Clearaudio Firmenreportage – Im Zentrum des Analog-Deltas
FIDELITY zu Besuch bei Clearaudio
In Deutschland steht sie, die weltweit größte Manufaktur für analoge High-End-Spezialitäten. Und wo fühlt sich so ein Analogspezialist am wohlsten? Richtig: mitten im Wald. Das verspricht ungestörtes, ruhiges Arbeiten – und immer mal wieder eine entspannte Zigarette an der frischen Luft …
Als das FIDELITY-Mobil im Schritttempo über den Firmenparkplatz von Clearaudio knistert, tupft der Junior-Chef gerade einen erloschenen Glimmstängel in den Aschenbecher am Haupteingang und winkt uns heran. Robert Suchy, unbeeindruckt von winterlichen Temperaturen ohne Mantel unterwegs, ist bestens gelaunt und bittet Ingo Schulz und mich hinein ins schneeumrandete Clearaudio-Hauptquartier.
Im überschaubaren Windfang leuchtet ein Großbildschirm mit illuminierten Plattenspielern um die Wette. Unübersehbare Hinweise, wo es langgeht: Organisation oben, Produktion unten. Zum Einstieg („Wie wär’s mit ’nem frischen Kaffee, die Herren?“) nehmen wir die Treppe ins Obergeschoss. Cool: In den Edelstahl- Handlauf ist der Firmenname eingefräst. Unmittelbar hinter einer Glastür liegt der Empfangsbereich. Robert Suchy entert ihn mit einem raumgreifenden „Hallo“. Die anwesenden Damen der Buchhaltung schauen kurz hinter ihren Monitoren hervor, erwidern freundlich den Gruß und widmen sich sogleich wieder der geschäftigen Korrespondenz per Telefon, Rechner, Fax. Das zentrale Frontdesk hier wird interessanterweise nicht, wie sonst üblich, von einer Dame im Business-Outfit regiert, sondern von einem freundlichen jungen Herrn mit lässigem Hoodie, Dreitagebart und dezenten Piercings. Hinter ihm an der Wand tickt ein halbes Dutzend Weltzeituhren im XL-Format – New York, London, Erlangen … Das ist durchaus ein Fingerzeig, denn der Exportanteil des Unternehmens pendelt um 90 Prozent. Auf den Schildern angrenzender Räume ist nicht weniger als viermal der Name „Suchy“ zu lesen. Das wiederum darf als Hinweis verstanden werden, dass Clearaudio immer noch ein echtes Familienunternehmen ist – und auch so funktioniert.
Jeden Tag Familientreffen
Diplom-Physiker Peter Suchy gründete Clearaudio 1978 und führte das Unternehmen zu internationaler Größe und Bedeutung. Mittlerweile hat der Senior, Jahrgang 1945, die Geschicke der Firma an seine drei Kinder übertragen. Sie führen das Unternehmen in Arbeitsteilung. Unser heutiger „Guide“ Robert Suchy – Jahrgang 1970, gelernter Feinmechaniker – ist zuständig für Marketing und Export. Sein sechs Jahre jüngerer Bruder Patrick leitet die Abteilungen Design, Entwicklung, Konstruktion und Einkauf. Und Veronika Suchy, geboren 1979, betreut als diplomierte Kauffrau alle Kommunikations- und Personalangelegenheiten sowie den vorbildlichen Netzauftritt der Firma. Der Seniorchef ist immer noch täglich in der Firma anzutreffen, steht seinen Kindern beratend zur Seite. Und noch immer demonstriert Peter Suchy gerne persönlich, was Clearaudio an technischen und klanglichen Spezialitäten zu bieten hat. Deswegen folgen wir ihm nun über den Flur: links Künstlerporträts, rechterhand ein Teil der hauseigenen Vinylsammlung deckenhoch hinter Glas. Dann biegen wir in den großen, dunklen Demoraum ab, der stark an Clearaudios imposante Messeauftritte erinnert. Hier jedoch kann man nicht nur schauen, raunen, staunen, sondern auch richtig Musik hören, selbstredend in allerhöchster Analogqualität. Heute ist sogar ein serienreifer Prototyp einer brandneuen Entwicklung am Klangerlebnis beteiligt, den wir jetzt zeigen dürfen.
