dCS Lina
Wo sich die meisten damit begnügen, einfach die Kopfhörerklinke an der Front ihres Verstärkers einzustecken, schlägt dCS mit Lina einen eigens für diesen Zweck bestimmten, regelrechten Turm aus vollwertigen Komponenten vor. Ich habe mir ihre drei Argumente angehört und bin überzeugt.
In aller Kürze:
dCS Lina ist das ultimative Head-Fi-Setup: Wiedergabe auf absolutem Topniveau und eine Transparenz, die den Charakter von Aufnahme wie Kopfhörer ins bestmögliche Licht rückt.
Manchmal frage ich mich, ob wir es nicht etwas übertreiben. Während ich die drei auf die Sackkarre gestapelten Kartons in Richtung Hörraum schiebe, will ich mir selbst kaum glauben, dass ich das nur tue, um über Kopfhörer Musik zu hören. Aber was soll’s – die Dinge auf die Spitze zu treiben ist ein integraler Bestandteil unseres Hobbys. Und bevor Sie fragen: Nein, die Kopfhörer sind noch gar nicht dabei.
Bei dem Dreigespann handelt es sich um das System dCS Lina, eine klar mit Blick auf Head-Fi entwickelte Kombi, die sich aber natürlich ebenso als Schaltzentrale für ein Stereo-Setup anbietet: Der Lina DAC ist ein Netzwerkplayer mit digitaler Lautstärkeregelung und kann dementsprechend für sich genommen schon als komplettes Frontend einer Streaming-Anlage herhalten. Dass das Hauptaugenmerk auf dem Solo-Hörspaß per Kopfhörer liegt, merkt man unter anderem an dCS Expanse, einer optional zuschaltbaren Crossfeed-Optimierung, die die Hallstruktur der Aufnahme intakt lassen und so für eine besonders realistische Bühnenabbildung sorgen soll.
Einen Kopfhörerausgang sucht man indessen vergebens; Zielsetzung war es hier, die Technologie aus dem nächstgrößeren Bartók Apex von dessen klassischem Gardemaß auf ein kleineres Format zu übertragen. Und da es die dCS-Entwickler mit Kompromissen nicht so haben, musste der Kopfhörerverstärker kurzerhand des Gehäuses verwiesen werden. Der liegt uns hier freilich als separate Komponente vor, der dritte Karton enthält die optionale, aber im Gesamtpaket irgendwie unentbehrlich wirkende Lina Master-Clock. Ist erst einmal alles ausgepackt, wirken die einzelnen Komponenten dann doch recht zierlich und dürfen dankenswerterweise auch zu einem recht possierlich anzusehenden Türmchen gestapelt werden, das nur einen Platz auf der obersten Rackebene beansprucht.
Ring statt Leiter
Herzstück des Systems ist wie bei dCS üblich der einzigartige Ring-DAC, der oberflächlich einem Ladder-DAC ähnelt, aber bei der Wandlung einen ziemlich genialen Sonderweg geht. Das Problem mit Ladder-DACs ist bekanntermaßen die Bauteilkonstanz – da jedes der Bits doppelt so laut ist wie das vorhergehende, müssen sich die Kennwerte der Bauteile im Grunde innerhalb unrealistisch enger Toleranzen bewegen: Weicht beispielsweise der Widerstandswert am Most Signifikant Bit um nur ein Prozent vom Soll ab, hat allein die Pegelabweichung einen höheren Betrag als das gesamte siebte Bit. Hierfür haben sich die Tüftler hinter dCS eine ziemlich ausgefuchste Lösung einfallen lassen. Zunächst haben sie als Wurzel des Problems die Tatsache identifiziert, dass jedes Bit seine eigene Stromquelle besitzt und dementsprechend jedes Mal, wenn es aktiviert wird, den gleichen Fehler ins Signal speist und so hörbare lineare Verzerrungen verursacht.
