Donovan – Sutras
Manche Lebenslinien erkennt man erst spät. Erst jetzt ist mir zum Beispiel durch die Arbeit an diesem Text eine bisher unsichtbare Querverbindung zwischen zwei frühen Kapiteln meiner persönlichen Musikgenusskarriere gewahr geworden.
Vor einiger Zeit berichtete ich ja davon, wie ich einst während meiner Untermieterzeit in einer Kreuzberger Wohnung ein „Ton Steine Scherben“-Trauma erlitt. Fast, muss ich einschränkend sagen, denn in der monokulturellen Plattensammlung des Hauptmieters fand sich auch ein ganz anderes Vinylwerk: Super Session von Al Kooper. Eine unglaublich lässige, unter dem Einfluss diverser Drogen 1968 recht rumpelig aufgenommene Psychedelic-Rock-Jamsession mit Mike Bloomfield und Stephen Stills. Darauf auch eine Coverversion von „Season Of The Witch“, eine bis heute unerreichte Interpretation des Folksoul-Klassikers, den selbst Komponist Donovan im Original nicht besser spielte. Koopers „Season Of The Witch“ avancierte zu einem meiner Favoriten-Songs und blieb es bis heute.
Donovan also. Kannte ich bis dahin nur als Passivhörer der Plattensammlung meiner 68er-Eltern, Stichwort „Mellow Yellow“. Erstand dann aber Ende der neunziger Jahre während eines Auslandssemesters in den USA die CD Sutras.
Eine überraschende Veröffentlichung von Donovan auf dem Label American Recordings von Produzent Rick Rubin. Der hatte seinerzeit Legendenstatus erreicht mit dem Produzieren des Debüts der Beastie Boys, Licensed To Ill, und erfolgreicher Alben für die Red Hot Chili Peppers (Blood Sugar Sex Magik), für Tom Petty (Wildflowers) und vor allem mit Johnny Cashs rauem Comeback-Werk American Recordings. Im April 1994, während der Wildflower-Session für Petty, rief Rubin in Glasgow bei Donovan Leitch an. Der hatte sich, in frühen Jahren als schottische Alternative zu Bob Dylan hochgejazzt, weitgehend aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Komponierte aber dann mehr als 100 Songs für die Session für das Label American Recordings. Rick Rubin sah, ähnlich wie bei Cash, das Potenzial für die authentische Platte einer bereits halb vergessenen Legende.
Und das ist Sutras: Wunderschön entschleunigte, aufs Wesentliche reduzierte Aufnahmen. Das Wesentliche, das ist Donovans sanfte Stimme, die zwischen hohen Tenortönen und warmem Bariton changiert. Das sind sparsamst eingesetzte Instrumente: bei Songs wie dem feinmelodiösen Ohrwurm „Please Don’t Bend“ meist nur Donovans Akustikgitarre, begleitet vom britischen Sessionbassisten Danny Thompson, bei einigen Stücken auch von Josh Haden am Akustikbass, Sohn der Jazzlegende Charlie Haden. Oder unterstützt von einer sich blind verstehenden, intim groovenden Band: Rubin hatte Tom Pettys Wildflower-Besetzung gebucht mit unter anderem Benmont Trench an den Keyboards und Steve Ferrone am Schlagzeug. Dazu hie und da ein paar Sitar- (Donovan reiste einst, 1968, mit den Beatles zum Meditieren nach Indien) und Celloklänge. Und, bei der zarten Westernballade „Eldorado“, Nigel Kennedy an der Violine.
Das ergibt unter der ruhigen Rubin-Regie milde Songs mit eingängigen Melodien, denen der Produzent Raum zur erstaunlich kraftvollen Klangentfaltung gewährt. Der hatte sich übrigens vor dem ersten Tag im Studio gemeinsam mit Donovan in Klausur begeben und den Musiker vor den Plattenspieler gesetzt. Dort sollte sich der aus der Frührente entführte Künstler zur Inspiration seine eigenen ersten Aufnahmen anhören, die er 1964 für das berühmte britische Folk- und Beat-Label Pye Records eingespielt hatte.
Ein Hinweis zum Erwerb dieses Albums: Es wurde – 90er Jahre! – nur auf CD veröffentlicht und ist heute zumeist als Japan-Import zu haben oder auch in älteren Versionen gebraucht in „Mint“-Qualität. Normalerweise würde ich keine CD mit erschwerter Zugänglichkeit empfehlen. Dieses vollkommen zu Unrecht vergessene Album aber hat ein wenig frische Aufmerksamkeit verdient.
Donovan – Sutras
Label: American Recordings
Format: CD
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