Eavesdrop – The Brooklyn Kissa
Die Kissa-Euphorie hat mittlerweile New York erreicht – auch wenn sie im Big Apple etwas anders interpretiert wird.
Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, ein Kissa-Virus habe die Bars dieser Welt heimgesucht. Immer öfter begegnet man in europäischen und nordamerikanischen Großstädten Clubs, die meinen, in einer gewissen Referenz zu den legendären japanischen Jazz- und High-End-Bars zu stehen, auch wenn man sich selbst als „Listening Bar“ oder „Audio Club“ tituliert. Will man hier die Spreu vom Weizen trennen, empfiehlt es sich, die musikalische und technische Ernsthaftigkeit des jeweiligen Konzepts unter die Lupe zu nehmen. Sehr häufig sind die audiophilen Ingredienzien nur modisches Accesscoire, pures optisches Beiwerk, um mit dem coolen Retroschein riesiger Hornlautsprecher, Röhrenverstärkern oder Laufwerken ein nerdiges und zahlungskräftiges Lifestylepublikum abzufischen, ohne dass aber die Geräte musikalisch und technisch wirklich adäquat zum Einsatz kommen. Eine bemerkenswerte Ausnahme innerhalb des Kissa-Hypes ist das Eavesdrop in Greenpoint, dem nordwestlichen Zipfel Brooklyns. Hier im alten polnischen Arbeiterviertel New Yorks, das sich im Gegensatz zum direkt angrenzenden Hipsterbezirk Williamsburg noch seinen rauen Charme bewahrt hat, haben Dan Wissinger und Max Dowaliby während der Coronapandemie allen unternehmerischen Mut zusammengefasst und ihre sehr spezielle Listening Bar eröffnet. „Die Zeit um 2021 war günstig. Viele Ladenlokale mussten während des Lockdowns schließen, leerstehende Geschäfte fanden keine neuen Mieter, da haben wir voller Optimismus zugeschlagen und sind in ein ehemaliges polnisches Tanzlokal eingezogen“, erzählt Dan Wissinger bei unserem Besuch.
Wie in so vielen New Yorker Bars betritt man zunächst einen schlauchförmigen Vorderraum mit einem langgezogenen Bartresen, der sich nach hinten beinahe quadratisch öffnet. Obwohl es erst 17.15 Uhr ist, als wir zu unserem verabredeten Date eintreffen, ist am Tresen beinahe jeder Platz belegt, und auch vor der imposanten Soundwall im hinteren Raumteil ist bis auf unseren reservierten Tisch alles voll belegt. „Wir haben unsere Bar bewusst zweigeteilt“, erläutert Dan Wissinger die Policy des Eavesdrop. Vorne am Tresen kann man sich bequem und spontan auf ein Bier oder einen Drink einfinden, während im hinteren Bereich vorab reserviert werden muss. „Auch wenn am Tresen ein aus zwei Zwölfzoll-Koaxiallautsprechern, zwei Zehnzoll-Subwoofern und einem Leak-Verstärker bestehendes Custommade-System wunderbar aufspielt, so findet das eigentliche Sounderlebnis hier im hinteren Raum statt. Damit unsere Gäste es auch genießen können, möchten wir hier keine stehenden oder herumlaufenden Leute haben, weshalb wir uns entschlossen haben, in zwei Zeitslots auf Reservierungen zu bestehen.“
Ein sofort einleuchtendes Konzept, zeigt es doch, dass das riesige Soundsystem eben nicht nur trendiges Accessoire, sondern zum bewussten akustischen Genuss gedacht ist. Warum aber nun die beiden Zeitslots 17 bis 20 Uhr und Open End ab 20 Uhr? Ab 20 Uhr legen in der Regel bekannte Gast-DJs auf, die je nach Musikvorliebe von Gästen gezielt besucht werden, um deren Programm in entspannter Atmosphäre lauschen zu können. Die Musikauswahl ist jedoch weniger dem Jazz verpflichtet, als dies in einer klassischen Kissa-Bar der Fall ist, vor allem Soul, Motown, Funk, Fusion oder auch neuere Spielarten von Black Music durchfluten das Eavesdrop. Vor acht Uhr abends sind dagegen die Barkeeper für das Musikprogramm verantwortlich, und vor der Soundwall finden sich kleinere After-Work-Grüppchen, Pärchen zum Dating oder auch neugierige Touristen wie wir ein.
