Die Lange Nacht der Ohren in Berlin – Berliner Nächte sind lang
Es waren einmal ein gutes halbes Dutzend Berliner HiFi-Händler, die beschlossen vor nunmehr acht Jahren, die Lange Nacht der Ohren ins Leben zu rufen.
Bilder: Roland Schmenner
Berliner Nächte sind lang
Inspiriert vom Erfolg der Berliner Langen Nacht der Museen, bei der unzählige Interessierte mittels Shuttlebussen bei freiem Eintritt von Museum zu Museum durch das nächtliche Berlin tingeln, versprach man sich, in wirtschaftlich schwieriger werdenden Zeiten eine neue Art der Kundenbindung zu erreichen. Und von Jahr zu Jahr muss man sagen: mit Erfolg. Die Lange Nacht der Ohren ist mittlerweile mehr als nur eine bloße Präsentation einzelner Habseligkeiten der jeweiligen Berliner HiFi-Händler, längst ist über die Kooperation mit den individuellen Vertriebspartner eine ansehnliche Leistungsschau erwachsen, die es mühelos mit der ein oder anderen HiFi-Messe aufnehmen kann, nur dass kein einzelner Ort, sondern die ganze Stadt bespielt wird. Hinzu kommt, dass ausnahmslos die Endkunden im Mittelpunkt stehen.
Lange Nacht der Ohren statt IFA
Auch dieses Jahr gab es keinen Händler, der nicht mindestens einen großen Vertrieb im Hause hatte, um so den aktuellen Stand einzelner Produktpaletten zu präsentieren. Mitunter hatte es gar Firmenchefs zur Präsentation in die Hauptstadt verschlagen. Die Lange Nacht der Ohren springt dabei auch in eine Lücke, die sich durch die veränderte Ausrichtung der IFA ergeben hat. Entwickelte sich diese in den vergangenen Jahren zunehmend zu einer Screen- und Smartphone-Show , so kann man ohne falsche Bescheidenheit die Lange Nacht der Ohren durchaus als die neue Funkausstellung für den Audiophilen in der Hauptstadt bezeichnen. Also Zeit, dass sich FIDELITY einmal vor Ort umschaute und Audio Forum, Boxen Gross, HiFi im Hinterhof, Hifiplay, HiFi Studio 10, King Music, Max Schlundt Kultur Technik und Phonophono einen abendlichen bzw. nächtlichen Besuch abstattete.
Routenplanung
Vom nördlichen Stadtrand das Zentrum erreichend, lag zunächst Hifiplay in Moabit auf dem Weg, wo pünktlich um 17 Uhr bereits der erste Shuttlebus eine größere Schar Audiophiler in Richtung Hörvergnügen schickte. In den oberen Gefilden führte Geschäftsinhaber Strehlau senior, ein Urgestein der Berliner Szene, durch das umfangreiche Burmester-Programm des Hauses, diesmal ergänzt um die analogen Zuspieler von PE, die sich ganz hervorragend in die Klangästhetik der Burmester‘schen Preziosen einfügten. Im unteren Stockwerk war dann Strehlau junior für die ELAC-Präsentation zuständig, die mit einer knallorangen Variante des neuen Miracord-Laufwerks einen willkommenen Farbfleck in den trübnassen Berliner Herbstabend brachte. Den Zwergböxchen BS 312 lauschend, ertappte sich der ein oder andere Zuhörer dabei, wie er nach einem Subwoofer Ausschau hielt, um dann festzustellen: Fehlanzeige. Erstaunlich, was für ein Schalldruck hier in den Raum geworfen wurde. (Den Nörgler unter den Gästen, der sich lauthals beschwerte, dass dies ja nie und nimmer ein Vollbereichslautsprecher sei, den lassen wir jetzt mal dezent beiseite)
Bermuda Kreuzberg