Eine gewisse Besessenheit
Peter Suchy eröffnet das seriöse Plattenauflegen augenzwinkernd: „Jetzt werde ich Sie erst einmal bewellen!“ Und schon sitzen wir in der berühmten Carnegie Hall. Der junge Harry Belafonte und sein Orchester sind in Höchstform, die Zuhörer begeistert: Ingo Schulz und ich wechseln uns auf dem Sweet Spot ab und können nur fröhlich kopfschüttelnd zugeben, dass es angesichts des Gebotenen kein Entkommen gibt. Die Kette (Statement-Laufwerk, Tangential-Arm, geheimnisvoll modifiziertes Goldfinger-MC, eigene Elektronik, Ascendo-Toplautsprecher) klingt absolut mitreißend. Der Senior bekennt, dass dieses Ergebnis nur mit einer „gewissen Besessenheit“ für Musik und Technik erzielbar ist. Und nach einer Doppelportion Harry Belafonte und Pink Floyd (The Wall) haben wir jetzt genug Groove für „die kleine Clearaudio-Tour“ getankt. Robert Suchy geleitet uns hinunter ins Erdgeschoss, in die Produktionsebene.
Sooo viele Räume
… Früher produzierte Siemens an diesem Standort empfindliche Röntgenfilme; lang ist’s her. Seit der Jahrtausendwende nutzt Clearaudio das Industriegebäude auf nunmehr 3500 Quadratmetern und fertigt in bester Manufaktur-Tradition alles, was den Herzschlag jedes Analogfans beschleunigt: vom Superlaufwerk, das in voller Ausbaustufe mehr auf die Waage bringt als die Wildecker Herzbuben zusammen, bis zur winzigen Tonabnehmerspule, zart und leicht wie ein Eiskristall. Der Flachbau ist idyllisch von Bäumen und Ruhe umgeben, er liegt aber auch mitten in der Metropolregion Nürnberg. Das ist wichtig und praktisch zugleich, da Clearaudio traditionell engen Kontakt zu Wissenschaft und Forschung pflegt. (Nicht ganz zufällig residiert im gleichen Gebäudekomplex auch die Schwesterfirma NextPEM, die sich mit zukunftsträchtigen Branchen wie Brennstoffzellen- und Elektrolyse-Systemen sowie regenerativen Energien beschäftigt.) Solarzellen auf dem langgestreckten Dach können bis zu 50 kW Leistung erzeugen, was ausreicht, um einen Großteil der CNC-Maschinen mit Strom zu versorgen. Und davon gibt es eine ganze Menge bei Clearaudio.
Ein zentral gelegener langer Flur führt im Erdgeschoss von Raum zu Raum und scheint kein Ende nehmen zu wollen. Sachkundig erläutert Robert Suchy das Geschehen, kennt jede Maschine, jeden Handgriff. Das Team lässt sich aber weder durch Chef noch Besucher stören. In einem Raum wird das Einsteigermodell Concept mit Arm und System komplettiert, nebenan lötet jemand an Modulen für die Plattenwaschmaschine Matrix, im größeren Raum gegenüber fräst eine 5-Achsen-CNC-Drehbank hochpräzise 3D-Teile aus Metall. Etwas weiter hinten montieren drei Experten die markanten Innovation-Laufwerke aus Panzerholz und Alu-Elementen, noch zwei Türen weiter fügt ein konzentrierter junger Mann Tellerlager-Elemente zusammen. Dutzende Tonarm-Rohre warten auf die Hochzeit mit passenden Lager-Elementen, Headshells und Lift-Modulen, alles in Griffnähe. Auffällig viele Prüf- und Messinstrumente stehen überall parat, Hochleistungskleber, Reinigungs- und Schmiermittel sowieso. Witziges Kontrastprogramm: Irgendwo dudelt ein Radio aus DIY-Pappwürfeln unter der Decke.
Immer auf Bewährung
Nicht auf allen Plattenspielerzargen und Tonarmen ist das hauseigene Logo zu entdecken. Clearaudio ist stark im OEM-Geschäft verankert, baut und entwickelt zum Beispiel für Marantz und McIntosh, insgesamt für 16 Auftraggeber – wovon etliche aber auf gar keinen Fall genannt werden wollen. Robert Suchy schweigt zu den Namen wie ein Grab, verrät aber immerhin, dass Clearaudio mit der OEM-Fertigung etwa ein Sechstel seines Umsatzes generiert, Tendenz steigend.
