Ein kleiner Jazz-Skandal
Der Saxofonist Michael Hornstein ist der Buhmann der Szene
Im November 2011 startete in der Süddeutschen Zeitung eine Reihe mit Artikeln verschiedener Autoren zur Lage des Jazz in Deutschland. Der Beitrag des Münchner Saxofonisten Michael Hornstein (49) erschien am 21. Januar 2012 unter dem Titel „Betriebsstörung“. Untertitel: „Der Jazz hat in Deutschland keine gesellschaftliche Relevanz mehr. Die Ursachen dafür sind selbstgemacht.“ Überwältigend groß war das Echo auf diesen Text – und völlig gespalten. Die Spanne der Leserbriefe und Kommentare reichte von „So viel Wahrheit liest man selten“ bis „Ein unerträglich dämlicher Artikel“. Vor allem Jazzmusiker und Jazzjournalisten wetterten gegen Hornstein: „Unwahrheiten“, „falsche Behauptungen“, „Schädigung der Szene“. Ganze Internet-Foren schossen sich auf ihn ein. Hans-Jürgen Schaal traf „Bad Boy“ Hornstein zum Interview.
FIDELITY: Die Reaktionen auf deinen Artikel waren heftig, teils beleidigend.
Michael Hornstein: Ich habe auch an die 100 zustimmende E-Mails bekommen, zum Teil von sehr namhaften Musikern, die mir persönlich schreiben: Genau so ist es! Schön, dass es mal jemand sagt! – Aber keiner von denen hat sich getraut, seine Zustimmung öffentlich auszusprechen. Was ich aber auch herausgelesen habe, ist, dass sie sich auf ganz unterschiedliche Aspekte meines Texts bezogen haben. Die Traditionellen sagten sich: Der will keinen modernen Jazz mehr, gut so! Andere sagten: Wir bekommen zu wenig Förderung, da hat er recht! Oder: Wir müssen den Redakteuren alles hinterhertragen, das stimmt! Für mich wurde deutlich, dass es eine unglaublich kleinteilige, zerstrittene Szene ist. In Köln, Berlin, München oder Hamburg herrschen komplett verschiedene Auffassungen davon, was Jazz ist.
Sagen wir doch so: Jazz besitzt eine unglaubliche Vielfalt.
Aber Demokratie ist im deutschen Jazz noch nicht angekommen. An der Diskussions-Kultur müssen wir alle noch ein bisschen arbeiten. Denn eine inhaltliche Auseinandersetzung über meinen Artikel hat leider nicht stattgefunden, das fand ich schade. Es ist leider so: Wenn ein Jazzmusiker etwas sagt, dann hört der andere Jazzmusiker gar nicht zu, sondern meint nur: Der spielt ja so und so. Erst einmal wird der Musiker als Musiker bewertet – man mag ihn oder mag ihn nicht.
Wie hast du die heftigen Reaktionen empfunden?
Ich war komplett erschüttert. Ich hatte in aller Unschuld erwartet, mein Text würde „chinesisch“ aufgenommen, das heißt: Man stimmt höflich zu und nichts passiert. Der Text ist bewusst so formuliert, dass sich niemand persönlich angesprochen fühlen muss. Nur das Goethe-Institut wird direkt genannt und Entscheidungsfindungen beim Bayerischen Rundfunk. Alle anderen könnten sagen: Betrifft mich nicht! Das hatte ich eigentlich erwartet. Ich hatte gedacht: Was ich schreibe, ist kalter Kaffee, das kennt man alles schon. Ich habe das ja alles nur zusammengetragen. Ganz viele Sachen im Artikel sind Zitate und Meinungen, die herumschwirren.
Manche empfanden deinen Artikel als „Frust-Äußerung“ eines einzelnen Musikers.
Ja, es ist für den Betroffenen eine ziemlich frustrierende Situation, wenn er seinen Beruf nicht ausüben kann. Wie viele Jazzmusiker meiner Generation spielen denn noch in Deutschland? Von denen, die mit mir angefangen haben, sind sicherlich 95 Prozent auf der Strecke geblieben. Der Aufwand ist einfach zu groß. Süddeutsche Musiker spielen praktisch nicht außerhalb Süddeutschlands. Wenn ich für einen Gig von 100 Euro drei Tage telefonieren muss, steht das in keinem vernünftigen Verhältnis mehr.
Kann man nach dieser großen Resonanz wirklich noch sagen: Jazz ist nicht relevant?
München hat ein Einzugsgebiet von drei Millionen Menschen. Wenn 50 zahlende Gäste abends im Jazzclub sind, finde ich das nicht gesellschaftlich relevant. Und wenn das nur Leute um die 60 Jahre sind, sollte man langsam nachdenken.
Was findest du daran verkehrt, dass Musiker ihre Projekte „verkaufen“ müssen?
Es ist einfach so, dass sich die Jazzszene nach außen als blühend darstellt, in Wirklichkeit aber auf der Selbstausbeutung der Musiker beruht. Die Szene lebt von der Subvention durch die Musiker. Die Leute sagen freudestrahlend: Es gibt so viel Jazz wie noch nie – aber um welchen Preis? Die Musiker verhungern auf diesem Weg. Und dann gibt es Veranstalter, die zweimal im Jahr ein großes Festival machen und 100.000 Euro Subvention kriegen.
Die Subvention sollte anders laufen, richtig?
Leider haben wir in Deutschland eine personengebundene Förderung. Da sitzen Leute in Jurys, die sich selbst die Preise zusprechen. Das ist peinlich für alle Beteiligten, eine Katastrophe für die Außenwirkung des deutschen Jazz. Generell sollte man weg von der Personenförderung und hin zu einer Strukturförderung. Hätte man damit vor 20 Jahren angefangen, wäre die Situation für die Musiker heute wesentlich besser. Es gibt eine kleine Gruppe Musiker, die bekommen die Preise, für die läuft es, für alle anderen ist es eine Katastrophe. Das ist ein sehr unsoziales und ungerechtes System.