Nick Waterhouse – Druck, Energie, Dynamik
Nick Waterhouse kennen viele nur als den „Katchi“-Typen, seit ein Remix seines Songs die Charts eroberte. Eigentlich aber steht sein Name für authentischen Rock’n’Roll und Soul. Für die Aufnahmen zu seinem neuen Album The Fooler begab der Kalifornier sich in die Südstaaten-Sümpfe zu einem Meister des Vintage-Sounds.
Es ist 20 Uhr an einem Freitagabend. Nick Waterhouse erscheint auf dem Bildschirm. Er trägt ein weißes T-Shirt. Seine Wangen glänzen frisch rasiert, ein sparsamer Schnurbart ziert die Oberlippe. Die Frisur ist noch etwas zerzaust, tatsächlich. Denn üblicherweise sieht Waterhouse – meist akkurat gescheitelt, mit dunkler Hornbrille und Vintage-Outfit – aus wie ein den fünfziger Jahren entstiegener Collegestudent. Jetzt steht er offenbar in seiner Küche, im Hintergrund sind Herd und Kühlschrank zu erkennen. In Los Angeles hat der Tag erst begonnen, es ist 10 Uhr vormittags. Waterhouse’ warme Stimme, die nicht zur jungenhaften Erscheinung passen will, summt in den Kopfhörern. Ob es okay wäre, wenn er sich parallel ein paar Eier briete? Er habe noch nicht gefrühstückt. Aber kein Stress, er sei entspannt: „Let’s do it!“
FIDELITY: Herr Waterhouse, zunächst einmal möchte ich Ihnen danken. Kennen Sie Let’s Dance? Meine Töchter verlangen, dass ich die Sendung mit ihnen zusammen ansehe. Aber ich habe zum Glück eine Ausrede: dieses Interview.
Nick Waterhouse: Keine Ursache, mein Ding ist das auch nicht. Ich habe mir die Sendung genau einmal angeschaut. Ein Paar hatte da zu einem Song von mir getanzt, zum Dance-Remix von „Katchi“. Das wollte ich mir dann doch nicht entgehen lassen.
Sie machen Musik, die eigentlich weit weg von Let’s Dance und vom Mainstream ist. Sie hat ihre Wurzeln im Soul, im Blues, im Rock’n‘Roll. Dabei sind Sie in den neunziger Jahren aufgewachsen, mit Grunge und Techno. Man könnte sich fragen, ob Sie in der falschen Zeit geboren wurden …
Man könnte. Fragt man sich aber, ob Bob Dylan vielleicht besser in der Dust-Bowl-Ära in den 1930er Jahren gelebt hätte? Das macht für mich keinen Sinn. Die neunziger Jahre haben mich nicht daran gehindert, heute die Musik zu machen, die ich mag. Ich muss zum Beispiel auch keinen 1957er Chevy Bel Air fahren, nur weil ich eine Musik spiele, die ihre Wurzeln in jener Zeit hat. Nein, ich lebe genau in der richtigen Zeit.
Sie sagten einmal, Sie seien mit „BBQ-Musik“ groß geworden. Was ist das denn?
Mein Vater war Feuerwehrmann, und eigentlich jedes Wochenende gab’s irgendeine große Grillparty im Freundeskreis. Da wurde BBQ-Musik gespielt. Musik zum Tanzen, Party-Musik. Oft live. Rock’n’Roll, Soul, Klassiker wie „Mustang Sally“, „R.E.S.P.E.C.T.“. Alle tanzten. Dieser BBQ-Groove hat mich geprägt. Wenn ich Songs schreibe oder live spiele, dann steht der Rhythmus im Vordergrund. Immer. Der Schlagzeuger ist mein bester Freund (lacht).
Sie haben Literatur studiert. Musik ist ja auch eine Art Sprache, mit der man sich ausdrückt. In Ihrem Fall mit Soul und Rock’n’Roll. Das sind Sprachen, die von immer weniger Menschen gesprochen werden.
Statistisch betrachtet ist das richtig. Auf der anderen Seite: Für mich sind es die einzigen Sprachen, die ich spreche. Und sie bringen mich zusammen mit anderen Menschen, die sie auch sprechen. Vor ein paar Jahren rief mich zum Beispiel Joshie Jo Armstead an, damit ich ihren Song „I Feel An Urge Coming On“ aufnehme. Diese Frau hat schon für Ray Charles Songs geschrieben. Ich sehe mich nicht als Bewahrer einer sterbenden Kultur. Ich folge einfach meinen Instinkten.
