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Electrocompaniet AW 800 M

Electrocompaniet AW 800 M

Evolution der Revolution

Electrocompaniet AW 800 M

Vor einem halben Jahrhundert haben sie die Mutter aller modernen Transistorverstärker gebaut. Heute zeigen sie, dass dieselben Ansätze immer noch absolut zukunftsfähig sind.

Electrocompaniet AW 800 M

In aller Kürze:
Die Electrocompaniet AW 800 M greift den Markenkern auf und schraubt dabei den Intensitätsregler auf elf.

Electrocompaniet AW 800 M


James Watt hat nicht die erste Dampfmaschine der Welt gebaut. Er war es aber, der ihren Wirkungsgrad durch einige entscheidende Verbesserungen am Konzept dramatisch verbesserte und so dafür sorgte, dass sie buchstäblich zum Motor der industriellen Revolution werden konnte. Ebensowenig hat Electrocompaniet den ersten Transistorverstärker der Welt gebaut. Die Norweger waren es aber, die durch einige entscheidende Verbesserungen am Konzept dessen Klangqualität dramatisch verbesserten und so einen wichtigen Beitrag dazu leisteten, dass sich dieser auf breiter Front durchsetzen konnte.

Electrocompaniet AW 800 M
Auch die neue AW 800 ist auf den ersten Blick als Electrocompaniet zu erkennen: Das tiefblau leuchtende Logo spricht ebenso wie die schwarze Acrylfront mit goldenen Akzenten seit etwa 30 Jahren eine durchgehend unmissverständliche Sprache.

Natürlich ist Electrocompaniets Beitrag zur Weltgeschichte der Technik in seinen Auswirkungen nicht mit der Dampfmaschine vergleichbar; dennoch ist verblüffend, wie es die Norweger geschafft haben, bahnbrechende Pionierarbeit im Verstärkerbau zu leisten und dabei weitgehend unbemerkt zu bleiben. Die Tragweite ihrer Leistung muss man sich einmal vor Augen halten: Sie kennen bestimmt die alte Audioweisheit, der zufolge Transistorverstärker zwar mehr Leistung haben als Röhren, aber unmusikalisch, weil „hart“ und „elektrisch“ klingen. Diese Auffassung fußt zum größten Teil auf einem Phänomen, das Dr. Matti Otala, Svein Erik Børja und Per Abrahamsen vor etwa 50 Jahren aus der Welt geschafft haben.

Electrocompaniet AW 800 M
Allein die Stärke der Acrylfront gibt einen guten Hinweis darauf, wie massiv alles an der AW 800 ausgeführt ist.

Audiophile Detektivarbeit

Das Schreckgespenst, das bis dahin alle Transistorverstärker geplagt hatte, hört auf den wenig Unheil verheißenden Namen „TIM“ (Transient Intermodulation), hat es aber geschafft, den Ruf des Halbleiter-Bauteils in Audiokreisen nachhaltig zu schädigen, weil es lange Zeit unentdeckt blieb und einfach als „Transistorklang“ hingenommen wurde. Der finnische Wissenschaftler Dr. Matti Otala wollte sich mit dieser simplen Erklärung nicht zufriedengeben und beschloss daher, der Sache auf den Grund zu gehen. Ihm gelang es erst, diese Intermodulationsverzerrungen als klangliche Problemquelle zu identifizieren. Den heutigen Namen gab er diesem Effekt in einem 1970 veröffentlichten Papier, in dem er ihn erstmals beschreibt, 1973 stellte er auf einer AES-Konferenz ein Schaltungskonzept für einen Verstärker vor, der dieses Problem umschifft.

Electrocompaniet AW 800 M
Die Verstärkungsschaltung ist erstaunlich kompakt aufgebaut. Gegenüber dem Vorbild „Nemo“ hat man hier nochmals erheblich größeren Aufwand betrieben. So ist beispielsweise die Anzahl der Leistungstransistoren von 24 auf 32 angestiegen, die Siebkapazität von 120 000 auf 210 000 Mikrofarad. Die 800 Watt Nennleistung an 8 Ohm (Mono) steigen an 2 Ohm auf mächtige 2,2 Kilowatt an.

