den Geschäftsbüchern auftauchte. Etwaige Nachfragen und Einwände kommentieren sie mit einem Schulterzucken und der bundesweit gültigen Eine-Silbe-als-Antwort-auf-alles-Wendung: „Tja!“
Anlässlich des Geburtstags statteten wir Elac einen Besuch im neuen/alten Firmenstammsitz ab. Direkt im Werk erfolgen nur noch wenige Handgriffe. Auf den Arbeitstischen der logisch gegliederten Produktionshallen werden vor allem die sensibelsten Arbeitsschritte umgesetzt. Dazu gehört natürlich in erster Linie die Faltung und Montage der hochsensiblen JET-Tweeter. In der benachbarten Fertigungsstraße werden sie mit zugelieferten Einzelkomponenten verheiratet, die das Unternehmen bei ausgewählten Betrieben nach strengen Vorgaben herstellen lässt. Chassis und Komponenten von der Stange sucht man in den Regalen und Rollwagen vergebens. Überall warten Treiber, mundgerecht gestutzte Kabel sowie vorgefertigte Frequenzweichen auf den Einbau in Gehäuse. Die werden täglich in den Wunschfarben ihrer zukünftigen Eigentümer aus einem Außenlager angeliefert und – außer an Sonn- und Feiertagen – umgehend in fertige Lautsprecherpaare verwandelt.
Man könnte das Ganze für eine durchgetaktete Just-in-time-Fertigung halten, gäbe es da nicht ein feines Detail, das die heutige Elac von ihren Anfängen und vom Gros ihrer Wettbewerber abhebt: Das Unternehmen besitzt trotz seiner Größe einen erstaunlich familiären Teamgeist, den wir in den Gesprächen mit den verschiedenen Angestellten immer wieder zu spüren bekommen. Viele der Mitarbeiter haben ihr gesamtes Berufsleben in der Firma verbracht, sind dort nicht selten seit mehreren Dekaden tätig. Und mehr noch: Das Kieler Unternehmen ist in der norddeutschen Metropole so fest verankert und eingebettet, dass viele von ihnen dort schon zu Schulzeiten ihr erstes Geld verdienten, im Studium dort ihre Praxissemester verbrachten oder bereits in zweiter Generation dort tätig sind. Das schafft eine Verbundenheit, die dem Team Selbstbewusstsein verleiht. Auch wenn es sich wie eine Floskel aus dem Marketing anhört: Vorgänge wie die Tweeter-Montage, das Vorjustieren der Miracord-Dreher oder Endmontage und messtechnische Abnahme der Lautsprecherpaare scheinen hier keine Pflicht zu sein, sondern eine Ehrensache. Sehen wir uns die bewegte Geschichte des Unternehmens doch etwas genauer an.
Ihren Ursprung findet die Manufaktur in der 1899 gegründeten Firma Neufeldt & Kuhnke – und selbst die dürfte noch eine eigene Vorgeschichte haben. Die schnell expandierende Werkstatt fertigte Schiffsmotoren und Marinezubehör, was sie alsbald in Berührung mit der Akustik brachte. Ab 1908 begann ein Team um den Entwickler Dr. Heinrich Hecht nach einer Möglichkeit zu suchen, akustische Signale (gemeint waren damals Morsezeichen) durchs Wasser zu übertragen: Fischkutter A begrüßt Fischkutter B ohne Sichtkontakt – oder so ähnlich. Man sollte bedenken, dass die Funktechnik damals bereits entdeckt war, sich mobil aber noch nicht anwenden ließ. Als sprichwörtliches Nebenprodukt dieser Forschungen erlangten die Kieler tiefgreifende Erkenntnisse in der Wasserortung, die als Echolot oder Sonar noch heute gebräuchlich ist. Eine Pionierarbeit von Weltrang. Der neue Geschäftsbereich erschien den Firmengründern derart vielversprechend, dass sie mit der „Signalgesellschaft mbH“ (1911) eine Tochterfirma gründeten, aus der 1926 schließlich die ELECTROACUSTIC GmbH (kurz: Elac) hervorging.
Neben Sonargeräten entwickelte und baute das frischgebackene Unternehmen in den folgenden zwei Jahrzehnten Höhenmesser für Flugzeuge sowie eine reiche Palette feinmechanischer Apparaturen für den zivilen und militärischen Marineeinsatz. Damit war Elac so erfolgreich, dass der Markenname weltweite Beachtung fand. Schon Mitte der Dreißiger beschäftigte man mehrere Tausend Mitarbeiter und konnte sich mit Fug und Recht als aufstrebenden Konzern betrachten. Um den ursprünglichen Standort im Norden der Stadt entwickelte sich ein Industriekomplex, der bald ein noch heute bestehendes Stadtviertel bildete. Mit Kriegsende im Jahr 1945 kam es dann zur ersten von drei einschneidenden Veränderungen, die sich jeweils als Neugründungen des Unternehmens einordnen lassen.