Sie sind in Kalifornien aufgewachsen. In „Surf City“ Huntington Beach, weit weg von den Rock’n’Roll-Wiegen in Memphis oder Muscle Shoals.
Ich bin ein Orange-County-Junge, das stimmt. Mein Vater ist im Jahr 1959 geboren und in den Siebzigern groß geworden. Er hörte kalifornischen Punk, Black Flag, Germs. Irgendwann hat er mir eine Kiste mit Kassetten gegeben – ‚kannst ja mal reinhören.‘ Meine Mutter wiederum hat viel Blues und Soul gehört, Otis Redding, John Lee Hooker. Ich hatte einen sehr bunten Input. Orange County ist zudem sehr heterogen. Ich bin nicht am Strand groß geworden. Eher in East L.A., wo viele Menschen mit hispanischen Wurzeln leben. Viele Schwarze auch. In den Straßen hing irgendwie immer Musik. Black American Music, Motown, Muscle Shoals Sound Studios. Das war mir viel näher als die kalifornische Surf Music.
Sie sind Vinyl-Fan, besitzen heute allein 15 000 45er-Singles, heißt es.
Ganz genau.
Die können Sie doch unmöglich alle gehört haben.
Jede einzelne! In den vergangenen zwei, drei Jahren hatte ich ja viel Zeit.
Welche Singles haben Sie inspiriert zum neuen Album The Fooler?
Doris Troy, He Don’t Belong To Me. Gene Pitney, Backstage. Wunderbar. Viele alte Sachen aus der Zeit der Bell Sound Studios in New York, damals, als Buddy Knox, Ben E. King, auch Ray Charles dort ihre Platten aufnahmen. Mich hat aber eigentlich kein konkreter Künstler inspiriert. Es war eher dieses Gefühl einer Zeit, eines Sounds. Bestimmte Echo-Effekte, Stimmungen. Die Art des Songwritings. Ich hatte außerdem riesiges Glück. Ich krieg’ jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Kurz vor den Aufnahmen fiel mir der Original-Gitarren-Amp aus den Bell Sound Studios in die Hände, der bei den Bacharach-Sessions von Dionne Warwick zum Einsatz kam.
Sie haben das Album dann in Georgia aufgenommen. Produzent war Mark Neill, Grammy-Preisträger für seine Arbeit am Black-Keys-Album Brothers, Experte für authentischen Vintage-Sound. Bis dahin hatten Sie Ihre Platten selbst produziert.
Wer zu Mark geht, muss sich klar sein: Du arbeitest nach seiner Pfeife. Er produziert dich, Punkt. Wir haben zuvor unendlich oft und lange telefoniert, er ist ein Pedant, und das ist gut. Ich wollte mich dieses Mal ganz aufs Songschreiben und Performen konzentrieren.
Auf der Homepage seiner Soil Of The South Studios steht: „Es ist wichtig, dass Neill in einer Gegend unweit des Okefenokee-Sumpfes produziert, weil dort eine gewisse Feuchtigkeit, ein niedriger barometrischer Druck in der Luft liegt, den man sonst nirgendwo findet.“ Haben Sie diese Vibes gespürt?
Oh, yeah. Mark ist ein geheimnisvoller, ein fast mystischer Mensch. Er hört und fühlt mit allen Sinnen, wenn man das so sagen kann. Er ist ein Sound-Guy. Sound, das bedeutet Druck, Energie, Dynamik. Die Schwüle, die Feuchtigkeit der nahen Sümpfe, das alles ist wichtig und spielt hinein in einen unverwechselbaren Sound. Mark hat zudem viele Studios designt und aufgebaut, die bekannten Toe Rag Studios in London, wo die White Stripes ihr Album Elephant aufgenommen haben. Das Homestudio von Dan Auerbach. Mark ist seit den Siebzigern unterwegs, er hat mit den Talking Heads gearbeitet, hat später Garage-Punk gemacht, ist dann beim Rockabilly gelandet. Mark Neill, das ist die Verschmelzung von Sound-Mathematik und einem irgendwie höheren Spirit. Das sind die Vibes, die The Fooler prägen.
Auf The Fooler sind sehr unterschiedliche Klangcharakteristiken zu finden: „Hide And Seek“ hat ein flirrendes Westküstenfeeling. „Play To Win“ erinnert an den Soul-Sound von Muscle Shoals. Bei „Late In The Garden“ singen Sie in einigen Momenten fast wie ein Punkmusiker. Ist das jeweils eine bewusste Entscheidung, oder kommt das einfach so heraus aus Ihnen?
