Forever Young – 50 Jahre Album-Klassiker – Deep Purple – Fireball
Das zweite Album ist immer das schwerste. Mit der Platte In Rock (1970) hatten sich die „neuen“ Deep Purple – die „Mark II“-Besetzung mit Gillan und Glover – als kompromisslose Hardrock-Band definiert. Der Erfolg war überwältigend und machte Deep Purple zur weltweit angesagtesten Band. Doch wie an den Erfolg anknüpfen? War die Härte noch steigerbar? Oder sollte man dasselbe Album „noch einmal“ machen? Das Motto der Band lautete: Sich treu bleiben, aber fortschreiten. Nur: Wie könnte dieser Fortschritt aussehen? Ein klares Konzept fürs zweite Album gab es nicht, nicht einmal ein gezieltes Arbeiten. Die Studiosessions wurden, wenn es sich ergab, in den Terminplan eingeschoben – zwischen Konzertauftritten, TV-Dates, Tourneen. Obendrein hatten drei der fünf Bandmitglieder zu dieser Zeit ernste gesundheitliche Probleme. Außerdem wurden die Spannungen zwischen den beiden „Diven“ (Gillan und Blackmore) immer größer. Roger Glover erinnert sich: „Ian und Ritchie fetzten sich ständig. Ian dachte wohl: ‚Wenn Ritchie sich so aufführen kann, kann ich das auch.‘ Also wurde er ein ebenso großes Arschloch.“ Gillan sprach damals kräftig dem Alkohol zu. Als er später von den Aufnahmen zu Fireball erzählen sollte, meinte er nur: „Ich kann mich an nichts erinnern.“
Die Aufnahmen entstanden sporadisch, verteilt über zehn Monate und über mindestens vier Studios. Eigentlich sollte das Album schon im Frühjahr 1971 erscheinen, doch die Ideen stellten sich nur langsam ein. Meist ging die Band ausgepowert und mit leerem Kopf ins Studio und hoffte dort auf Einfälle. Dennoch äußerten sich vier der fünf Musiker im Rückblick sehr stolz über das Ergebnis. Jon Lord mochte Fireball lieber als In Rock, weil der Ansatz vielfältiger sei: „Das Album wandert an Orte, die wir gar nicht erwartet hatten.“ Auch Roger Glover lobte den erweiterten musikalischen Rahmen, und Ian Gillan nannte Fireball sein liebstes Deep-Purple-Album überhaupt: „Einige der Stücke sind wirklich, wirklich originell.“ Es ist ein Album, das mit jedem Durchgang wächst – „das sich langsam öffnet und durch Zuhören entdeckt sein will“, wie die Purple-Forscher Roth & Sailer schreiben. „Nie mehr war die Band so einzigartig experimentell“, sagt der Purple-Kenner Simon Robinson. Mit seinen stilistischen Brüchen, innovativen Gitarrensounds, hypnotischen Flows und kleinen Studioeffekten ist Fireball auf jeden Fall das progressivste aller Deep-Purple-Alben.
Aufnahme: September 1970 bis Juni 1971
Veröffentlichung: 1. September 1971
Label: EMI Harvest
Produktion: Deep Purple
Titel:
- Fireball 3:22
- No No No 6:52
- Demon’s Eye 5:16
- Anyone’s Daughter 4:40
- The Mule 5:19
- Fools 8:16
- No One Came 6:24
Musiker:
Ian Gillan, Gesang
Ritchie Blackmore, Gitarren
Jon Lord, Orgel & Piano
Roger Glover, Bass
Ian Paice, Schlagzeug
- Das erste Stück, das entstand, ist völlig untypisch für Deep Purple: „Anyone’s Daughter“, ein leiser Song, fast skizzenhaft. Blackmore spielt ein wenig im Stil von Country-&-Western-Gitarristen, Gillan singt einen witzigen Text mit Wildwest-Assoziationen, und Lord improvisiert ein jazziges Saloon-Piano. Die Hardrock-Fans reagierten verstört.
- Im Dezember 1970 ging die Band für zwei Wochen in ein Bauernhaus nach Devonshire, um konzentriert am Album zu arbeiten. Allerdings nahm man die Freundinnen bzw. Familien mit – an Arbeiten war gar nicht zu denken.
- Das Album beginnt mit dem legendären „Swoosh“-Sound des „Feuerballs“. Die Band behauptete, sie hätte hier einen speziellen Synthesizer verwendet. Tatsächlich aber hört man das Geräusch, mit dem die Klimaanlage im Tonstudio ansprang.
- „Fireball“ war als Drei-Minuten-Single konzipiert, aber ursprünglich nicht als Titelstück. Dieser Song hat kein Gitarrensolo, dafür ein Basssolo, das originell ins Orgelsolo übergeht. Weil Ian Paice hier Double Bass Drum spielt, gilt das Stück als Startschuss des Thrash Metal.
- Die progressiven Höhepunkte des Albums sind „No No No“ und „Fools“. In beiden Songs wechselt die Dynamik mehrfach zwischen den sanft-raffinierten Instrumentalsoli und den heftigeren Vokalstrophen. Es gibt Stellen mit sparsamem Sound, aber von großer Funkiness und hypnotisierender Wirkung. Über „No No No“ schreibt Simon Robinson: „Die Struktur des Songs trotzt der Analyse, der musikalische Stil passt in keine Kategorie.“
- „The Mule“, benannt nach einer Romanfigur von Isaac Asimov, ist der Space-Rock-Song des Albums. Dazu gehören psychedelische und orientalische Anklänge, sogar die Imitation einer Sitar. Das ostinate Trommelmotiv dürfte von Pink Floyd inspiriert sein. Im Live-Programm von Deep Purple war „The Mule“ das Drum-Feature.
- Fürs Album entstand auch der Song „Strange Kind Of Woman“. Er wurde vorab (Februar 1971) als Single veröffentlicht, weil die Band einen Nachfolge-Hit für „Black Night“ brauchte. Als das Album endlich fertig war, schien „Strange Kind Of Woman“ nicht mehr frisch genug – als Ersatzsong fürs Album entstand kurzfristig „Demon’s Eye“.