Dynavector DRT XV-1s
Ist es ein Warp-Kern?
Ist es ein Schneidstichel?
Nein, es ist ein DV DRT XV-1s!
In aller Kürze:
Der Dynavector DRT XV-1s, dieser wahrhaft große Tonabnehmer, ist mit seiner unübertroffenen Raumanmutung, Spielfreude und Klangfarbenpracht auch nach 20 Jahren Produktionszeit ein Maßstab für alle Herausforderer.
Seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bietet Dynavector eine überschaubare Reihe von Tonabnehmern an, die ausschließlich nach dem Prinzip der bewegten Spule (Moving Coil, MC) funktionieren. Das geht los mit dem knapp 700 Euro teuren 10X5 Mk II und endet mit dem mehr als zehnmal so teuren DRT XV-1t. Auffällig ist an den Produkten aus Tokio, dass im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern jeder Tonabnehmer insofern ein Unikat ist, als für jede Baureihe unterschiedliche Gehäuse und Generatoren verwendet werden. Gängiger ist die Variante, dass in gleichen Gehäusen unterschiedliche Generatoren mit verschiedenen Nadelträgern und -schliffen eingebaut werden. Ebenfalls bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Mehrzahl der „Dynavectoren“ eine für heutige Verhältnisse ungewöhnliche große Modellkonstanz aufweisen, sodass sie allesamt zu Recht als moderne Klassiker gelten können. Das liegt daran, dass der ursprünglich unter dem Markennamen Ultimo debütierende Hersteller seine Produkte nur in größeren Abständen weiterentwickelt. Und auch nur dann, wenn man wirklich überzeugt ist, eine Möglichkeit zur Verbesserung gefunden zu haben. Einen letztendlich auch für Kunden unbefriedigenden, fast schon nervösen Modellwechsel sucht man daher bei dem in Tokio ansässigen Hersteller vergebens.
Auch das DRT XV-1s ist bereits seit 2002 auf dem Markt. Das ist übrigens auch das Jahr, in dem der Firmengründer und ehemalige Universitätsprofessor Dr. Noburo Tominari verstorben ist. Zu seinen Ehren führen die beiden Spitzenmodelle deshalb die Buchstabenkombination „DRT“ in ihren ansonsten etwas kryptisch wirkenden Modellbezeichnungen. Doch selbst nach über zwanzig Jahren Produktionszeit imponiert die einzigartige Erscheinung des XV-1s immer noch. Dessen schiere Physis macht schon rein äußerlich deutlich, dass wir es hier mit einem wahrlich großen Tonabnehmer zu tun haben. Mit 3,1 x 1,8 x 2,1 Zentimetern (Länge/Breite/Höhe) ist das System sehr raumgreifend und setzt für den Betrieb eine Headshell voraus, die genügend Platz bietet. Dabei ist es mit seinen 12,6 Gramm gar nicht mal so schwer, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Gleichwohl verlangt es nach einem mittelschweren bis maximal schweren (10 bis 20 g effektive Masse) und vor allem auch stabilen Tonarm. Ich selbst habe es im Dynavector DV-507 Mk II, Graham 2.2 Carbon und sogar im Technics EPA-120 betrieben. Letztgenannter ist natürlich kein angemessener Spielpartner, obwohl das XV-1s erstaunlich gut seinen Dienst darin tut. Bei Freunden habe ich es aber auch im SME Series V, Schröder Reference SQ und TW Acustic Raven 10.5 zur vollen Zufriedenheit ihrer jeweiligen Besitzer gehört.
