FIDELITY Feedback: John Cage – Präpariertes Klavier audiophil
Unter Musiktheoretikern wird mitunter die Diskussion geführt, um welche Art von Instrument es sich eigentlich beim Klavier handelt. Die allgemeine Bezeichnung „Tasteninstrument“ trifft es nämlich nur sehr ungenau, wird doch die Art der Tonerzeugung damit in keiner Weise erfasst. Konsequenter wäre es da schon, von einem Saiteninstrument zu sprechen, sind es doch unterschiedlich lange Saiten, die durch das Aufschlagen von kleinen Filzhämmern zum Schwingen gebracht werden. Ganz Wagemutige gehen gar so weit, das Klavier unter den Schlaginstrumenten zu verorten, werden doch die Saiten wie das Fell einer Trommel mit einem Schlägel, hier eben besagter Filzhammer, geschlagen. Diese müßige akademische Diskussion soll aber nicht unser Gegenstand sein, sondern nur verdeutlichen, dass es eine keineswegs abwegige Nähe zwischen Klavier und Schlagzeug gibt, die bereits im frühen 20. Jahrhundert Komponisten wie Bartok, Strawinsky, Satie oder Antheil fasziniert hat. Es verwundert nicht, dass es gerade amerikanische Komponisten waren, die hier sehr konsequent vorgegangen sind, fehlte hier doch das belastende europäisch-romantische Erbe klangschöner Klaviertitanen wie Chopin oder Liszt.
Charles Ives experimentierte mit Vierteltonstimmungen, die das Klavier eigenartig schweben ließen, Antheil fügte das Klavier in seiner Jazz Symphony dem übrigen dominaten Schalgzeugpark hinzu und Henry Cowell wurde dem Instrument gegenüber handgreiflich, indem er ihm durch Dämpfen und Blocken einzelner Saiten mit den Händen neue, überwiegend perkussive Klänge entlockte. So verwundert es auch nicht, dass gerade John Cage als Schüler Cowells im Manipulieren und Präparieren der Klaviersaiten seine musikalische Grundüberzeugung verwirklicht sah: „Es gilt das akademisch verbotene, nichtmusikalische Klangfeld, soweit dies manuell möglich ist, zu erforschen.“
Die ersten Klavierpräparationen vollzog Cage 1940 aus ganz pragmatischen Gründen; für die Studentin Syvilla Fort an der Cornish Dance School in Seattle musste Cage ein Begleitstück komponieren, das sich auf afrikanische und asiatische Perkussionsmusik beziehen sollte. Da aber lediglich ein Flügel zur Verfügung stand, besann sich Cage auf die Experimente seines Lehrers Cowell und fing an, die Saiten des Flügels mit Schrauben, Bolzen und Radiergummis zu versehen. Der Vorteil gegenüber den mit den Händen ausgeübten Saitenmanipulationen Cowells war es nun, dass der Pianist beide Hände frei hatte und ganz gewohnt und traditionell auf den Tasten spielen konnte, dabei aber den Klang eines Percussionensembles produzierte. In den 1940er Jahren verfeinerte Cage diese Methode der Präparation so weit, dass er sich dazu in der Lage sah, in Anlehnung an Bachs Präludien und Fugen für das Wohltemperierte Klavier einen eigenen großen Zyklus mit dem Titel Sonatas and Interludes for prepared piano zu komponieren, der nach zweijähriger Arbeit im Januar 1949 von der Pianistin Maro Ajemian, der der Zyklus auch gewidmet ist, uraufgeführt wurde. Wesentlich sind für Cage nach eigener Aussage vier Effekte, die durch das Hinzufügen der Präparationsmaterialien erreicht werden: das Dämpfen der Saiten bis hin zum Verstummen, das Ändern von Klang und Stimmung bzw.das Verändern des Obertonspektrums, das Splitten einer Saite in mehrere Klangbereiche und das Verkürzen der natürlichen Nachschwingzeit der Saite. Geprägt ist Cages Denkweise in dieser Zeit zudem von fernöstlicher Philosophie, speziell von Ananda Coomaraswamys Werk The Transformation of Nature in Art: The Dance of Shiva. Hinzu kommt die musikalische Zusammenarbeit mit der indischen Musikerin Gita Sarabhai, so dass insbesondere die rhythmische, aber auch die melodisch-harmonische Struktur der Sonatas and Interludes gewissermaßen Cages West-Östlicher Divan ist.
Bereits 1951 entstand bei Dial Records die erste Plattenaufnahme, selbstverständlich mit Maro Ajemian am Klavier. Bis heute sind über 30 verschiedene Aufnahmen des Werks entstanden, wovon einige mittlerweile Klassikerstatus haben, wie etwa die Aufnahme JohnTilburys, ursprünglich für Decca Head eingespielt, mittlerweile aber in mehreren digitalen Reissues erschienen. Zu Cages 100. Geburtstag im Jahr 2012 veranlasste der John Cage Trust dann eine Produktion, die in Aufmachung, Aufnahme und Interpretation einmalig ist. Im Eigenvertrieb wurde eine allen audiophilen Ansprüchen genügende 45-rpm-Box mit drei 200-Gramm-LPs herausgegeben, die zusätzlich ein 40-seitiges bibliophiles Beiheft enthält, das mit Fotos in herausragender Qualität die unterschiedlichen Präparationstechniken dokumentiert und erläutert. Die Box selbst ist mit den originalen Aufbewahrungskisten der Präparationsmaterialien versehen, die auch in der Cage-Literatur kaum dokumentiert sind. So hat der John Cage Trust erreicht, dass die Anschaffung dieser LP-Box allein aus dokumentarischen Gründen geboten ist. Aber auch die technische Fertigung der drei bei Quality Record Pressings in Salina, Kansas, produzierten LPs kann vollends überzeugen. Selten bekommt man solch plane und frei von Nebengeräuschen produzierte Platten, auch nicht immer bei angeblich highendigen Hochpreisprodukten. Die Wahl der Pianistin ist nicht umsonst auf Nurit Tilles gefallen, gibt es unter den aktuellen Pianisten doch kaum jemanden, der es versteht, mit solcher Klangfinesse die Präparationsmaterialien zu setzen und mit einer schwebenden Leichtigkeit die vertrackten Kompositionen zu spielen. Die Stücke erhalten bei Tilles, die vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Steve Reich und Meredith Monk bekannt ist, einen unwiderstehlichen Groove, der den Hörer so sehr in den Bann zieht, dass man immer wieder überrascht ist, wie schnell eine LP-Seite mit 45 Umdrehungen in der Minute beendet ist.
Während John Tilburys Head-Aufnahme, wie alle Heads auch ein audiophiles Juwel, eher die Klänge an sich und den Raum, in dem diese Klänge entstehen, betont, ist es bei Tilles die rhythmische Vorwärtsbewegung, das Gestische und Bewegende der Musik, das betont wird und dabei auf den tänzerischen Ursprung der Musik verweist. Womit auch hier wieder der Kreis zu Bachs Klavierwerk geschlossen wird, stehen doch auch bei diesem Zyklus vielfach Tanzsätze als kompositorisches Urbild im Hintergrund. Bleibt noch der kleine augenzwinkernde Scherz des John Cage Trusts zu erwähnen, der, in Anspielung auf Cages berühmte Komposition „4‘3‘‘“, das Box-Set auf 433 Exemplare reduziert hat. Die Bestellung der Box ist wohl am bequemsten direkt über die Homepage des John Cage Trusts zu organisieren.