Svein Erik Børja, ein begeisterter Audiophiler, der sich seit geraumer Zeit über den Klangcharakter von Transistorverstärkern geärgert hatte, wohnte dieser Konferenz bei und erkannte in Otalas Vortrag sofort die Lösung seines Problems. Freilich war ihm eine Topologie, die nur auf dem Papier existiert, nicht genug, und so krallte er sich die verfügbaren Dokumente und ging damit zu seinem Freund Per Abrahamsen, um auf der Grundlage von Otalas Erkenntnissen einen Verstärker zu bauen und dann beim Hören zu entscheiden, ob das wirklich die Antwort sein konnte. Das Ergebnis begeisterte nicht nur die beiden: Der Verstärker, der in der Folge in Kleinserie gebaut und den schlichten Namen „The 2 Channel Audio Power Amplifier“ erhielt, wurde von der Fachpresse wenige Jahre später als nichts weniger als der bestklingende Verstärker der Welt gepriesen – und damit war der Kern dessen geboren, was Electrocompaniet bis heute ausmacht.

Electrocompaniet AW 800 M
Trotz flächendeckenden Einsatzes winziger SMD-Bauteile fällt die Bauhöhe so opulent aus, dass eine Platzierung im Rack nicht in Frage kommt. In der verdächtig dicken Bodenplatte sind übrigens die gesamte Steuerelektronik sowie die Netzstromaufbereitung untergebracht, die ominösen silberglänzenden Kästen beherbergen die elektrostatisch und magnetisch geschirmten Ringkerntrafos.

Vom kleinen Garagenhersteller mauserte sich Electrocompaniet rasch zu einem angesehenen Namen in der Branche, und auch wenn sich der grundlegende technische Ansatz über die Jahre und Jahrzehnte nur evolutionär weiterentwickelte, schien die Designphilosophie keineswegs alt zu werden – ganz im Gegenteil: Spätestens 1999 hatten sich die Norweger mit der Monoendstufe AW 600 endgültig einen Platz in der ewigen Bestenliste unter den HiFi-Herstellern gesichert. Das Design des auch „Nemo“ genannten Boliden (der Verstärker wurde als passende Antriebsquelle für die Bowers & Wilkins Nautilus konzipiert) war so gelungen, dass es nicht nur in den Abbey Road Studios eingesetzt wurde, sondern auch für die Verewigung des Namens Electrocompaniet in Form einer Danksagung an den Hersteller auf dem Cover von Michael Jacksons HIStory-Album sorgte.

Electrocompaniet AW 800 M
Ein klares Layout, das keine Fragen offenlässt. Die Lautsprecherklemmen sind erfreulich weit auseinander platziert – man versteht ja, dass in diesen Preisklassen ein daumendickes Kabel nur die „untere Mittelklasse“ darstellt. Kluges Detail: Das Wartungspanel um die Kaltgerätebuchse lässt sich nur herausnehmen, nachdem der Stecker gezogen wurde.

Die Legende neu erfinden

Doch die Technologie steht nicht still, und nach rund 20 Jahren der Modellpflege war die Zeit reif für ein neues Kapitel. An und für sich sollte dabei auch das geplante Nachfolgemodell AW 800 M nur eine Weiterentwicklung sein. Doch am Ende saßen die beiden Entwickler Geir Svihus und Volker Hunger rund zwei Jahre an dem neuen Modell und gaben in zahllosen Hörsitzungen einem vollkommen neuen Verstärker seinen Feinschliff. Von der Stromversorgung bis hin zu den Lautsprecherausgängen hat man jede Baugruppe völlig neu entwickelt. Geblieben ist lediglich die EC-typische „Direct coupled high open-loop bandwidth“-Topologie, dank derer man mit einer erfreulich geringen Dosis an negativer Gegenkopplung auskommen und dennoch extrem geringe Verzerrungswerte erreichen kann. Dennoch war es Svihus und Hunger wichtig, dass die neue Referenz-Endstufe nicht nur optisch, sondern auch klanglich unverkennbar eine Electrocompaniet ist – ein echter Erbe des 2 Channel Audio Power Amplifier, aber mit einer Bauteil- und Fertigungsqualität umgesetzt, die sich Otala, Børja und Abrahamsen in ihren kühnsten Träumen nicht hätten ausmalen können.

