Aufnahme läuft!
ATR-Vordenker Markolf Heimann nennt es „ein Experiment“: Für ein paar Stunden wurde die ATR-Villa in Eltville zum Aufnahmestudio, zum Schauplatz einer Live-LP-Produktion. Die Protagonisten: De-Phazz.
De-Phazz
Loungejazz-Experten aus Heidelberg, die seinerzeit mit „The Mambo Craze“ wochenlang die deutschen Popcharts anführten. An den Reglern: der „Sommelier du Son“ alias Dirk Sommer. Das Ziel: die Veröffentlichung einer rein analog produzierten De-Phazz-LP im Herbst 2023.
„Läuft das Band?“, fragt Schlagzeuger Oli Rubow. Eine Sekunde später kommt aus dem Nebenraum die Bestätigung von Dirk Sommer: „Band läuft“. Die Aufnahmesession kann beginnen, an deren Ende elf Songs auf Tonband gespeichert sein werden. Die Bänder laufen mit 38 Zentimetern pro Sekunde, bei der streng stereofonen Aufnahme verlässt sich Sommer auf zwei parallel am Mischpult hängende Studer-Bandmaschinen vom Typ A810. Studio-Equipment in unkaputtbarer Tresortür-Qualität aus der Schweiz. Die Consumer-Versionen dieser Geräte für die Ewigkeit werden unter dem Markennamen Revox verkauft, Präzision und Langlebigkeit stehen bei den Rundfunk-erprobten „Panzern“ vor allem anderen.
Eigene Plattenproduktionen hat der Vertrieb ATR schon seit längerer Zeit im Portfolio. Nun soll die schmucke Jugendstil-Villa im hessischen Eltville am Rhein ihre Qualitäten als Aufnahmestudio unter Beweis stellen. Der Auftritt der Heidelberger Kult-Jazzband De-Phazz ist, wenn alles gut läuft, nur der Auftakt zu einer Reihe ähnlich gearteter Projekte, mit denen Markolf Heimann die Attraktivität des Themas „Stereofonie“ steigern und den Lifestyle-Aspekt von hochwertiger Musikaufzeichnung und -wiedergabe stärker ins Bewusstsein rücken will.
Geregelte Abläufe
Zum Konzept gehört, dass diese Aufnahmesitzung vor eingeladenen Gästen stattfindet. Die bekommen vorab genaue Verhaltensregeln mit: Den Zwischenapplaus, der bei Jazzkonzerten fast schon zum guten Ton gehört, soll sich das Publikum bis zum jeweiligen Ende der musikalischen Nummern aufsparen. Die Stücke selbst sollen ausklingen dürfen, ehe die Menschen zu klatschen beginnen. Applaudiert wird erst auf ein Zeichen von Trompeter Joo Kraus – was auf Anhieb funktioniert. Mit dem Saxofonisten Marcus Bartelt, Markus Lang an Fender Rhodes und Yamaha-Flügel sowie Bernd Windisch am E-Bass serviert die Band sehr entspannte, sehr chillige Loungejazz-Stücke mit Anspruch. Da dürfen sich auch einmal gewollte Dissonanzen in den Wohlklang schleichen, dürfen rhythmische und harmonische Kanten zum Vorschein kommen.
Geht dann doch mal etwas schief, haben die Gruppe und ihr Tonmann Dirk Sommer kein Problem damit, die betreffende Nummer neu zu starten und noch einmal einzuspielen. Am Tag zuvor wurde das Programm zudem schon einmal durchgespielt. Am Ende soll nur auf die Masterbänder kommen, was De-Phazz, dem „Sommelier du Son“ und dem Produzenten und Bandleader Pit Baumgartner zu 100 Prozent passt. Gesang ist bei dieser Produktion keiner dabei. In der Vergangenheit hatten profilierte Jazzsängerinnen wie Pat Appleton, Barbara Lahr oder Susan Horn das De-Phazz-Line-up komplettiert. Was in der Villa auf die Bänder kommt, ist dagegen ein reines Instrumental-Set, ergänzt lediglich um einige verzerrt klingende Sprachsamples, für die Joo Kraus zuständig ist. De-Phazz gehört zu jenen Bands, die sich immer wieder neu erfinden und deshalb in wechselnden Besetzungen auf die Bühne gehen.
Hier entspannt, da konzentriert
Auf der anderen Seite, im sonnendurchfluteten Nebenraum, regiert höchste Konzentration. Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer überwachen die Aufnahme, achten akribisch auf unerwünschte Nebengeräusche und andere Störfaktoren. Dirk Sommer, der sich als HiFi- und Musikjournalist seit langem mit dem Thema „höchstwertige Musikwiedergabe“ auseinandersetzt, kann mit seinem „Sommelier du Son“-Projekt inzwischen eine große Anzahl selbst produzierter Tonträger vorweisen. Zu Sommers Kunden zählen unter anderem der niederländische Jazzgitarrist Hans Theessink, der Bassist Dieter Ilg oder das Klaus Weiss Orchestra. Ein willkommener Nebeneffekt von Sommers Sammelleidenschaft für Bandmaschinen aus der Blütezeit des analogen HiFi, als das Basismedium für Musikaufnahmen beim Rundfunk wie bei Schallplattenfirmen das mehrspurig bespielte Tonband war.
Das Ehepaar Sommer arbeitet in der ATR-Villa sehr bewusst mit Netz und doppeltem Boden, es wird nichts dem Zufall überlassen. Für Verstärkung und Rohmischung sorgt Studioausrüstung unter anderem von Nagra, SPL und HIFIMAN. Vor einiger Zeit hat der ORF in Wien einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner analogen „Hardware“ verkauft. „Dadurch kamen wir vergleichsweise preisgünstig an hervorragend erhaltenes Equipment“, erzählt Birgit Hammer-Sommer. Auch beim Bayerischen Rundfunk durften sich die beiden „Sommelier du Son“-Macher schon bedienen.
Als Mikrofon-Vorverstärker bedient sich Dirk Sommer eines Bryston BMP2, das Mischpult ist ein getuntes Acousta P100, das an allen symmetrischen Ein- und Ausgängen mit Haufe-Übertragern bestückt wurde. Die satt laufenden Fader dieses Einzelstücks stammen von Penny & Giles. Bei den Mikrofonen, immerhin die Schnittstelle zwischen Schallereignis und Aufnahmeelektronik, setzt Sommer auf Klassiker, etwa das Neumann KM 184 und das AKG D12 in einer aktiven Version für das Schlagzeug. Den Bass hat Sommer mit einem Röhren-Transistor-Hybriden abgenommen, für die Fender Rhodes musste es ein Neumann/Microtech Gefell sein. Bei Trompete und Flügelhorn nutzte der Tonmann ein Neumann U 47, dessen Original inzwischen zu hohen vier- bis fünfstelligen Preisen gehandelt wird.
Bleibt nur noch: warten
Wann das Endprodukt zu kaufen sein wird? „Geht alles gut, dann noch in diesem Jahr“, sagen Markolf Heimann und Dirk Sommer beinahe unisono. Genauer wollen sich die Plattenmacher in Zeiten ausgelasteter Presswerke und streckenweise unzuverlässiger Lieferketten nicht festlegen. Sicher ist nur eins: Das Endprodukt dürfte angesichts des puristischen Ansatzes ein Fest für alle Analogfans werden. Und ein besonderes Erinnerungsstück für den kleinen Kreis, der bei dem Aufnahme-Abenteuer in der ATR-Villa dabei sein durfte.