Nachdem Dan Wissinger das Konzept der Bar erläutert hat und wir uns bei einem Schluck Transmitter, einem süffigen Craftbier hier aus Brooklyn, über die sozialen und kulturellen Veränderungen in Greenpoint und Williamsburg unterhalten, bemerkt dieser, wie meine Augen nervös an der Soundwall hin- und herwandern und ich schließlich aufstehe, um die einzelnen Komponenten genauer zu untersuchen. „Ich sehe, ein echter Nerd“, lacht er und erläutert die technischen Details genauer: „Die Hauptlautsprecher sind zwei Danley SH60. Danley ist eine amerikanische Firma, die High-End-PA-Lautsprecher herstellt. Es ist etwas ungewöhnlich, sie in einer HiFi-Anlage einzusetzen, aber für uns funktioniert es perfekt. Sie haben jeweils sieben Treiber, die um das Horn herum angeordnet sind, das Danley „Synergie-Horn“ nennt. Darunter befindet sich jeweils ein Subwoofer-Paar – Seaton Submersive S2 mit insgesamt vier 15-Zoll-Treibern. Angetrieben wird das Ganze von einem Paar Bryston SST.“ Natürlich finden sich in der Mitte des Systems die obligatorischen Technics-Turntables, zwei 1210er –, wobei man bei Eavesdrop in Sachen Vinylhype entspannt bleibt: „Wir sehen das hier zunächst ganz pragmatisch und überlassen es dem jeweiligen Gast-DJ, ob er die beiden 1210er oder ein eigenes digitales Quellgerät verwenden möchte.“ Zu dieser Pragmatik gehört auch, dass in der „Frühschicht“ zwischen 17 und 20 Uhr die Barkeeper die Playlist steuern und dies selbstverständlich via App von der Theke aus erledigen.
Die Bar-Crew schätzt dabei vor allem die schnelle Reaktionsmöglichkeit über die digitale Steuerung, die es erlaubt, mal eben schnell Lautstärke und Sounddesign den Bedürfnissen je nach Besucherdichte oder Musikstil anzupassen. Dan Wissinger ist allerdings mächtig stolz, dass ein Gros der vor Ort vorhandenen kleinen, aber feinen Vinylsammlung aus seiner privaten Schatzkiste stammt. Vor allem der Philadelphia-Sound hat es ihm angetan, und mit spürbarer Begeisterung legt er einige Raritäten auf den Technics-Dreher und lässt die Bryston-Endstufen ein wenig mehr die Muskeln spielen, als dies sonst abends um halb sechs im Eavesdrop üblich ist. Entspannt lehnen wir uns zurück, nippen weiter an unserem Bier und genießen groovige und mit schwelgenden Streichern garnierte Phili-Beats. Das Soundsystem hält dabei perfekt die Balance zwischen einer sorgfältig zusammengestalten High-End-Anlage aus dem heimischen Wohnzimmer und einer hochwertigen PA. Die Hörner und die Subwoofer sind – wenn erforderlich – in der Lage, den hinteren Teil des Clubs mit gehörigem Druck zu beschallen, dennoch ist der Frequenzgang eher in Richtung eines High-End-Systems abgestimmt. Fasziniert stellen wir fest, dass trotz aller dynamischen Klangentfaltung selbst unmittelbar vor der Soundwall noch mühelos Gespräche möglich sind. Dan erklärt auf meine erstaunte Feststellung hin, dass dies auch die Ursprungsidee des Clubs gewesen sei. Ein Großteil der Installationsarbeit sei genau in die Abstimmung zwischen musikalischer Präsenz einerseits und den Kommunikationsbedürfnissen der Gäste andererseits geflossen.
Aber bei der Konzeption des Eavesdrop kam es den beiden Freunden auf mehr als nur eine grandiose Soundanlage an. Den beiden war von Anfang an klar, dass ihre Bar nur dann ein spezieller Ort werden kann, wenn Akustik und Optik, Sound und Atmosphäre Hand in Hand gehen: „Die Bar ist eine überlegte Kombination von mehreren Aspekten, die von unserem Designer Danny Taylor von House Under Magic mit viel Bedacht zusammengestellt und perfekt abgestimmt wurde. Ehrlich gesagt ist die wichtigste Ausrüstung im Haus die akustische Behandlung. Wir haben überall Absorptions- und Diffusionssysteme, die Danny Taylor in die Gesamtästhetik integriert hat, sodass sie eine eigene optische Ästhetik haben und wir sie nicht verstecken müssen. Aus diesem Grund ist es uns auch gar nicht so wichtig, über die verwendeten Tonabnehmer und die Funktion der Hörner zu sprechen. Viele Besucher wollen sich über das Soundsystem auslassen, aber die Wahrheit ist, dass gerade in einer Bar die raumakustische Behandlung genauso wichtig oder sogar wichtiger ist als das verwendete Equipment.“ Ein Konzept, das in meinen Augen aufgeht. Selten habe ich Stunden in einer Bar verbracht, in der Design, Atmosphäre, Musik und auch die Qualität von Drinks und Fingerfood so perfekt Hand in Hand gehen.
Und so lassen wir den Abend bei einem weiteren Transmitter und einigen speziellen homemade Brooklyn Tapas ausklingen, etwa den weißen Bohnen mit Knoblauch und Chips oder den Walnuss-Gnocchi, die uns von unseren Gastgebern besonders ans Herz gelegt werden. Und freuen uns, hier erleben zu dürfen, dass der Kissa-Gedanke modern interpretiert werden kann, ohne seine authentische Seele zu verlieren. Well done, Dan and Max!
Kontakt
eavesdrop
674 Manhattan Avenue
Brooklyn, New York 11222
Öffnungszeiten
Montag bis Donnerstag: 17 bis 1 Uhr
Freitag: 17 bis 2 Uhr
Samstag: 12 bis 2 Uhr
Sonntag: 12 bis 1 Uhr