Der kleine Prince
Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
Er trägt einen dunkelblauen Anorak, die Ohren wärmt ein hellblaues Stirnband an diesem offenbar kühlen Frühlingstag in den Straßen von Minneapolis. Zunächst sieht man den Jungen in einer Gruppe Passanten auf und ab hüpfen. Vermutlich will er einen besseren Blick auf das Geschehen erhaschen. Ein Kamerateam eines Fernsehsenders berichtet von einem Lehrerstreik. Dann steht der Junge selbst vor dem Mikrofon. Ein Reporter fragt ihn: „Unterstützt ihr Kids alle den Streik von euren Lehrern?“ „Yupp“, antwortet der Junge. Und fügt mit einem etwas schüchternen, aber auch irgendwie vertrauten schelmischen Lächeln hinzu: „Lehrer sollten mehr Geld bekommen, weil sie Überstunden und so was für uns machen.“ 17 Sekunden dauert dieser Clip, aufgenommen im April 1970 in einem Schwarzenviertel im Norden der Metropole Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. Es ist ein historisches Filmdokument, vor wenigen Wochen zufällig entdeckt im Archiv von WCCO-TV, einer lokalen Fernsehstation. Der Junge, der dort zum Streik seiner Lehrer Stellung bezieht, ist der elfjährige Prince Nelson. Es könnte die einzige öffentlich bekannte Filmaufnahme sein, die den späteren Weltstar Prince als Kind zeigt. Als Fünftklässler in den Straßen seiner Heimat.
Die Aufnahmen üben eine seltsame Faszination aus. Es ist, als ob sich für kurze Zeit ein Fenster in die Vergangenheit öffnet. Wir sehen einen Jungen, der wenige Jahre später eine der größten Künstlerkarrieren unserer Zeit beginnen wird. Bereits 1978 wird er seine erste Platte veröffentlichen, For You, da ist er keine zwanzig. Er wird Welthits schreiben, „Little Red Corvette“, „When Doves Cry“, „Kiss“ und natürlich „Purple Rain“. Er wird zum musikalischen Genie werden, zur Legende. Er wird auf hohen Absätzen die Bühnen der Welt erobern. Er wird seinen Namen ablegen und sich „The Artist Formerly Known As Prince“ nennen, er wird als „Symbol“ auftreten. Er wird bei einem Konzert zu Ehren von George Harrison das verrückteste Gitarrensolo aller Zeiten zum Beatles-Klassiker „While My Guitar Gently Weeps“ spielen. Er wird die denkwürdigste Halbzeitshow beim amerikanischen Superbowl-Finale zelebrieren. Er wird für etwas verrückt gehalten werden, und er wird viel zu früh im Alter von 57 Jahren sterben. Im April 2016, fast auf den Tag genau 46 Jahre nach dem jetzt entdeckten Interview aus dem April 1970. All das wissen wir, wenn wir diesen etwas orangestichigen Filmclip anschauen. Der Junge dort, der weiß es noch nicht. Er denkt vielleicht, das Interview am Rande des Lehrerstreiks ist sein großer Moment. Die Geschichte aber wird ihren Lauf nehmen.
Reporter Quent Neufeld übrigens, der damals das Interview führte, lebt heute im Ruhestand in Oregon. Er ist 82 und fing vor Rührung an zu weinen, als man ihm jetzt berichtete, wen er damals vor 52 Jahren vor der Kamera hatte.
PS: Unnützes Wissen, Teil 24: Die Halbzeitshow beim Superbowl, dem jährlichen Finale der American-Football-Saison, ist eine Veranstaltung für sich. Wo früher Marching Bands das Publikum unterhielten, wird seit Jahren Musik- bzw. auch Klatsch- und Tratsch-Geschichte geschrieben. Janet Jackson zerstörte quasi ihre Karriere, als Justin Timberlake ihr 2004 vor Milliarden Zuschauern den BH von der Brust zupfte. Die legendärste Show aber lieferte Prince am 4. Februar 2007. Erst regnete es im Dolphin Stadion in Miami, dann schüttete es. Prince aber flüsterte „Dearly Beloved“ ins Mikro und stellte zwölf Minuten lang mit einem Medley aus u. a. „Let’s Go Crazy“, „Proud Mary“ von Creedence Clearwater Revival und Bob Dylans „All Along The Watchtower“ die Musikwelt auf den Kopf. Das finale „Purple Rain“ im Monsun von Florida halten viele für die beste Prince-Darbietung aller Zeiten.