Anschließend stellte sich die Frage, ob man sich von Moabit aus zunächst in das Kreuzberger Bermudadreieck der Berliner HiFi-Händler begeben sollte oder ob doch lieber der Weg westwärts in Richtung Charlottenburg einzuschlagen wäre. Wissend darum, dass in der Regel die Nächte der langen Ohren bei Max Schlundt im Stilwerk auch noch nach Mitternacht lang werden können, entschloss sich der rasende Reporter, doch zuerst Kreuzberg in Angriff zu nehmen. Im berühmt-berüchtigten SO-36-Kiez wartete dann bei Boxen Gross eine wohlsituierte Linn-Vorführung, die nicht nur die eingeweihten Linnianer beeindruckte und wieder einmal demonstrierte, dass Schottland nicht nur Malt und Öl importiert. Weiter führte der Weg dann in die Bergmannstraße zu PhonoPhono, wo die Mannen um Peter Lützelberger ja schon lange nicht mehr rein auf Analog spezialisiert sind, sondern mittlerweile auch Digitales im Programm haben. Seit einiger Zeit kann man dort auch fast das komplette E.A.R-Programm Tim Paravicinis vorfinden, bei der Langen Nacht der Ohren kongenial mit den Hochwirkungsgrad-Lautsprechern von DeVore verbandelt, dessen größtes Modell auf den tierischen Namen Orangutan 96 hört. Mit LPs aus den Berliner Meister Studios gab man sich ganz lokalpatriotisch und das Ergebnis, das die Quelle aus Kuzma Stabi/Stogi und Rega Apheta in die E.A.R.-DeVore-Kombination weiterreichte, konnte sich wahrlich hören lassen. Sehr schön auch, dass mit dem Friedrich Liechtenstein Trio (ja, das ist der „Supergeil“-Mann aus der Edeka-Reklame) nicht die übliche Vorführmusik die Zuhörer drangsalierte. Überhaupt war die Musikauswahl bei fast allen Berliner Händlern der Langen Nacht der Ohren angenehm differenziert und meist weit ab von den üblichen ‚HighEnd-Perlen‘ á la Sara K. & Co.
Curry & carry on
Bevor es dann drei Straßen weiter zu HiFi im Hinterhof, der letzten Kreuzberger Station ging, musste im Nieselregen dann doch noch schnell eine Berliner Currywurst als Wegzehrung her. Glücklicherweise hat sich dank des wachsenden Hipstertourismus‘ die Schlange vor der legendären „Curry 36“ hin zu „Mustafas Gemüsedöner“ nebenan verschoben, so dass der eng gesteckte Zeitplan nicht in Bedrängnis geriet. Gut gestärkt wurde das Auto einfach stehen gelassen und – dem Wetter trotzend – der Weg zu Fuß angegangen. Bereits von weitem war die Menschentraube auf der Straße auszumachen, die in einem ausgelagerten Studio die Präsentation der neuen B&W 800 D3 miterleben wollten. HiFi im Hinterhof machte dann seinem Namen alle Ehre, indem sämtliche über die Hinterhöfe verteilten Studios geöffnet hatten. Hier fand dann auch die erfreulichste Erkenntnis des Abends statt: Es gibt sie noch, die so oft Beklagten und Vermissten – Teens und Twens tummelten sich im Kopfhörerstudio der Hinterhöfler, probierten Schallmützen im dreistelligen und vierstelligen Bereich aus und ließen sich die aktuellsten Mobilplayer erläutern. Die oftmals gescholtene MP3-Jugend findet doch den Weg zur hochwertigen Musikwiedergabe, wenn auch über den Umweg des mobilen Hörens. Und dem überwältigenden Sound eines Focal Utopia oder eines Beyerdynamic T1 konnten sich auch die jungen Nachwuchskräfte nicht entziehen. Überhaupt war das Publikum in Alter, Auftreten und Habitus so unterschiedlich, wie es auch die Berliner HiFi-Händler selber sind, nur dass die Lange Nacht der Ohren sie eben alle zusammenführt und auch zu den Händlern, die nicht unbedingt die angestammten sind.
Tief im Westen
Wie zahlreich die Hifi-Fans unterwegs waren, konnte man dann auf der nächsten Station tief im Berliner Westen erleben. Verteilten sich die Massen in den Hinterhof-Studios noch gut, so konnte man im Audio Forum am gediegenen Ende des Kurfürstendamms die Interessierten nur schubweise in den Hörkeller zum avisierten Blindtest mit Überraschungsvorführen hereinlassen. Entschädigt wurde man dafür mit dem definitiv besten Verköstigungsangebot des Abends. Schnittchen, Frikadellchen, Wein, Wasser und Kaffee sorgten auf dem zum kalten Buffet umfunktionierten Verkaufstresen für gute Laune und versorgten Körper und Geist mit neuer Energie.
