FIDELITY Feedback: Hauer – Melodien und Präludien
Für Arnold Schönberg war die Zwölftonreihe gleichermaßen musikalisches Motiv wie Tonalitäts-Ersatz – ein System, das ihm ermöglichte, wieder auf alle Techniken und Tricks des Komponierens zurückzugreifen. Anders bei Josef Matthias Hauer, dem eigentlichen „Entdecker“ der Zwölftonmusik: Der gelernte Volksschullehrer und autodidaktische Komponist verstand das Zwölftonspektrum als ein kosmisches Prinzip mit okkulten Verbindungen zur Zahlen- und Farbenlehre. Thema, Durchführung, Artikulation – all das spielte in Hauers Musik keine Rolle.
Ihm ging es vielmehr um die „schwebende“ Erfahrung der vermiedenen Tonalität, die fast meditative Versenkung in eine fragil ausbalancierte Klangwelt. Die Reihen der zwölf Töne mäandern bei ihm dahin, nur sparsam homophon unterlegt, die Spielanweisung lautet: „Ausdruck je nach Melos“. Da braucht es schon einen Musiker von der Statur Steffen Schleiermachers, um Hauers oft verlachten Werken die nötige Würde, Kraft und Rhetorik zu verleihen. Alleine und zusammen mit dem Ensemble Avantgarde hat sich der Pianist bereits in früheren Jahren um Hauer bemüht. Nun präsentiert er in einer 3-CD-Box Hauers Tastenstücke von 1921/22–61, kleine „Studien“ über Zwölftonfolgen. Nach eigenem Ermessen entscheidet sich der Interpret hier jeweils fürs geeignete Instrument: den Flügel, die sanft-sphärische Celesta oder das orgelkräftige Harmonium. Wir hören eine Musik von ganz eigenem Zauber – befremdlich zunächst, aber mit wachsender hypnotischer Kraft. Das Gleichgewicht der zwölf Töne wird zur schwingenden Aura.