Deep Purple – Now What?!
Die Untoten
“Time, it does not matter.” Kein schlechter Albumanfang für eine Band, die gegründet wurde, als Stefan Raab kaum zwei Jahre alt war und Pep Guardiola noch nicht einmal geboren. Damals wurde Rockmusik für den akuten Ausdruck einer jungen Generation gehalten und nicht für eine Lebenshaltung, mit der man alt werden kann. Als einziges Gründungsmitglied der Band ist Ian Paice, der Schlagzeuger, noch übrig, jetzt also Mister Deep Purple persönlich. Ian Gillan und Roger Glover sind fast so lange mit dabei, aber fehlten zwischendurch für etliche Jahre. Der Benjamin der Band, Gitarrist Steve Morse, feiert bald sein 20-jähriges Purple-Jubiläum: Er war es, der Deep Purple in den Neunzigern wieder auf den direkten, rockenden Pfad brachte und zugleich mit seiner sehr amerikanischen Virtuosität ganz neue Saiten aufzog. Auch schon seit mehr als einem Jahrzehnt gehört Keyboarder Don Airey dazu, der englische Rockveteran, der den nur vier Jahre älteren Jon Lord ersetzt hat. Durchschnittsalter der aktuellen Band: 65 Jahre.
Eine Legende wie Deep Purple ist in der eigenen Geschichte gefangen. Diese Band kann und darf sich nicht mehr neu erfinden – und doch muss sie immer wieder für kleine Überraschungen gut sein, um nicht zu nerven. Die Gratwanderung, so viel darf man sagen, ist dem Quintett auf Now What?! durchaus geglückt. Für die alten Fans gibt es die rockigen Grooves und griffigen Riffs und kleinen Nebenmotive, die immer Deep Purples Stärke waren: „Out Of Hand“, „Hell To Pay“, „Bodyline“ oder „Après Vous“ erneuern ein angenehmes Déjà-vu. Auch klingt Ian Gillan, der Sänger-Opa, immer noch nach Ian Gillan – nicht wirklich melodisch, mehr so dieser harmonisierte Sprechgesang. Ganz zum Schluss wagt er sogar noch mal den Falsettschrei. Na ja, es ist ein Song über Untote.
Frisch wie Blackmore und Lord in ihren besten Tagen (1972?) riffen, tänzeln und strahlen die beiden Instrumentalsolisten. Morse zielt nicht mehr so sehr auf Verblüffung wie früher, packt aber genug in seine Soli, um zu fesseln. Airey beherrscht an der Orgel die ganze Trickkiste des verewigten Jon Lord, das Bluesige, das Barocke, das Fauchige, und setzt außerdem ein paar schöne synthetische Farbtupfer: falsche Streicher, falsche Kirchenorgel, elektrisches Klavier („Blood From A Stone“), sogar ein hübsches Synthie-Solo („Weirdistan“). Mögen auch die Balladen ein wenig langweilen und die Geniestreiche fehlen: Es gibt sie, die neuen Töne, die unerwarteten, die aufhorchen lassen. Etwa die Instrumentalpassagen in „Blood From A Stone“ und „Après Vous“ – oder die Tatsache, dass ein Purple-Album auch einmal ruhig und sanft beginnen kann. Erst als die Zeitanzeige auf 2:00 springt, wird es laut, schnell und Purple-hart.