Es kommt einfach so heraus. Und Mark wusste, wie er es noch weiter herauskitzelt. Er hat selbst in den Muscle Shoals Studios in Alabama gearbeitet, er kennt die Swampers, die Hausband, die diesen unvergleichlichen Sound geschaffen hat. Mark weiß, welche Knöpfe er drücken muss.
Erläutern Sie das doch mal anhand eines Songs.
„Late In The Garden“ ist ein gutes Beispiel. Mark gab mir diese alte Gitarre mit Saiten aus Tierdarm. Ich hatte bis dahin noch nie auf einer Gitarre mit Gut-Strings gespielt. Ich spiele also ein Riff und singe dazu, und Mark sagt: Okay, that’s it, so bleibt es. Er setzt sich an die Drums, mein Kumpel Doc geht ans Piano, innerhalb von 20 Minuten steht der Song. Ich hätte nie gedacht, dass am Ende ein Song auf der Platte ist, der wie in Muscle Shoals aufgenommen klingt. Mit diesem warmen Southern-Groove.
Dann aber spielen Sie auch Westcoast-Sound bei „Hide & Seek“ …
Ich mag dieses luftige, sommerliche Ambiente. Mark hat dazu noch seinen unverwechselbaren rockigen Stempel draufgesetzt. „Play To Win“ hingegen klang am Anfang fast wie ein Jazz-Standard, den wir aber dann im Country-Style einspielten. Mark war ständig am Korrigieren: Versuchs einen Halbton tiefer. Geh’ von Dur zu Moll, solche Sachen. Das klingt dann so (Nick Waterhouse beginnt zu singen): I don’t know how to play hearts, and I don’t know how to play gin…
Sie haben Literatur in San Francisco studiert, das hört man Ihren Songtexten auch an, finde ich. „Late In The Garden“ erinnert mich an eine Mischung aus Kafka und Bob Dylan.
Wow, Kafka. Ich habe mich eigentlich eher von James Joyce beeinflussen lassen. Außerdem hat der Song biblische Untertöne. Es geht ja um das Wunder des zwischenmenschlichen Zusammenseins, mit dem Blick des Erzählers nach innen. Aber Kafka?! Das ist düster. Der Song soll eigentlich das bebende, lebendige Herz des gesamten Albums sein! Ich muss doch fragen: Was macht den Song für Sie zu einem Kafka-Song?
Ich denke nicht an die fatalistische Stimmung in Die Verwandlung oder Das Urteil, so meine ich das nicht. Eher im Sinne von kafkaesk, also verschachtelt von der Bedeutung her. No one could tell but, deep inside, I was bound for my eternities with hands untied, down in the garden – da bin ich mir nicht ganz sicher, die Metaebene richtig verstanden zu haben …
Kein Wunder, ich habe ja mindestens drei Metaebenen eingebaut (lacht). Jeder kann für sich entscheiden, was er aus dem Song heraushört. Ich bin aber beruhigt, dass Sie mich nicht als Schüler von Kafka sehen. Wobei ich mich schon oft wie in einem Kafka-Roman gefühlt habe bei den Versuchen, Fuß im Musikgeschäft zu fassen.
Ist es nicht auch kafkaesk, dass das französische DJ-Duo Ofenbach Ihren Song „Katchi“ remixte und Sie damit die Spitzen der Charts stürmten? Sogar bei Let’s Dance wurde dazu getanzt.
Das ist Kafka in Reinform. Das Leben ist ja gerne absurd. Der Song ist ziemlich einfach, auch in meinem Original. Ein Rock’n’Roll-Song, der in der Ofenbach-Version vermutlich unsterblich geworden ist. Mir ist schon klar, dass eine Menge Leute ihn mittlerweile nicht mehr hören können. Aber wen kümmert’s? Fuck it, sage ich. Es war auf jeden Fall eine gute Geschäftsentscheidung.
Nick Waterhouse, 37, ist weltberühmt, seit das französische DJ-Duo Ofenbach 2017 mit dem Remix des Waterhouse-Songs „Katchi“ die Charts stürmte. Waterhouse wuchs in der kalifornischen Surfer-Stadt Huntington Beach als Sohn eines Feuerwehrmannes und einer Verkäuferin auf, studierte in San Francisco Literatur und erlebte vor rund zehn Jahren seinen Durchbruch als Musiker mit seinem ersten Album Times All Gone. Gerade erschien sein mittlerweile sechstes Studioalbum The Fooler (Label: Innovative Leisure).
The Fooler von Nick Waterhouse auf Bandcamp