Electrocompaniet AW 800 M

Dass man die AW 800 M auf den ersten Blick für eine noch größere und noch stärkere Nemo halten könnte, ist demnach erklärter Zweck der Übung. In bester High-End-Manier haben sich die Norweger dabei hardwareseitig keinerlei Grenzen nach oben gesetzt. Da man mittlerweile unter der Ägide des Elektronikproduzenten Westcontrol steht und damit direkten Zugriff auf modernste Fertigungsverfahren inklusive SMD-Bauteile und Wave Soldering hat, kann man komplexe Schaltungen wesentlich kompakter aufbauen als noch vor zwei Jahrzehnten. Dennoch hat die AW 800 M gegenüber der Nemo um satte 14 Kilogramm zugelegt. Entsprechend beeindruckend lesen sich die technischen Daten: Mit aberwitzigen 210 000 Mikrofarad Siebkapazität ist die Endstufe für 800 Watt an acht Ohm gut, die sich an vier Ohm auf 1500 Watt fast verdoppeln und an zwei Ohm auf 2200 Watt ansteigen – Hunger betont, dass bewusst Wert darauf gelegt wurde, dass die Schaltung auf Lautsprecherlasten extrem „steif“ reagiert und auch von fiesesten Impedanzschwingern und Phasendrehern komplett unbeeindruckt bleibt.

Das Hauptaugenmerk lag aber tatsächlich nicht so sehr auf Leistungssteigerung, sondern vor allem auf extrem niedrigen Rauschwerten, um das musikalische Geschehen vor den schwärzestmöglichen Hintergrund zu stellen. Die Gewichtssteigerung geht denn auch zu einem großen Teil auf das Konto eines noch massiver ausgeführten, mechanisch unerschütterlichen Gehäuses. Auch die auf jeweils 800 Voltampere angeschwollenen Ringkerntrafos sind nun nicht nur magnetisch, sondern auch elektrostatisch geschirmt. Als einer klassischen Quelle von Rauschanteilen hat man der Stromversorgung besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, die neben einer Hochfrequenzfilterung auch über einen Gleichstromblocker verfügt. Tatsächlich rät Hunger, die AW 800 M ohne vorgeschaltete Stromaufbereiter egal welcher Art zu betreiben – Klangsteigerungen seien nicht zu erwarten, und im Zweifel schnüre man damit nur die Dynamikreserven ein.

Electrocompaniet AW 800 M

Glückwunsch – es ist eine EC

Und das Ergebnis der Bemühungen? Ich habe in meinem HiFi-Leben schon einige Berührungspunkte mit Electrocompaniet gehabt und bin mit dem Klangcharakter der Marke recht gut vertraut – und um es vorwegzunehmen: Die Frage, ob das neue Flaggschiff nahtlos an seine Ahnenreihe anschließt, konnte ich im Grunde nach den ersten drei Takten mit einem klaren Ja beantworten.

Das fiel mir allerdings nur nebenher auf – der erste Eindruck, der mich direkt fast von der Couch rutschen ließ, waren die immensen Bühnendimensionen, die der Bolide in den Raum wirft. Eine große Bühne, die vor allem ordentlich in die Tiefe geht, kenne ich von Electrocompaniet an sich ja bereits, aber mit dieser Ausdehnung habe ich nicht gerechnet. Bei „Mr. Kicks“ von Oscar Brown Jr. (Between Heaven And Hell) stellen sich die begleitenden Blechbläser richtig schön breit und weit hinter den Lautsprechern auf. Anders als ich es von einigen anderen Verstärkern der Marke kenne, ist jedoch nicht das gesamte Klanggeschehen tendenziell nach hinten versetzt: Browns Stimme steht mit voller Präsenz genau zwischen den Lautsprechern. Dabei ist es faszinierend, mit welcher Präzision die Endstufe den Raum füllt: Bei den ersten Takten hat die Aufnahme die Eigenheit, dass die Stimme zunächst minimal um die Bühnenmitte herumschwingt, bevor sie sich richtig in ihrer Positionierung setzt. Obwohl ich das Stück sehr gut kenne, muss ich mich normalerweise konzentrieren, um diese kleine Macke auszumachen – die AW 800 M lässt hier keinerlei Raum für Missverständnisse und fährt die Position mit beeindruckender Präzision nach.