Die Grundidee hinter dem Ring-DAC ist, dass er einen Überschuss an gleichen Stromquellen besitzt – 48 an der Zahl – und mittels einer cleveren, FPGA-basierten Schaltung jedem Bit bei jeder Aktivierung eine andere Stromquelle zuordnet. Um das zu ermöglichen, wird das Signal zunächst auf 706,4 bzw. 768 Kilohertz oversampelt und anschließend zu 5-Bit-Wörtern moduliert, die dann mit einer Samplerate zwischen – je nach Quellenmaterial – 2,8 und 6 Megahertz durch einen Mapper laufen, der unter Zuhilfenahme von schwarzer Magie das Wirken der 48 Stromquellen so dirigiert, dass am Ende Musik herauskommt – so habe ich das zumindest verstanden.
Entscheidend für den Erfolg der Operation ist jedenfalls die hohe Samplerate: Selbst bei 20 Kilohertz wird jedes Bit vielfach angesprochen und dabei jedes Mal von einem anderen Bauteil mit Strom versorgt, sodass sich die Abweichungen über die Zeit im Schnitt mehr oder weniger vollständig aufheben. Die Signalverarbeitung wird so von der Bauteilkonstanz dekorreliert, und wir erhalten ein extrem lineares und rauscharmes Ausgangssignal, das hervorragende Auflösung, Dynamik und Räumlichkeit gerade bei geringen Lautstärken ermöglichen soll.
In meiner Funktion als Nutzer muss mich freilich die ganze komplexe Signalverarbeitung nicht kümmern; ich freue mich über die saubere Navigation über das erfreulich flink reagierende Touchdisplay. Der Lina DAC versteht sich selbstredend mit allen gängigen Streamingplattformen und nimmt per USB auch einen Laptop als Zuspieler an. Die Lautstärke könnte ich über den DAC steuern, aber über das große, seidig laufende Stellrad des Lina Kopfhörerverstärkers macht es einfach mehr Spaß.
Dass er mit seinen Eingängen für 6,3-mm-Klinken-XLR sowie einem vierpoligen symmetrischen Eingang schon von Weitem seinen Kontaktwillen mit jeder Art von Kopfhörer anzeigt, ist keine bloße Äußerlichkeit. Das Schaltungsdesign, das im dCS-Lingo als „Class Super AB“ betitelt wird, ist mit besonderem Blick für die riesige Bandbreite an Impedanzen entwickelt worden, die unter Kopfhörern vorherrscht. Dabei gehen die dCS-Entwickler grundsätzlich davon aus, dass die Maximalleistung in Watt bei Kopfhörern nur eine geringe Aussagekraft hat – vielmehr kommt es darauf an, besonders hochohmige Kopfhörer mühelos mit genügend Spannung versorgen zu können, wohingegen bei Modellen mit besonders niedriger Impedanz vor allem Stromlieferfähigkeit gegeben sein muss. Realisiert wird das mit einem High-Bias-Class-AB-Design, bei dem der Ruhestrom mit einer besonderen Schaltung gesteuert wird, die die Verzerrungen im Übergang vom Class-A- zum Class-B-Zustand in Schach halten soll – wenn es denn mal dazu kommt, denn in den allermeisten Anwendungsfällen bleibt die Schaltung dem Vernehmen nach im reinen Class-A-Betrieb. Die Leutchen bei dCS haben dabei genug Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Verstärkers, dass sie in ihrem Marketingmaterial als potenzielle Spielpartner explizit berüchtigte Größen wie den Abyss Diana oder den HiFiman Susvara nennen – wenn ein Verstärker die antreiben kann, dann wird er mit jedem Kopfhörer klarkommen.
Ein würdiger Spielpartner
Die Probe aufs Exempel mache ich mit dem Dan Clark Audio Expanse, der nicht nur in der passenden Liga spielt, sondern dank des Einsatzes von Metamaterial-Technologie auch mit geradezu sensationell niedrigen Verzerrungswerten aufwartet und sich damit als mehr als geeignetes Testwerkzeug für die Linearität des Ring-DACs anbietet.