Als Rüstungskonzern eingestuft, unterlag Elac der britischen Militärverwaltung, erhielt aber noch im Laufe des Jahres die Erlaubnis, zivile Produkte zu entwickeln und zu fertigen. Fast zeitgleich fiel die Entscheidung, weite Teile des zwangsgeschrumpften Firmenkomplexes zur Unterbringung der Kieler Universität zu nutzen, die bis heute dort ansässig ist. In den Wirren der Nachkriegsjahre erlebten die Mitarbeiter das Kommen und Gehen zahlloser Produkte. Zumeist im Auftrag anderer Konzerne fertigten sie eine ganze Palette von Haushalts-, Gebrauchs- und Industriegütern, die heute niemand mehr mit Elac in Verbindung bringen würde: Waschmaschinen, Küchenwaagen, Luftpumpen oder Nähmaschinen, aber auch Kleinstmotoren sowie PKW- und Elektronikteile. Eben das, was am nötigsten gebraucht wurde.
Das Hin und Her endete 1948 durch zwei entscheidende Entwicklungen: Auf der einen Seite befassten sich Elacs Entwickler weiterhin mit ihrer Kernkompetenz, der Echolot-Technologie, die nun als „Fischlupe“ für den kommerziellen Fischfang angeboten wurde und sich zum Verkaufsschlager entwickelte. Zeitgleich etablierten sich die Kieler mit ihren Elektronikteilen in der frühen Unterhaltungselektronik. Im Auftrag von Siemens produzierten sie praktisch alle Radiogeräte der Erlangener. Das führte zu der Überlegung, eigene Entwicklungen voranzutreiben. Bereits 1948 veröffentlichte Elac seinen ersten Plattenwechsler, der sich wegen seiner robusten Konstruktion in wenigen Monaten mehrere Tausend Male verkaufte – eine grandiose Leistung in damaligen Zeiten.
Diesem Anfangserfolg schloss sich eine Flut von Patenten und Entwicklungen an, die sich maßgeblich um die Vinyl-Wiedergabe drehten: So brachten die Kieler Mitte der Fünfziger einen Plattenspieler in den Handel, dessen Name sich auch heute wieder im Produktkatalog findet: Den Miracord, der damals für seine revolutionär einfache Bedienung geschätzt wurde. Bald folgten auch erste Komplettgeräte – bis dahin waren alle Elac-Dreher als pultförmige Einbaugeräte ohne eigene Zarge ausgelegt. 1957 entwickelten die Kieler ihren ersten Magnet-Tonabnehmer, der eine wahre Revolution auslöste. Statt abnutzungsfreudiger Stahlspitzen verwendeten sie erstmals einen Kristall. Das steigerte die Lebensdauer der empfindlichen Nadelträger beträchtlich. Noch wichtiger ist allerdings, dass dieser Abtaster als erstes Moving-Magnet-System (MM) in die HiFi-Geschichte eingehen sollte. Zahllose Fremdhersteller bewarben sich in der Folge um Nachbau-Lizenzen der Elac-Pickups, deren Grundprinzip – das brauchen wir Ihnen nicht zu erklären – bis heute das meistgefertigte für Tonabnehmer ist.
Getragen von diesen Erfolgen zählte Elac gegen Ende des Jahrzehnts zu den weltgrößten HiFi-Herstellern. Über die gesamten Sechziger baute das Unternehmen seine Produktpalette aus. Zu den Plattenspielern und Abtastern gesellten sich Kofferradios sowie die sehr beliebten Trage- und Reiseplattenspieler – die Medien-Portables ihrer Zeit. Außerdem entstanden in Kiel verschiedene Formen von Verstärkern, Kompaktanlagen und Musiktruhen. Damit zählte das Unternehmen zu den großen Vollsortimentern der Elektronik- und Unterhaltungsbranche. Die Siebziger erlebten eine weitere Vergrößerung des Portfolios. Zu den bisherigen Produkten gesellten sich pultförmige Komplettanlagen mit Kassettendecks, für eine kurze Zeit sogar eigene TV-Modelle sowie quadrofonische Verstärker (1979). Infolge der wachsenden Konkurrenz aus Fernost begann es in den Zahnrädern der Elac-Maschine dann allerdings erstmals zu knirschen.
1978 verkaufte das Unternehmen seine Nautik-Sparte. Damit war die zweite große Zäsur gekommen. Die nun deutlich verkleinerte Firma – erst jetzt sprechen wir von Elac als ausschließlicher HiFi-Marke – zog in ein kompakteres Gebäude und fand in John & Partner einen neuen Vertrieb, der die Firma Anfang der Achtziger sogar vollständig übernahm. Der neue Geschäftsführer Wolfgang John dürfte zu dieser Zeit noch nicht geahnt haben, in welch schwierigen Gewässern sich seine neue Firma befand. Spätestens Mitte des Jahrzehnts ließ sich kaum mehr leugnen, dass sich die Marktanteile von Vinyl – und damit die Absätze der Plattenspieler – im freien Fall befanden. Und so folgte schon bald ein weiterer Bruch, der Elac zu dem Unternehmen formte, das wir heute kennen.
