Der Super Bowl, das Endspiel der US-amerikanischen Football-Profiliga, ist nicht nur eines der größten Sport-Events der Welt. Er ist auch die Showbühne für eines der prestigeträchtigsten Kurzkonzerte des Jahres: die Performance in der Halbzeitshow. Weltstars wie die Rolling Stones, Paul McCartney, Prince im legendären Dauerregen von Miami oder Justin Timberlake und Janet Jackson („Nipplegate“!) traten dort in der Vergangenheit auf. Rund eine Milliarde Menschen – darunter auch ich – schalteten in diesem Jahr ein, als die Los Angeles Rams die Cincinatti Bengals niederrangen. Und wir wurden Zeugen, wie der Super Bowl vom Gangsta-Rap aufgemischt wurde. Denn Dr. Dre kaperte mit einer gigantischen Rap-Retro-Show die Bühne. Gemeinsam mit Hiphop-Kollege Snoop Dogg musste er nur die ersten Silben seines Songs „The Next Episode“ ins Mikrofon nuscheln, und das ganze Stadion groovte mit. Fünfzehn Minuten später war der Auftritt vorüber und das letzte Echo des Abschlusstracks „Still D.R.E.“ verklungen. Ich aber brauchte mehr. War total angefixt durch diese geballte Ladung Rap-Nostalgie. Ich besorgte mir Dr. Dres Album 2001, von dem sowohl „The Next Episode“ als auch „Still D.R.E.“ stammen. Die 1999 erschienene Platte gilt als Meilenstein des Hip-Hops. Sie definierte Rap-Sound neu.
Gleich zu Beginn des Albums führt Dr. Dre den Hörer aus der eigenen Realität mit einem denkbar einfachen musikalischen Kniff in seine fiktionale Sound-Welt: Das Intro „Lolo“ startet mit der sogenannten „THX Deep Note“. Also jenem Ton-Monument, das seit Jahrzehnten vor Filmen durch den Kinosaal dröhnt, um die Klangqualität der Lautsprecherboxen auszuloten. Es folgen kurze hörspielartige Dialogfetzen, sogenannte Skits. Das fühlt sich an, als würde man nachts mit dem Auto durch die dunkelsten Ecken von Los Angeles cruisen und dabei tief eintauchen in die Heimat und Hochburg des Gangsta-Raps.
Dr. Dre, bürgerlich André Romelle Young, ist einer der wichtigsten Vertreter dieses Genres. Seit beinahe vierzig Jahren prägt er es auf unterschiedlichste Art und Weise: Erst als Mitglied des Rap-Kollektivs N.W.A, dann als Soloartist und schließlich als Produzent. In dieser Funktion verschaffte er Künstlern wie Eminem, 50 Cent oder Snoop Dogg den Durchbruch. 2001 ist eines von nur drei Soloalben des Rap-Doktors. Es verkaufte sich weltweit mehr als neun Millionen Mal, gehört damit zu den Top Ten der meistverkauften Hiphop-Alben aller Zeiten. Die Musikvideos zu Songs wie „Still D.R.E.“ knackten bei Youtube bereits die Milliarden-Views-Grenze.
2001 ist gespickt mit Melodien unterschiedlichster Genres. In „Murder Ink“ etwa nutzt Dr. Dre die schaurige Filmmusik des Horrorstreifens Halloween – Die Nacht des Grauens von 1978 als musikalisches Grundgerüst. Bei „Xxplosive“ verwendet er das bluesige „Bumpy’s Lament“ von Mack Browne & The Brothers von 1971. Und „The Next Episode“ greift David McCallums Jazzstück „The Edge“ aus dem Jahr 1967 auf. Stets werden eingängige Drum-Rhythmen und satte Bässe hinzugemischt sowie das Markenzeichen von Dr. Dre: hohe, melodisch wabernde Synthesizer. Sie verleihen seinen Kompositionen ihren schwebenden, lässigen Klang und wecken die Lust auf nächtliche Roadtrips durch spärlich beleuchtete Viertel schlafender Großstädte.
Dieses Gefühl hat bei Dr. Dre Methode. Denn: Tiefe Basslinien, die mit verschiedensten Instrumenten, Synthesizern und eingängigen, bekannten Melodien garniert werden, sind stilprägend für G-Funk, ein Subgenre des Gangsta-Raps. Dr. Dre machte es mit seinen Hits weltbekannt. Speziell 2001 sticht akustisch heraus: Die aufgegriffenen Melodien, von „Halloween“ bis „The Edge“, ließ Dr. Dre für das Album mit live gespielten Instrumenten neu aufnehmen. Für Freunde düsterer Klangkulissen ein großer Fang. Oder im Super-Bowl-Sprech: Touchdown.
Dr. Dre
2001
Label: Aftermath Entertainment, Interscope Records
Format: CD, LP, DL 16/44
Dr. Dre 2001 bei jpc gibt’s hier.