Agnes Obels Avenue (Philharmonics) habe ich mir bestimmt dreimal hintereinander angehört und hatte auch danach noch Schwierigkeiten, zu beschreiben, was ich da eben gehört habe. Mehrmals habe ich mit meinen handschriftlichen Notizen angesetzt, nur um sie danach zu verwerfen, weil ich mich dabei erwischt habe, wie ich eigentlich nur den Charakter der Aufnahme umreiße und nicht den der Komponenten – bis ich schließlich eingesehen habe, dass genau das ein echt gutes Zeichen ist: Selten habe ich ein derart durchlässiges System gehört. Streaming-DAC, Verstärker und Kopfhörer sind allesamt so nah am Ideal der absoluten Neutralität, dass sie den Klang der Produktion förmlich zum Leuchten bringen.
Neutral heißt dabei keineswegs eigenschaftslos: Auffallend ist an der Kombi neben der ungemein feinfühligen Auflösung vor allem die Fähigkeit, dynamische Kontraste bereits bei niedrigen Pegeln wiederzugeben. Das ganze Philharmonics-Album ist grundsätzlich sehr atmosphärisch abgemischt – bereits zu Beginn des Stückes, bei dem Obel nur von minimaler Instrumentierung begleitet wird, macht sich das über die Lina-Kombi mehr als deutlich bemerkbar. Das Stück steigert sich in zwei Stufen in der Intensität: einmal, wenn Cello und Piano einsetzen, und ein zweites Mal beim Refrain – und was für Steigerungen das mit dieser Kombi sind! Und während mich eine dichte Klangwelle nach der anderen umspült, staune ich nicht schlecht, wie scheinbar beiläufig der Lina-Turm die Textur der einzelnen Instrumente durch das grundtonschwere, reverbgeschwängerte Gesamtbild hindurch haarfein nachzeichnet.
Um das dCS-Ensemble einem Härtetest auszusetzen, lege ich „Really Very Small“ von Esperanza Spaldings Chamber Music Society ein. Auf diesem hervorragend produzierten Stück irgendwo auf der Achse zwischen Jazz und Postmoderne sucht man Reverb vergeblich, hier ergibt sich allein aus Komposition und Instrumentierung eine Klangdichte, die auch kompetente Anlagen an ihre Grenzen treiben kann und sich dann gerne mal zu einem ziemlich anstrengenden, undurchdringlichen Gewusel verdichtet. Das Lina-Expanse-Gespann zieht hier mit müheloser Präzision die Fäden und verwebt Spaldings textlosen Gesang mit Kontrabass, Schlagzeug, Klavier und Streichern zu einem ebenso dichten wie filigranen Teppich, in dem ich mich jederzeit ohne jede Anstrengung auf die Binnenbezüge zwischen den einzelnen Akteuren einhören kann – zu keinem Zeitpunkt bekomme ich den Eindruck, das Equipment stünde vor einer Herausforderung; ich höre der Kombi keinerlei Mühe an, nur reichlich Spaß an der Arbeit.
Timing outgesourct
Zwischendurch werde ich neugierig, welchen Anteil die Clock an der Gesamtperformance haben mag und stöpsele sie mal aus – und höre zumindest auf Anhieb keinen Unterschied. Keine große Überraschung, ein DAC vom Schlage eines dCS Lina lässt an dieser Stelle natürlich von Haus aus nichts anbrennen. Man könnte sich an dieser Stelle die Frage stellen, wieso eine externe Clock überhaupt notwendig ist. James Cook von dCS vergleicht sie mit einem Dirigenten: Ein gutes Orchester ist auch ohne den Stöckchenschwinger in der Lage, ein herausragendes Konzert abzuliefern – doch erst, wenn dann doch jemand am Pult steht, der wirklich etwas von seiner Sache versteht, kann die Ansammlung von Musikern als Ganzes zu absoluter Höchstform auflaufen.
So schön dieser Vergleich ist, ich nehme mir Zeit zum Hin- und Herhören und lasse allein meine Ohren entscheiden. Nach und nach schälen sich in der Tat einige, allerdings subtile Vorzüge der Auslagerung des Taktgebers heraus: Gerade in den dichtesten Passagen behält die Kette mit Master-Clock einen Hauch mehr die Übersicht, das Hören wird nochmals anstrengungsfreier. Ganz klar, auch ohne die externe Clock funktioniert das System schon hervorragend; der Schrittmacher ist das Sahnehäubchen obendrauf, für diejenigen, die auf das absolut Beste bestehen – oder aber als Upgrade-Option für einen späteren Zeitpunkt. In einer Preisklasse, in der man sich allmählich dem Ende der Fahnenstrange nähert, hat so etwas definitiv eine Existenzberechtigung.
