FIDELITY Wissen: Bassreflex- und geschlossene Lautsprecher
Ein Bassreflexkanal kommt dem „Free Lunch“, das es im Ingenieurswesen bekanntlich nicht geben kann, verblüffend nahe: Man bohre einfach ein Loch ins Gehäuse, und der Lautsprecher liefert tieferen Bass. Ganz so simpel ist es freilich nicht – vor allem, sobald der Raum ins Spiel kommt, bietet das augenscheinlich unterlegene Konzept des geschlossenen Lautsprechers unerwartete Vorteile.
Um das Für und Wider von Bassreflex- und geschlossenen Lautsprechern beurteilen zu können, ist es hilfreich zu verstehen, wie Schallwandler und Raum aufeinander reagieren. Hierzu müssen wir uns zunächst die Mechanik der Basswiedergabe im Schallwandler selbst näher ansehen. Die Schwingspule, die die Membran in Schwingung versetzt und so Schallwellen im Raum erzeugt, ist im Tiefton nur die Hälfte der Gleichung, denn – Stichwort Schwingung – Membran und Schwingspule bilden eine federnd aufgehängte Masse, die deshalb auch eine Eigenfrequenz hat, auf der sie besonders gerne schwingen möchte. Die Federhärte ergibt sich aus der Steifigkeit der Aufhängung und dem im Lautsprechergehäuse eingeschlossenen Luftvolumen, das sich ebenfalls wie eine Feder verhält: Je kleiner das Volumen, desto größer die Luftdruckveränderung bei gleichem Membranhub, mit anderen Worten, desto straffer das Luftkissen, das das Treiberverhalten kontrolliert. Dass die Eigenfrequenz proportional zur Federhärte steigt und ebenso proportional zur aufgehängten Masse sinkt, ist einer der Gründe, warum Basschassis groß sind und gerne über massige, vierlagige Kupferschwingspulen verfügen. Ebenso erschließt sich, warum große Gehäuse tiefere Eckfrequenzen ermöglichen: Die eingeschlossene Luft setzt dem Hub weniger Federhärte entgegen und bedingt somit eine niedrigere Eigenresonanz. Bis hinunter zu dieser Resonanzfrequenz arbeitet der Treiber effizient. Darunter arbeitet das Luftvolumen zunehmend nicht mit, sondern gegen den Treiber, wodurch der Schallpegel mit 12 Dezibel/Oktave absinkt.

Da viele Musikfreunde nur begrenzt Geduld mit kühlschrankgroßen Lautsprechern haben, begannen Entwickler früh, nach Wegen zu suchen, auch kleineren Gehäusen Tiefbass zu entlocken und kamen irgendwann auf das Bassreflexprinzip, das heute die dominierende Bauform darstellt. Nimmt man einen luftdichten Behälter und verbindet ihn über einen Kanal mit der Außenluft, erhält man einen Helmholtz-Resonator. Ein Beispiel für einen solchen, das jeder schon mal in der Hand hatte, ist eine leere Flasche: Das Verhältnis der Luftmasse im Flaschenhals zum Volumen ihres Korpus bestimmt, auf welcher Tonhöhe sie summt, wenn man über ihre Öffnung bläst. Ein Bassreflexgehäuse funktioniert nach genau dem gleichen Prinzip; den Port können wir uns als nach innen gestülpten Flaschenhals vorstellen.
Wie uns das zu tieferem Bass verhilft? Indem wir diese Resonanz dazu ausnutzen, dem Lautsprecher unterhalb seiner Komfortzone auf die Sprünge zu helfen. Mit ein wenig Entwicklergeschick lassen sich Gehäusevolumen, Bassreflexkanal und Basstreiber so aufeinander abstimmen, dass sich unterhalb der Resonanz des Treibers im Gehäuse eine Anhebung im Frequenzgang ergibt, die diesen linear nach unten erweitert – Bonus-Bass, nur mit ein wenig Luft und Hirnschmalz realisiert.

Da es den eingangs erwähnten „Free Lunch“ jedoch in der Tat nicht gibt, bringt dieser Kniff auch Nachteile mit sich; der für unser Thema relevante ergibt sich logisch aus dem Funktionsprinzip: Der Pegel der Bassreflexresonanz sinkt zu beiden Seiten mit je 12 Dezibel/Oktave ab – dadurch ist es überhaupt möglich, den Bassabfall des Treibers mit dem Anstieg zur Port-Resonanz hin zu einer glatten Übertragungsfunktion zu addieren. Unterhalb der Tuningfrequenz addieren sich die Filterflanken ebenfalls – allerdings sind sie hier nicht gegenläufig und heben sich deshalb nicht gegenseitig auf, sondern verstärken sich im Gegenteil, sodass der Basspegel eines Bassreflexlautsprechers unterhalb seiner Eckfrequenz um 24 Dezibel/Oktave abfällt.

Und das bringt uns nun endlich zur Interaktion mit dem Raum, der einen erheblichen Einfluss auf die Basswiedergabe hat. Hier interessiert uns vor allem der „Room Gain“, ein Druckkammereffekt, der unterhalb der Frequenz eintritt, deren Wellenlänge dem Doppelten der Raumlänge entspricht (in einem typischen Wohnzimmer um 30–40 Hz). Unterhalb dieser Tonhöhe steigt der Pegel theoretisch mit 12 dB/Okt. an – also mit genau derselben Flankensteilheit, mit der ein geschlossener Lautsprecher nach unten hin Bass „verliert“. Da unsere Wohnräume weder vollständig schallhart noch luftdicht sind, ist der Anstieg in der Praxis geringer, doch das lässt sich über Grenzflächenverstärkung durch wandnahe Aufstellung auffangen. Natürlich gestaltet sich im echten Leben alles deutlich komplizierter, als es zwei simple Formeln ausdrücken können, doch prinzipiell lässt sich die Basswiedergabe geschlossener Lautsprecher relativ leicht gewinnbringend mit der Raumverstärkung verbinden, sodass man ein ordentlich tiefes und vor allem ausgewogenes Tieftonfundament erhält. Bei Bassreflexlautsprechern ist dies wesentlich kniffliger, da diese oft bis unter die Raumverstärkungsfrequenz linear arbeiten, darunter aber wesentlich steiler abfallen, als es der Druckkammereffekt kompensieren kann. Gerade wenn man keinen allzu großen Raum beschallen muss, sollte man sich daher nicht vom auf dem Papier beeindruckenden Tiefgang diverser Bassreflexlautsprecher ködern lassen – ein zum Raum passend gewähltes geschlossenes Modell kann durchaus die bessere Wahl sein.