Die spektakuläre Form des Dynavector DRT XV-1s ergibt sich, weil in ihm sage und schreibe acht Alnico-Magnete für ein möglichst homogenes Magnetfeld verantwortlich sind. Vier davon befinden sich gut sichtbar in der oberen Hälfte der V-förmigen Polschuhe, während weitere vier sich für das Auge unsichtbar hinter dem quadratischen Spulenträger verbergen. Dr. Tominari zog Alnico aus klanglichen Gründen den im Vergleich zu den heute weit verbreiteten und deutlich stärkeren Neodym-Magneten vor. Um auch gleichzeitig eine genügend große Ausgangsspannung mit einer niederohmigen Spule (6 Ω) zu erzeugen, braucht es dann mehrere der schwächeren Alnico-Magnete. Trotzdem sind nicht mehr als 0,3 mV bei einer Schnelle von 5 cm/s (1 kHz) drin. Das stellt zwar für moderne Phonovorverstärker längst kein Problem mehr bezüglich der Rauschfreiheit dar, ist aber dessen ungeachtet deutlich weniger als die vieler vergleichbarer Mitbewerber. Als Nadelträger kommt ein Borstäbchen zum Einsatz, an dessen Spitze ein Pathfinder(PF)-Line-Contact-Schliff sitzt. Die beiden Kupferspulen um den vorderen Polschuh – die den Eindruck erzeugen, man habe es hier weniger mit einem Tonabnehmer als mit einem Schneidstichel zu tun – stellen übrigens eine weitere, exklusive Spezialität von Dynavector da. Es handelt sich dabei um den sogenannten „Flux-Damper“. Die Japaner erhoffen sich damit eine weitere Verbesserung der Linearität des Magnetfelds.
Erfreulich ist, dass die Einspielzeit kaum bemerkbar ist. Ich konnte keine auffallende Verbesserung innerhalb der Zeit feststellen, in der es mir vergönnt war, mit dem DRT XV-1s Musik zu genießen. Von Anfang an macht es deutlich, dass wir es hier mit einem Weltklasse-MC-System zu tun haben, das preisunabhängig wirklich keinen Vergleich zu scheuen braucht. Das fängt schon damit an, dass man gleich beim Aufsetzen der Nadel in der Rille ungewöhnlich wenig der unvermeidlichen Nebengeräusche zu vernehmen scheint. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies auf den hervorragenden Pathfinder-Schliff zurückzuführen ist, dem ich auch schon bei anderen Tonabnehmern als absolut erstklassige Wahl begegnet bin. Da verwundert es auch nicht, dass sich die Musik auf dem sprichwörtlichen „schwarzen Hintergrund“ aufbaut. Dies spielt insbesondere bei sehr dynamischen Aufnahmen klassischer Musik wie der Einspielung von Gustav Mahlers Zweiter Sinfonie, der „Auferstehungssinfonie“, unter Leonard Bernstein mit dem New York Philharmonic (Deutsche Grammophon) eine ganz entscheidende Rolle. Ich habe gewiss nicht die musikalische Expertise meiner Kollegen Stefan Gawlick oder Roland Schmenner; aber wie falsch kann ein Klangeindruck sein, wenn er dem Zuhörer eine Gänsehaut beschert und in die nun wahrlich nicht leichte Musikwelt von Gustav Mahler derart hineinzieht und so fesselt, dass man diese gewaltige Sinfonie ohne Unterbrechung in einem Rutsch durchhören möchte? Dabei ist eine hervorstechende Eigenschaft des DRT XV-1s, dass es sein spektakuläres Äußeres Lügen straft und keineswegs mit überzogenen klanglichen Akzenten erst imponiert und nach einer gewissen Zeit nervt. Tonal ist also alles im Lot.
Eine weitere hervorzuhebende Eigenschaft ist seine stupende Raumabbildung. Die einzelnen Instrumentengruppen werden einerseits sauber voneinander getrennt, sodass man meint, auf jeden Musiker zeigen zu können; andererseits gelingt es dem Dynavector trotzdem, ein homogenes, klanglich zusammenhängendes Orchester dazustellen, das wie ein riesiges Instrument wirkt. Bei aller ehrlicher Detailverliebtheit verfällt dieses System nie in letztendlich ermüdende, seziererische Analytik.
