Die Kunst der Verführung
Gründe, sich für einen Devialet zu entscheiden gibt es viele. Der Devialet 110 macht es einem besonders leicht.
Die Verstärker-Flotte von Devialet erhebt keinen geringeren Anspruch als diesen: den naturgetreuesten Klang zu vermitteln, den es je gab. Doch anders als all diejenigen Amps, die aus der simplen Intention heraus entstanden, den „weltbesten Verstärker“ zu bauen, entsprangen die beinahe revolutionär anmutenden Devialets keineswegs der puren Absicht. Vielmehr sind sie das Resultat einer genialen Schaltungsidee ihres Entwicklers, des Telekommunikations-Experten Pierre Emmanuel Calmel. Mit diesem Schaltungskonzept schien es nun tatsächlich möglich, die besten Verstärker der Welt zu bauen. Alles andere entwickelte man bei Devialet sozusagen um diesen neuartigen Ansatz herum. Und das erledigten die Franzosen derart konsequent, dass die Devialets nun offenbar ohne Frage Protagonisten einer neuen HiFi-Generation darstellen. Denn sie bieten eine nahezu unwiderstehliche Mischung aus ebenso exklusivem wie repräsentativem Design, hoher Leistungsfähigkeit, Hightech-Appeal, einfachster Bedienung, hoher Flexibilität und individueller Konfigurierbarkeit gepaart mit Konnektivität – und sind damit mindestens ebenso zeitgeistig wie hochwertige Smartphones.
So kann man sich für einen Devialet auch auf unterschiedliche Weise erwärmen: Early Adopters und Musikliebhaber kaufen sie einfach und haben Spaß. HiFi-Nerds hingegen erfreuen sich an einer geballten Technikladung, die so schnell nicht zu überbieten ist. In jedem Fall aber dürfen Devialet-Kunden ihr Leben lang dem nächsten kostenlosen Software-Update entgegenfiebern: Das kann entweder die Klangqualität verbessern, neue Funktionen mit sich bringen oder aber die Konfigurationsmöglichkeiten erweitern.
Das Besondere an diesem Konzept ist, dass all diese Vorzüge für die gesamte Devialet-Verstärkerpalette gelten, und zwar vom hier vorgestellten Devialet 110 für knapp 5000 Euro bis hinauf zum 12 900 Euro teuren Devialet 240. Hauptsächlich – und darauf deutet schon ihre Typenbezeichnung hin – unterscheiden sich die drei Modelle in der verfügbaren Ausgangsleistung. Natürlich ist auch eine sehr geschickt angelegte Staffelung in Sachen Ausstattung erkennbar, sie beeinträchtigt jedoch niemals wirklich essenzielle Funktionen. Der 110er ist also definitiv kein reduziertes Spar-Modell. Vielmehr soll er genau die richtige Wahl für jene darstellen, denen eine Nennausgangsleistung von 110 Watt pro Kanal ausreichend erscheint.
Gemeinsam ist allen Devialets das ausgefuchste, praxisorientierte Bedienkonzept, die superbe Verarbeitungsqualität und – als tragende Säule – das technische Grundprinzip. Das allerdings muss man nicht zwingend kennen oder gar verstehen, um sich für einen Devialet erwärmen zu können; gibt es dafür doch genügend andere Gründe, beispielsweise das völlig HiFi-untypische Erscheinungsbild. Für Tekies dürfte die nachfolgende „Tour de France“ aber auf jeden Fall interessant sein.
Ebenso wie bei den anderen Devialet-Modellen bildet auch beim 110er der Endverstärkerblock das zentrale Element. Er kombiniert pro Kanal einen analogen Class-A-Verstärker als Spannungssteuerstufe mit mehreren Class-D-Schaltverstärkerblöcken als Stromlieferanten. Der Gedanke hinter dieser Parallelschaltung (die übrigens das „Current-Dum-ping“-Prinzip beim legendären Quad-405-Endverstärker aus dem Jahre 1976 mit neuen Mitteln interpretiert): Dank Schaltverstärker-Unterstützung braucht der Class-A-Amp nur einen Bruchteil des Lautsprecherstromes aufzubringen und arbeitet daher beinahe lastfrei, was einen ultrastabilen Arbeitspunkt erzielt und damit seine Eigenschaften nochmals dramatisch verbessert. Diese patentierte, ADH genannte Analog-Digital-Hybrid-Schaltung kombiniert somit das Beste aus zwei Welten: geringste Verzerrungen, hohe Ausgangsleistung, exzellenter Wirkungsgrad bei hohem und frequenz-unabhängigem Dämpfungsfaktor.