Trio finale
Nun galt es, das letzte Trio des Abends in Angriff zu nehmen. Nach dem feingeistigen Musikgenuss aktueller Martin-Logan-Elektrostaten im HiFi Studio 10 konnte man es anschließend bei King Music mal so richtig rappeln lassen. Geschäftsführer Heinz Lehmann wartete im gerade erst modernisierten Heimkino mit dem neuen Dolby-Atmos-Soundsystem auf den Filmfreund. Nicht weniger als elf Kanäle demonstrierten mit Actionszenen aus „Transformers“ und „Star Wars“ das neue und wahrlich beeindruckende Klangerlebnis, das die gestochen scharfen Bilder auf der Leinwand erst so richtig zum Leben erweckte. Ausschließlich die Ohren waren dann bei den beiden Dynaudio-Vorführungen gefordert: einmal analog über eine Pro-Ject-Kette und einmal rein digital über ein NAD-System konnte man sich von den hoch auflösenden Fähigkeiten der neuen Contour-Serie überzeugen. Nachdem die Uhr bereits weit die 23-Uhr-Markierung überschritten hatte, galt es nun auf der gegenüberliegenden Straßenseite den einsamen Nachtportier des Stilwerks aus seinem Dämmerzustand zu befreien und per Fahrstuhl hoch in den dritten Stock zu Max Schlundt Kultur Technik zu gelangen. Trotz vorgerückter Stunde tollte hier noch das pralle Leben.
Mr. Audionet Thomas Gessler war extra nach Berlin gekommen, um persönlich die neue „Scientists-Serie“ aus seinem Hause zu präsentieren. Nachdem zuvor bei fast allen Händlern nur Streaming oder Analog als Quelle fungierten, war man erstaunt, dass Audionet mit dem Modell Planck tatsächlich so etwas wie den finalen CD-Player ins Rennen geschickt hatte. Wie schon bei HiFi im Hinterhof waren auch bei Max Schlundt viele junge Gesichter unter den Besuchern, die vor allem die vielfältig vorhandenen Kopfhörer in Beschlag nahmen. Und auch hier überzeugten vor allem die beiden neuen Spitzenhörer Utopia und Elear von Focal. Besonders großen Anklang fanden die Aktivmonitore Kii Three, die, bei konsequent digitaler Nutzung, de facto die eierlegende Wollmilchsau darstellen und auch noch weit nach Mitternacht so manche Kinnlade bei den Zuhörern nach unten klappen ließen – nicht aus Müdigkeit, sondern vor Begeisterung. Mit einem letzten Glas Rotwein in der Hand und einigen Livetracks auf den großen Avantgarde-Hörnern lauschend, ließ dann der rasende Reporter die Erlebnisse des Abends nochmal an sich vorbeiziehen, ehe dann auch bei Max Schlundt im Stilwerk zwei Stunden nach Mitternacht die Türen geschlossen wurden und man sich in der mittlerweile trocknen Berliner Nacht auf den Heimweg machte.
Wir fahren nach Berlin
Was bleibt zu sagen? Planen Sie doch einfach mal Ihren nächsten Berlinbesuch auf das erste Novemberwochenende. Sicher, der Berliner Herbst hat seine wettertechnisch unangenehmen Seiten, aber wo bekommen Sie sonst eine quasi private High-End-Messe rein für den Endkunden in konzentrierter Form an einem einzigen Abend geboten? Aber Obacht: Beginnen Sie Ihre Tour ruhig schon am Nachmittag, die Händler haben ohnehin den ganzen Tag geöffnet und viele Vorführungen beginnen bereits vor 17 Uhr. Schließlich wollen Sie nicht von Händler zu Händler hetzen, sondern einen möglichst entspannten Hörabend verbringen. Wir sehen uns – bei der Langen Nacht der Ohren 2017.