David Paich – “… dann bin ich komplett dahingeschmolzen”
Eigentlich muss man David Paich nicht näher vorstellen: Der Mann hat immerhin den Welthit „Africa“ komponiert. Doch der Keyboarder und Sänger der Band Toto wirkt oft auch hinter den Kulissen. Als Musiker und Produzent arbeitete Paich mit Beatle Paul McCartney, mit Rolling Stone Keith Richards – und mit Michael Jackson am Album Thriller. Jetzt hat er mit Forgotten Toys sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Mit FIDELITY sprach der US-Amerikaner über die Arbeit mit den Stars, seine Leidenschaft für Peter Tschaikowsky – und über die Cartoon-Serie Die Peanuts.
FIDELITY: Herr Paich, sagt Ihnen der Name Max Siedentopf etwas?
David Paich: Max wer?
Max Siedentopf, ein deutsch-namibischer Künstler, der den von Ihnen komponierten Toto-Hit „Africa“ in der namibischen Wüste …
… Ach, der! Dieser Typ, der so ein solarbetriebenes Soundsystem in die Wüste gestellt hat und „Africa“ rund um die Uhr laufen lässt. Ja, klar. Habe ich bei Youtube gesehen. Ziemlich abgefahren. (lacht)
Der passende Ort für den Song?
Die Idee find ich zwar cool. Aber: Nein, im Gegenteil. Wer soll das da hören?
Das ist halt Kunst!
Nun, wenn Sie meinen.
„Africa“, „Rosanna“, „Hold The Line“ – diese Toto-Songs haben Sie mitgeschrieben. Musik, die Generationen von Fans prägte. Warum haben Sie nun eigentlich, mit 68 Jahren erst, Ihr erstes Soloalbum eingespielt?
Es macht Spaß, Dinge mal anders anzugehen. Wenn man seit so vielen Jahren Musik macht wie ich, dann entwickelt man eine gewisse Routine. Man rostet ein. Jetzt musste ich anders vorgehen.
Forgotten Toys ist nicht nur der Titel, sondern auch die Geschichte hinter dem Album. Die Stücke sind aus Fragmenten alter Song-Ideen der vergangenen Jahre zusammengesetzt.
Wie bei einem Puzzle, ja. Ich hatte ganz viele Teile, die ich zusammensetzen wollte. Anders als beim Puzzeln wusste ich aber nicht, welches Bild am Ende entstehen würde. Und zu sehen, wie sich Werke so ganz anders entwickeln als anfangs gedacht: Das ist erfüllend für einen Musiker.
Ihre musikalischen Wurzeln hört man bei Ihren Solo-Songs stark heraus: „Willibelongtoyou“, das zweite Stück auf dem Album, erinnert schon sehr an die Musik von Toto.
Wenn ich Musik mache, dann wird das immer auch nach Toto klingen. Immerhin habe ich die Band mal gegründet und den Sound durchaus mitgestaltet. Ich habe mir aber einige Gastmusiker gesucht, um meiner musikalischen Welt neue Impulse zu verpassen. Davey Johnstone von der Elton-John-Band, den Ex-Eagles-Gitarristen Don Felder oder auch Steve Jordan, der neue Drummer der Rolling Stones. Einige Songs klingen deshalb gar nicht nach Toto, oder?
„Spririt Of The Moon Rise“ klingt für mich wie eine Kombination aus REMs „Losing My Religion“ und „Sweet Child O’ Mine“ von Guns N’Roses.
Das nenne ich mal ein Kompliment. Und zwar nicht nur, weil einer meiner Songs mal nicht an Toto erinnert. (lacht) Ich mag es, wenn Musik bei Menschen Assoziationen und Gefühle auslöst.
Es ist nicht immer einfach für Musiker bekannter Bands, aus alten Mustern auszubrechen, wenn sie es solo versuchen. Wie haben Sie das gemacht?