Ebenfalls bemerkenswert ist die spektakuläre Lebendigkeit des DRT XV-1s, mit der es einzelne Impulse präzise wiedergibt. Diese Eigenschaft kommt nicht nur bei spätromantischen orchestralen Werken zur Geltung, sondern steigert auch den Hörgenuss bei gut aufgenommener Pop-Musik wie Prefab Sprouts Klassiker Jordan: The Comeback. Die leicht überproduzierte LP wird mit einer selten gehörten Transparenz wiedergegeben, die aber die schiere Freude an dieser eingängigen Musik nicht schmälert.
Diese Eigenschaften addieren sich zu dem für mich persönlich wichtigsten Punkt: Ein Tonabnehmer darf nicht aufdringlich sein. Damit meine ich, dass man sich beim allabendlichen Musikgenuss keine Gedanken um irgendwelche konstruktiven Ideen oder technische Parameter macht. Ich wünsche mir eigentlich nur, dass die Wiedergabetechnik am Ende des Tages in den Hintergrund tritt und meine ganze Aufmerksamkeit der Musik gilt. Und genau diesen Wunsch erfüllt mir das DRT XV-1s aufs Vortrefflichste. Ich gebe mich beispielsweise zu später Stunde gerne den sphärischen Klängen von Tangerine Dreams Quantum Gate hin, die mich auf eine Reise in eine virtuelle Parallelwelt entführen. Bei diesem legalen Musikrausch würde mich nicht mehr stören, wenn ich dauernd das Gefühl hätte, in den künstlichen Klangräumen passe etwas nicht zusammen und Frequenzbereiche würden sich ungebührlich in den Vordergrund drängen. Schon ein paar Sekunden nach dem Auflegen der Platte habe ich aber vergessen, dass da ein zugegebenermaßen sehr kostspieliger Tonabnehmer die Töne erzeugt – so selbstverständlich und natürlich versieht dieses letzte Erbstück von Dr. Noburo Tominari seinen Dienst. Mehr kann ich nicht von einem Tonabnehmer verlangen. Und genau deshalb ist für mich das Dynavector DRT XV-1s nach wie vor einer der allerbesten MC-Tonabnehmer, die man für Geld und gute Worte kaufen kann.
Info
Tonabnehmer Dynavector DRT XV-1s
Konzept: Moving Coil (MC)
Besonderheiten: V-förmiger Magnetkreis mit 8 Alnico-Magneten, Flux-Damper
Nadelträger: Bor
Nadelschliff: Pathfinder (PF) Line Contact
Nadelnachgiebigkeit: 10 µm/mN (10 Hz)
Empfohlene Auflagekraft: 18–22 mN
Empfohlene effektive Tonarmmasse: mittel bis schwer (10–20 g)
Ausgangsspannung: 0,3 mV (1 kHz, 5 cm/s)
Innenimpedanz: 6 Ω
Empfohlene Abschlussimpedanzen: > 30 Ω
Maße (B/H/T): 21/18/31 mm
Gewicht: 12,6 g
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 5200 € (im Austausch 4250 €, Rebuild (Dauer ca. 12 Wochen) 3650 €)
Kontakt
SWS Audio GmbH
+49 231 126748, +49-7665 9413718
Mitspieler
Plattenspieler: Technics SL-1200MK2, Technics SL-121MK2
Tonarme: Graham 2.2 Carbon, Technics EPA-120
Headshells: Audio-Technica MG-10, Audio-Technica MS-8, Orsonic AV-101b, Technics
Tonabnehmer: Denon DL-103, Goldring 2200, Ortofon Concorde 30 Mk II, Ortofon Jubilee Phonovorverstärker: Lehmann Audio Black Cube
Vorverstärker: Bryston BP25MC
Netzwerk-Tuner: Onkyo NS-6170
Kopfhörer: Sony MDR-1 RNC
Aktivlautsprecher: Neumann KH 310 A