Das Schöne am Head-Fi ist, dass man mit deutlich weniger Geld- und Platzaufwand ein vollständiges HiFi-System aufbauen kann. Selbstverständlich ist das Hören über Kopfhörer ein völlig anderes als über ein Stereo-Setup. Aber wer hat sich nicht ab und zu ein anderes Paar Lautsprecher gewünscht – nur mal so zur Abwechslung oder auch um Musik zu hören, die die hochauflösenden Preziosen im Wohnzimmer nicht wirklich tolerieren? Kopfhörer für jeden Wochentag und Gemütszustand passen problemlos auf eine Regaletage. Und hier kann dCS Lina mit einigen gewichtigen Pfunden wuchern. Das System spielt auf einem Niveau auf, das selbst die allerbesten Kopfhörer restlos ausreizen kann, und ist dabei bedingungslos frei von jeglichem Eigencharakter. Wer mehrere Kopfhörer besitzt und seine Sammlung gerade wegen der unterschiedlichen Klangsignaturen schätzt, kann mit dieser Kombi keinen Fehler machen.
Info
Regelbarer Netzwerkplayer/DAC dCS Lina
Konzept: kompakter Streaming-DAC mit digital regelbarer Lautstärke
Eingänge: 2 x AES/EBU, 1 x S/PDIF BNC, 1 x S/PDIF RCA, 1 x Toslink, 1 x USB B (PCM und DSD; DSDx2 asynchron), 1 x USB A für Massenspeicher
Streaming/Dienste: alle gängigen, inklusive Tidal, Qobuz, Spotify, Deezer und Apple AirPlay 2; Roon ready, UPnP-Unterstützung
Unterstützte Formate: PCM bis 24 bit/384 kHz; DSD bis 128, DoP, FLAC, WAV, AIFF, MQA
Besonderheiten: Ring-DAC mit 5-bit-Wortverarbeitung, Eingang für externe Clock
Gewicht: 7,4 kg
Maße (B/H/T): 22/12/34 cm
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: um 14 750 €
Kopfhörerverstärker dCS Lina
Konzept: transistorbasierter Kopfhörerverstärker mit „Super-AB“-Topologie
Eingänge: 1 x RCA, 1 x XLR unbuffered (16 kΩ), 1 x XLR buffered (96 kΩ)
Ausgänge: 1 x 3-Pin XLR, symmetrisch, 1 x 4-Pin XLR, symmetrisch, 1 x 6,3-mm-Klinke
THD+N: < 0,005 % bei 1 kHz und 6 V balanced an 30 Ω
Gewicht: 7,5 kg
Maße (B/H/T): 22/12/36 cm
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: um 10 750 €
Master-Clock dCS Lina
Konzept: externe Clock mit separaten Ausgängen für 44,1 kHz und 48 kHz
Ausgänge: 1 x BNC für 44,1 kHz (75 Ω), 1 x BNC für 48 kHz (75 Ω)
Genauigkeit: ± 1 ppm oder besser
Aufwärmzeit: 10 min bis zur angegebenen Genauigkeit
Gewicht: 7 kg
Maße (B/H/T): 22/12/34 cm
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: um 8750 €
Kontakt
Audio Reference GmbH
Alsterkrugchaussee 435
22335 Hamburg
Telefon +49 40 53320359
info@audio-reference.de
Mitspieler
Regelbarer Netzwerkplayer/DAC: Lumin X1, Soulnote Z-3
Streamer: Aavik S-580
CD-Player: Audio Note CD 3.1x
Vollverstärker: Aavik I-580, Line Magnetic LM-88IA
Endverstärker: Luxman M-10x, Burmester 216
Lautsprecher: DALI Epicon 6, Piega MLS 2 Gen2
Kopfhörer: Dan Clark Audio Expanse, Grado PS500i
Zubehör: Finite Elemente Pagode Signature MkII, WestminsterLab-Kabelsatz