Wenn es sich nicht gerade um eine individuelle Sonderanfertigung handelt, werden Laufwerke, Tonarme und Plattenwaschmaschinen üblicherweise in Serien von 20 bis 50 Einheiten produziert. Danach steht dann wieder ein anderes Produkt auf dem Tagesplan. Dabei sind die unvermeidlichen Schmutzarbeiten, etwa die Rohbearbeitung großer Metallwerkstücke, in Betriebe im Umland ausgelagert. Hier vor Ort kümmert man sich nach Anlieferung – und Qualitätskontrolle! – um alle weiteren Veredelungs- und Montageschritte, misst und prüft und justiert bis zum komplett versandfertigen Produkt. Dabei, so Robert Suchy, erfülle man alle Auflagen von Behörden und Prüfinstanzen ohne Wenn und Aber. Erst jüngst habe man für die neue Palettenwickelmaschine und eine erweiterte Zertifizierung durch das Luftfahrtbundesamt entsprechende Mitarbeiterschulungen durchgeführt.
Schatzkammern
Allmählich scheinen wir die hinteren, ruhigeren von gefühlt hundert Räumen zu betreten: Schatzkammern der besonderen Art. Hier entstehen die Juwelen der Analogtechnik, die Tonabnehmer. Wir werfen einen mikroskopischen Blick auf die Spulenwicklung für die MC-Systeme. Die fertig gewickelten Spulen aus hauchzartem Golddraht sind derart winzig, dass die Kameraausrüstung an ihre Grenzen stößt. Auch die superstarken Miniaturmagneten, die hier einzeln penibelst ausgemessen und zu perfekten Sets zusammengestellt werden, sind eine echte Herausforderung. Gut möglich, dass aus exakt diesen Spulen, exakt diesen Magneten nach endloser, minutiöser Feinarbeit ein Goldfinger entsteht. Dessen Massivgold-Gehäuse fertigt Clearaudio ausnahmsweise nicht selbst, man vertraut auf die perfekte Zulieferqualität eines bewährten Juweliers.
Fix und fertige, selbstverständlich streng geprüfte MC-Tonabnehmer landen schließlich in einer Art Tresor – ready for sale. Ein paar Meter weiter nebenan in einer Glasvitrine glitzern historische und aktuelle Tonabnehmer auf mehreren Ebenen, ein Dorado für analoge Feinschmecker. Übrigens: Im Gegensatz zu den superfiligranen MCs basieren Clearaudios Moving-Magnet- Systeme auf Audio-Technica-Modellen; die MM-Systeme haben auch den größeren Anteil an jährlich mehr als 10 000 verkauften Tonabnehmern.
Zum Abschluss der Tour weckt eine kleine, unscheinbare Tür mein Interesse. Nanu, arbeiten hier etwa auch Hobbits? Robert Suchy, der neben dieser Tür plötzlich wie ein Riese wirkt, öffnet die Tür und zeigt hinunter in einen verwinkelten, sehr ungünstig geschnittenen Kellerraum, der nicht genutzt wird und leer steht …
Global Player from Franconia
Ein paar Zahlen gefällig? Clearaudio beschäftigt – inklusive fünf Auszubildenden – über 40 fest angestellte Mitarbeiter. Mit zwei Dutzend engagierter Fachhändler in Deutschland macht man rund zehn Prozent des Umsatzes (ca. 6 Mio. Euro). Es wird also fleißig exportiert, und zwar in über 80 Länder, vor allem die USA ist ganz wild auf „analogue High-End-Audio from Central Franconia“. Wie war das noch mit dem Propheten, der im eigenen Land nichts zählt?
Das Deltasymbol
Uns beeindruckt am meisten, dass Clearaudio mit geradezu wissenschaftlicher Akribie und einer Fertigungstiefe nahe 100 Prozent die klassische Analogtechnik verteidigt und perfektioniert – und zu immer neuen Highlights führen will, die Bearbeitungs-, Veredlungs- und Forschungsprozesse sprechen da für sich. Überraschend auch, auf wie vielen „Fremdgebieten“ sich der Analogspezialist äußerst geschickt bewegt, womit nicht nur die OEM-Fertigung gemeint ist, Stichwort: NextPEM. Clearaudio hat also noch viel vor. Das Firmenlogo jedoch, so Peter Suchy, führe immer wieder direkt zur Musik zurück: „Das Delta symbolisiert für mich die vierte Dimension in der Musik: die Emotion! Und darauf kommt es letztlich immer an!“