Während andere Analogspezialisten ihre Werkstore schlossen, konnte sich Elac durch einen Schritt nach vorn völlig neu aufstellen. Die Übernahme des Herstellers AXIOM aus dem Taunus (1984) transferierte Know-how in der Herstellung von Lautsprechern nach Kiel. Und abermals bewiesen Entwicklung und Fertigung der Kieler ihr Talent, bestehende Technologien nicht nur anzuwenden, sondern in neue Höhen zu treiben. Bereits die frühen Lautsprechermodelle wie die 250-4Pi (1985) führten ein Markenzeichen der Elac-Lautsprecher ein: den bis heute gefertigten 360-Grad-Bändchenhochtöner 4Pi, der Frequenzen bis 50 Kilohertz reproduzieren kann und damit schon bereit war für hochauflösende Medien, lange bevor sie erfunden wurden.
Anfang der Neunziger zeigte ein kurzer technologischer Ausflug, dass Elac weder die Verstärkertechnologie noch die Analogtechnik aufgeben wollte. Mit dem Linear Acoustic LA Tube 1 entwickelten, bauten und vertrieben die Kieler für einige Jahre einen hochkarätigen High-End-Röhrenvollverstärker. Zur gleichen Zeit (1993) stellte Elac auch den Nachfolger (oder besser: eine Variante) des 4Pi vor. Der JET-Hochtöner griff das Konzept von Oskar Heils Air-Motion-Transformer auf und trieb es in neue Auflösungssphären. Wie der Pi reproduzierte der beinahe massefreie JET bereits in seinen ersten Versionen Frequenzen von bis zu 50 Kilohertz und zählt damit zu den leistungsfähigsten Hochtönern am Markt.
Eine weitere Legende entstand 1995. Mit ihrer kompakten Elac 305 präsentierten die Kieler einen perfekten Kompromiss aus Wiedergabetreue, hoher Bandbreite und Kompaktheit. Das robuste Metallgehäuse der kleinen Box hält gehobenen Pegeln stand und macht die „Kleine“ bis heute zum Evergreen: In mehrfach überarbeiteter Version zählt sie als BS 312 noch immer zu den Bestsellern im Sortiment. Mittlerweile ist das Kieler Unternehmen freilich kein reiner Lautsprecherhersteller mehr. 2010 beteiligte sich die Global Legend Holding an Elac und stieß eine ganze Reihe neuer Entwicklungen an. Zu den Früchten zählen die Air-X-Technologie (2013) und mit ihr Aktivlautsprecher, die über Funk angesteuert werden. Damit setzte Elac als einer der ersten HiFi-Hersteller einen hochkarätigen Kontrapunkt zu den trendigen und immer beliebteren Lifestyle-Lautsprechern.
Zum neunzigsten Jubiläum (2016) folgte schließlich ein reinstes Feuerwerk an Neuheiten und Innovationen. Die Übernahme von Audio Alchemy bereicherte das Portfolio um hochkarätige Verstärker und den ersten (und bislang einzigen) Netzwerkspieler mit eingebautem Roon-Server. Zudem legte die Übernahme den Grundstein für eine US-Niederlassung mit eigenem Entwicklerteam. Zuletzt erblickten die Miracord-Plattenspieler mit drei neuen Modellen nach über 40 Jahren wieder das Licht der Welt.
Zur Abrundung ihres runden Jubiläums machten sich die Kieler selbst zwei Geschenke: Mit der Concentro M stellte Elac die bisherige Krönung seiner Lautsprecherschöpfungen vor. Die riesige Standbox – mittlerweile zur vollständigen Familie herangewachsen – brachte alle Kenntnisse, Fähigkeiten und Entwicklungen zusammen, die die Kieler seit Mitte der Achtziger sammeln konnten. Außerdem schloss sich ein Kreis: Zur Jahresmitte zog das Unternehmen wieder zurück an seine ursprüngliche Wirkungsstätte. Der neue Sitz in der Fraunhoferstraße liegt im neu gegründeten Wissenschaftspark der Kieler Universität und schließt direkt an die ehemaligen Gebäudekomplexe der Electroacustic GmbH an. Bei einem Spaziergang über den Campus kann man tatsächlich die ursprünglichen Werkszufahrten, das Haupttor oder eine Turmuhr aus den frühen Jahren entdecken. In dieser Umgebung arbeitet das umtriebige Team an der Vollendung seines ersten Jahrhunderts.
Kontakt
ELAC Electroacustic GmbH
Fraunhoferstraße 16
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