Ebenso wie die riesige Bühne kann der minimal ins Dunkle tendierende, mächtige Klangcharakter der Endstufe leicht täuschen: Bei aller Opulenz fehlt hier an Agilität und Feingefühl rein gar nichts. Ein Klavier ist keine Schreibmaschine; wenn Hiromi Uehara sich an ihr Instrument setzt, ist man aber dennoch versucht, die Anschläge pro Minute zu zählen. Bei „Dancando no Paradiso“ (Another Mind) tut sich mein Hirn schwer, der rasanten Fingerarbeit der japanischen Raketenpianistin zu folgen – die Electrocompaniet dröselt alles mit lässiger Mühelosigkeit auf und beleuchtet dabei völlig natürlich die Variationen in der Dynamik ihres Spiels. Wie schon bei Oscar Brown Juniors Stimme fällt mir dabei auch bei Hiromis Flügel auf, wie ungemein organisch und geschmeidig die Mittenwiedergabe gelingt. Diese Natürlichkeit im Timbre hat dabei sicher nicht nur mit der Tonalität, sondern auch mit der Feinauflösung zu tun: Die AW 800 M ist nicht die Art Verstärker, der feine Details prominent durch den Hörraum perlen lässt. Wenn ich nach feinsten Klangverästelungen und Binnentexturen suche, finde ich sie über diese Endstufe jederzeit. Zu keinem Zeitpunkt fliegen sie mir jedoch um die Ohren, vielmehr sind sie einfach da und wirken weitgehend unauffällig im Sinne des musikalischen Gesamterlebnisses. Ganz klar – was den „Hausklang“ von EC angeht, haben die Entwickler den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Electrocompaniet AW 800 M bietet genau das, was wir uns von der Marke versprechen, aber in einer Konzentration, in der wir es bislang noch nicht erleben durften.

Electrocompaniet AW 800 M

Info

Stereo-Endverstärker Electrocompaniet AW 800 M

Konzept: brückbare Stereo-Endstufe
Leistung Stereo (8/4/2 Ω): 300/600/1000 W
Leistung Mono (8/4/2 Ω): 800/1500/2200 W
Dämpfungsfaktor (8 Ω): > 1000
Übertragungsbereich (Eingangsfilterung aktiv): 0,5 Hz bis 220 kHz
Eingangsimpedanz: 330 kΩ
Besonderheiten: Stromversorgung mit DC-Filterung, magnetisch und elektrostatisch geschirmte Transformatoren
Ausführung: Schwarz
Maße (B/H/T): 41/30/49 cm
Gewicht: 55 kg
Garantiezeit: 3 Jahre
Preis: um 21 500 € (Stückpreis)

Kontakt

MRV Audio

Hauptstraße 14
82467 Garmisch-Partenkirchen
Telefon +49 8821 7309958
info@mrvaudio.de

www.mrvaudio.de

Mitspieler

CD-Player: Audio Note CD 3.1x/II, Ayon CD-3sx
Netzwerkplayer/DAC: Lumin P1, Aavik S-580
Vollverstärker: Aavik I-580
Vorverstärker: Electrocompaniet EC 4.8 MkII
Endverstärker: Burmester 216, Luxman M-10x
Lautsprecher: Wilson Audio Sasha DAW, Monitor Audio Hyphn
Rack: Creaktiv, Finite Elemente
Kabel: in-akustik, AudioQuest, WestminsterLab

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.