Um digitale Quellen direkt anschließen zu können, aber auch um einen besonders hohen Störabstand zu erzielen arbeitet die Vorstufensektion (auch) beim 110er mitsamt Lautstärkesteller digital. Hier findet sich eine weitere patentierte Devialet-Spezialität: Die D/A-Wandler-Bausteine vor den Endstufen (Burr-Brown PCM1792) erzeugen über einen nachgeschalteten, vom Signalweg her sehr einfach gehaltenen Strom-Spannungs-Konverter bereits den gesamten am Lautsprecherausgang erforderlichen Spannungshub. So lässt sich der Dynamikumfang der DAC-Chips voll ausnutzen, während die eigentlichen Class-A-Amps in sogenannter Einsverstärkung nahezu rauschfrei arbeiten – eine geniale Schaltungsidee.
Natürlich kann der Devialet 110 auch analoge Tonquellen wiedergeben, wobei man die Entweder-oder-Wahl zwischen Line- und Phono-Eingang hat: Es gibt nur ein Pärchen Cinchbuchsen für Analogsignale. Zur optimalen Aussteuerung des A/D-Wandlers (Texas Instruments PCM 4202) lässt sich die Empfindlichkeit von Hochpegel- und Phono-Eingang im sogenannten Online-Konfigurator sogar in weiten Bereichen an die jeweiligen Quellen anpassen.
Ohnehin bildet der Online-Konfigurator die zentrale Drehscheibe für sämtliche Voreinstellungen des Devialet, und das sind in der Tat etliche. In der Praxis funktioniert das ganz einfach: Nach dem Einrichten eines persönlichen Accounts auf der Devialet-Homepage lassen sich via Web-Browser die gerätespezifischen Optionen auswählen und entsprechend anpassen. Anschließend wird das gesamte Setup als Daten-File auf eine SD-Karte übertragen und diese dann rückseitig ins Gerät gesteckt – das war’s. Genau so verfährt man übrigens auch bei den regelmäßigen Firmware-Updates, sodass eine permanente Verbindung zwischen Devialet und Computer nicht erforderlich ist.
Die Lautstärkeeinstellung sowie die Schneidkennlinien-Entzerrung für den Phono-Eingang übernimmt ein leistungsfähiger Sharc-Signalprozessor von Analog Devices. Er ist auch für andere, via Konfigurator wählbare Aufgaben zuständig, beispielsweise als aktive Frequenzweiche zur Bi- oder Tri-Amping-Konfiguration mehrerer Devialets. Darüber hinaus besitzt der DSP noch reichlich Rechenkapazität für zukünftige Anwendungen, denkbar wären zum Beispiel digitale Vinylüberspielungen auf die SD-Card. Bislang gelingen die nur bei den größeren Devialets über den S/PDIF-Ausgang, auf den der 110er allerdings ebenso verzichten muss wie auf den analogen Subwoofer-Ausgang.
Dafür macht das für etwa 1000 Euro nachrüstbare Streaming-Modul den 110er zum drahtgebundenen oder auch WiFi-Netzwerk-Client. Dabei erlaubt das Devialet-exklusive, „AIR“ (Asynchronous Intelligent Route) genannte Verfahren volle High- Resolution-Tonübertragung vom Computer. Die hauseigene, für Mac und PC (kostenlos) verfügbare AIR-Applikation nutzt die Steuerfunktionen von Playern wie iTunes & Co, umgeht jedoch – ähnlich Audirvana oder Pure Music – den klanglichen Flaschenhals USB-Datenausgabe. Stattdessen überträgt AIR nur native Musikdaten-Pakete ohne Taktsignale, die im Devialet wieder zusammengesetzt und Jitter-befreit über die interne Masterclock neu synchronisiert werden. AIR basiert auf dem WiFi- Standard 802.11n und ist somit kompatibel zu allen gängigen WLAN-Netzwerken.
Musik hören mit dem Devialet 110 ist zweifelsohne ein Erlebnis der besonderen Art. Der Begriff „spektakulär“ ist hierbei durchaus angebracht, auch wenn sich das keineswegs in grobdynamischem „Tsching-Bumm“ ausdrückt. Vielmehr ist es seine absolute Klarheit, das vollständige Fehlen von Trübungen oder Rauigkeiten, womit der Devialet 110 begeistert.
