Die Tannoy Westminster von Herrn K. aus L. – The Westmonster
Herr K. ist ein sehr sportlicher Typ, hört „wahnsinnig gern und manchmal auch laut“ Musik und kann sich für die Tannoy Westminster begeistern.
Aufgrund dieser Mischung „musste es irgendwann einfach die Westminster sein“. Herr K. hatte auf einer High-End-Messe das Flaggschiff der schottischen Lautsprecherfirma Tannoy entdeckt und sich spontan in den voluminösen Hornlautsprecher verliebt. Das war in den frühen Neunzigern, als Herr K. noch jung, quasi mittellos und unbepartnert war.
Zwölf Jahre später taucht sein 40. Geburtstag am Horizont auf – und eine Kleinanzeige mit gepflegten Westminsters. Die Geldreserven sind noch immer knapp, doch die Schallmöbel verlockend günstig. In einer drehbuchverdächtigen Aktion mietet Herr K. einen Transporter für 24 Stunden, fährt nachts 600 km quer durch die Republik, wuchtet vormittags die Westminster mithilfe des entspannten Verkäufers („Ich habe ja noch ein weiteres Pärchen …“) in den Laderaum, fährt schnurstracks wieder zurück, lernt spätnachmittags bisher unbekannte Nachbarn zum eiligen Ausladen der „Westmonster“ kennen, schafft es, den Transporter in der allerletzten Minute zurückzubringen – und muss noch am selben Abend feststellen, dass „die künftige Ex-Frau“ keineswegs einverstanden ist mit dem selbst organisierten Doppel-Geburtstagsgeschenk. Im Wohnzimmer von Herrn K. steht der gern zitierte Scheidungsgrund.
Weitere zwölf Jahre, ein paar lukrative Karrieresprünge und eine Partnerin später kann Herr K. über die damalige Aktion und deren Folgen nur noch schmunzeln. Die geliebten Westminster sind geblieben. Sie veredeln inzwischen einen beeindruckenden Panorama-Seeblick, werden wahlweise von McIntosh- oder Burmester-Elektronik angetrieben und beschallen mühelos nicht nur das Wohnzimmer eines modernen Massivholzhauses, sondern auch die Terrasse. Selbst durch die geschlossene Terrassentür kann es draußen noch ziemlich fulminant klingen …
Die eigentliche Musik spielt natürlich drinnen, am liebsten Funk und Rock in allen Varianten und am allerliebsten von Vinyl. Leider hat es der viel reisende Herr K. nicht mehr ganz geschafft, den frisch ausgepackten Technics SL-1200GAE mit dem ebenfalls noch jungfräulichen Ortofon Quintet Black auszustatten. Macht nix, es gibt ja noch einen Musikserver, der das ganze Haus versorgt, also auch das Schlafzimmer (B&W 800D), den Heimkinokeller (ElectroVoice, Klipsch, JBL-Subwoofer) und das Refugium des knapp volljährigen Juniors (Klipschorn!). Der unbestrittene Chef im Musik-Ring ist und bleibt aber die Westminster – die momentan ein kleines bisschen unterfordert wirkt …
History & Heritage
Tannoy wird 1926 in London von Guy R. Fountain gegründet und ist vermutlich der älteste Lautsprecherhersteller der Welt. 1946 setzen die offiziellen britischen Nachschlagewerke „Tannoy“ mit „Lautsprechersystem“ gleich – eine schöne Markendurchdringung des Alltags, die anderswo auf der Welt eher Tränentrocknern wie „Tempo“ oder „Kleenex“ vorbehalten ist. 1947 erfindet Tannoy das Prinzip des Koaxiallautsprechers, neigt seither bei den koaxial verbauten Hochtönern zur anschaulichen Namensgebung („Tulip“ und „Pepperpot“), etabliert sich aber auch als Premium-Beschallungsmarke für Stereosysteme, Studios und Stadien.
Die Dicke auf dem Laufsteg
1982 präsentiert Tannoy ein neues Spitzenmodell der Prestige-Serie und erregt damit in jeder Hinsicht einiges Aufsehen, nicht nur mit einem fast schon utopisch hohen Paarpreis von rund 40 000 D-Mark (etwa 20 000 Euro). Die Westminster kommt gerade zur rechten Zeit: Anfang der Achtziger gelten auf dem HiFi-Laufsteg und im Wohnzimmer massige Schallwandler als der letzte Schrei, erst einige Jahre später werden zunehmend gertenschlanke Schönheiten gefragt, je schmaler und hochglanzlackierter, desto besser. Dennoch wurde die Westminster nicht zum Relikt, wie einige andere Super-Lautsprecher dieser Zeit, sondern konnte sich trotz 140 Kilo Lebendgewicht und höchst komplexem Aufbau halten. Sie trägt ein Holzkleid aus geöltem Nussbaumfurnier sowie eine (glücklicherweise abnehmbare) Stoffschürze vor der Schallwand und ist sehr breit, sehr hoch und sehr voluminös, um auch für die Basslagen eine halbwegs brauchbare Hornlänge realisieren zu können. Dafür steht sie nicht im Raum herum und damit komplett im Weg, sondern nutzt festes Mauerwerk im Rücken zur weiteren Tieftonunterstützung. Ihr nomineller Wirkungsgrad ist prinzipbedingt sehr hoch und verspricht gehörigen Spaß auch mit kleinen (Röhren-)Verstärkern – zumindest auf dem Papier. In der Praxis jedoch bewähren sich vor allem potente, eher vollmundig abgestimmte Verstärker, um die dynamischen Talente der eigenwilligen Superbox auch wirklich auszureizen.
In den gut 35 Jahren ihrer Produktion hat die Westminster diverse Modellpflegemaßnahmen und auch entsprechende Preiserhöhungen erfahren. Zwischenzeitlich bietet Tannoy „Royal“- und „TW“-Varianten parallel an, die entweder mit Materialeinsatz (Multiplexholz-Gehäuse, AlNiCo-Magnete) oder Paarpreis punkten, später folgen „HE“- und „SE“-Versionen, was neuartige „Hard-Edge“-Sicken des markanten Tieftontreibers und „High-End“-Bauteile für die Frequenzweiche beschreibt. Seit 2015 trägt auch das Topmodell der Prestige-Serie den Zusatz „GR“ für „Gold Reference“, was unter anderem eine neu entwickelte Weiche und ein verbessertes Schwingspulenmaterial für den Hochtöner umfasst. Doch trotz aller Modifikationen und Verbesserungen ist die Westminster stets sich selbst treu geblieben. Die größte Tannoy für „domestic use“ war, ist und bleibt ein faszinierender LAUTsprecher für HiFi-Individualisten mit potenter Elektronik, viel Raum für artgerechten Auslauf und einem Faible für (Schall-)Möbel im Kolonial- bzw. Landhaus-Stil.
Tannoy Westminster
Vollbereichs-Hornlautsprecher mit 15″-Koaxialtreiber
Produktionszeit: seit 1982
Paarpreis 1982: ca. 40 000 DM
Paarpreis 2016 (Royal GR): ca. 40 000 €
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