Gute Verstärker zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie Teilschallquellen mit exakt umrissenen Konturen darstellen können. Vielen hochwertigen Amps gelingt das im Mittel- und Hochtonbereich in der Regel sehr ordentlich. Nicht nur an meiner Canton Reference 7.2, sondern auch an der kompakten Dynaudio Focus 160 vollbringt der Devialet 110 darüber hinaus das Kunststück, die randscharfe Abbildung auch bei tiefen Frequenzen beizubehalten. Selbst großvolumige Schallquellen wie beispielsweise Kontrabässe besitzen eine fein abgegrenzte, räumlich nachvollziehbare Ausdehnung und erscheinen nicht aufgedunsen im akustischen Abbild. Dieses Phänomen, ge-paart mit der Fähigkeit, Schallquellen auch in der Bühnentiefe deutlich voneinander abzugrenzen, führt zu einem außerordentlich stabilen, ja geradezu majestätischen Klangbild.
Auch hechelt der smarte Franzose nicht in vorauseilendem Gehorsam getrieben durchs Programm, sondern nimmt sich für jeden einzelnen Klang stets das richtige Maß an Zeit – mit ihm bleiben sogar die Pausen spannend. Besonders angetan bin ich auch von der absoluten Schlackenlosigkeit: Irgendwie erinnert der Devialet 110 an einen Spiegel, sozusagen in Analogie zu seinem schwarz verchromten Gehäuse. Dabei klingt er ebenso „durchlässig“ wie ein guter Röhrenamp – allerdings ohne die Glaskolben-typischen Verzerrungsbeigaben.
Die Klangunterschiede zwischen den verschiedenen Eingängen des Devialet fallen dabei erfreulich gering aus. Zwar klingt für mich die USB-Wiedergabe am farbigsten, doch spielt der 110er via Analogeingang nur einen Hauch zurückhaltender, behält aber das Wesen seines Klanges bei. Optimale Ergebnisse lassen sich durch Anpassen der Eingangsempfindlichkeit im Online-Konfigurator an den Ausgangspegel der Quelle erzielen: Zu geringe Empfindlichkeit kostet unnötig Rauschabstand, während zu hohe Werte den internen Spitzenpegelbegrenzer (Limiter) ansprechen lässt, was Transienten ihre anspringende Attacke raubt.
Während sich der Phono-Eingang bei den größeren Devialets per Online-Konfigurator hinsichtlich Eingangswiderstand und -kapazität anpassen lässt, beschränkt sich der 110 auf die Wahl zwischen MM-
und MC-Betrieb sowie das Einstellen der Spannungsverstärkung. Gespeist von meinem Lyra-Dorian-bestückten Thorens TD 524 lässt er jedoch kaum den Wunsch nach einer besseren, externen Phono-Vorstufe aufkommen. Und wer weiß, ob nicht sogar ein zukünftiges Firmware-Update auch dem 110er einen wählbaren MC-Eingangswiderstand beschert …
Da mein Test-Devialet mit dem optionalen Streamingmodul bestückt ist, bietet sich ein Hörvergleich zwischen Netzwerk- und USB-Betrieb bei HiRes-Wiedergabe an.
Zwar könnten Hardcore-Erbsenzähler hier anmerken, dass sich der mit dem XMOS-Chipsatz arbeitende USB-Eingang – vom MacBook via Pure-Music-Player gespeist – knapp behauptet; die Devialet-hauseigene AIR-Streaming-Lösung wirkt insgesamt etwas statischer. Aber deswegen auf die Streaming-Option zu verzichten, wäre wahrlich nicht besonders klug. Da es sich bei AIR um eine Art Software-Player handelt, kann das Klangergebnis beim nächsten Update nämlich durchaus ins Gegenteil umschlagen – von den praktischen Vorzügen einmal ganz abgesehen.
5000 Euro für einen HiFi-Verstärker sind sicher kein Pappenstiel. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass der Devialet 110 bereits einen nach heutigem Stand kompromisslosen D/A-Wandler mitbringt. Verglichen mit einem Gespann aus konventionellem Verstärker plus separatem D/A-Wandler auf gleich hohem Klangniveau, kann man den Franzosen daher schon beinahe als Sonderangebot bezeichnen. Alles in allem wird also selbst der kritischste Hörer schwerlich einen triftigen Grund finden, den Devialet 110 nicht zu kaufen. Und das spiegelt nur die objektive Betrachtungsweise wider. Denn ähnlich wie Apple gelingt es auch Devialet mit seinen Produkten, einen unwiderstehlichen Kaufanreiz zu schaffen – ein Devialet-Amp ist ein Gesamtkunstwerk. Und da können Sie mich ruhig beim Wort nehmen: Sie werden den Kauf garantiert nicht bereuen.
www.audio-components.de www.devialet.com