Das war kein bewusster Prozess. Ich mache einfach die Dinge, die ich im Kopf habe. Die gut klingen. Denn natürlich will ich mich auch nicht ständig wiederholen und mich quasi selbst plagiieren. Aber ich hatte nie Angst davor, meine Einflüsse zu zeigen, also auch meine Toto-Seite.
Ihre Songs haben diesen Oldschool-Vibe, dieses Poprock-Flair der 70er und 80er Jahre.
Und das, obwohl die meisten Nummern auf dem Album erst in den letzten Jahren entstanden sind. Aber ich habe wohl einen Hang zu diesem speziellen Sound.
Auch „Queen Charade“ hat diesen Vibe. Über den Song haben Sie gesagt, die Inspirationsquellen seien Keith Richards und Tschaikowskys Oper Pique Dame. Klären Sie uns auf …
Eine irre Kombination, oder? (lacht) Ich habe mit Keith bei seinem Soloalbum Crosseyed Heart zusammengearbeitet. Und zu der Zeit entstand die Idee für meinen Song. Arbeitstitel war übrigens noch „The Queen Of Spades“. Erst später, als ich das mal gegoogelt habe, sah ich, dass es eine Oper von Tschaikowsky mit genau dem Titel gibt (auf Deutsch: Pique Dame, d. Red.). Dazu diese Geschichte über einen besessenen Zocker, der seiner Spielsucht mehr und mehr verfällt – irgendwie harmonierte das.
Sehr viel ruhiger und harmonischer klingt „First Time“. Eine Vater-Tochter-Geschichte, in der Sie erzählen, wie Ihre Tochter aufwuchs und sich zum ersten Mal verliebte. Ziemlich persönlich.
Normalerweise baue ich beim Schreiben immer eine Distanz zum Erzählten auf. Die Geschichten sind fiktional oder aus einer dritten Perspektive erzählt. Nicht so bei „First Time“. Der ist in der Ich-Form gehalten und erzählt meine persönlichen Erfahrungen. Meine Tochter ist unangekündigt beim Recording vorbeigekommen. Und auf einmal stand sie im Studio und hat den Refrain mit eingesungen. Ich war zunächst skeptisch, aber dann bin ich komplett dahingeschmolzen.
Ist es diese Nähe, die Musik erst authentisch macht?
Ich denke, ja. Solche Songs sind wie ein Blick in mein Tagebuch.
Ihr Tagebuch dürfte viele interessieren. Immerhin haben Sie als Studiomusiker, Songwriter und Produzent mit Weltstars wie Rod Stewart, Pink, Keith Richards, Aretha Franklin und Diana Ross zusammengearbeitet. Und: Sie haben auch an Michael Jacksons Rekord-Album Thriller mitgewirkt. Wie war das?
Auf einer Skala von eins bis zehn war das eine Elf. Michael war bei dem Album umgeben von den besten Musikern, die es überhaupt gab. Und mittendrin ich am Keyboard, der dann ja sogar die Ehre hatte, bei „The Girl Is Mine“ mitzuspielen. Also bei Michaels Duett mit Paul McCartney. Als ich da ins Studio gekommen bin, Michael auf der einen Seite, Paul auf der anderen, da musste ich mich erstmal sammeln. Das war sensationell.
Was haben Sie aus dieser Zusammenarbeit gelernt?
Ich mixe Songs seitdem auch auf kleinen Lautsprechern, bei minimaler Lautstärke – fast so leise wie ein Flüstern. So kann man jeden Song ideal ausbalancieren. Denn so wurde Thriller aufgenommen.
Sie haben ja schon gesagt, bei Ihren Songs höre man häufig Toto heraus. Wie haben Sie sichergestellt, dass Michael Jackson oder Paul McCartney am Ende nicht auch nach Toto klangen?
Da muss man natürlich out of the box spielen können, sich selbst zurücknehmen. Aber das können wir bei Toto. Ein Beispiel: Human Nature, eine Singleauskopplung aus Thriller, bei der quasi die komplette Toto-Band im Studio stand. Und das klang doch typisch nach Michael Jackson.
Ihr großes Vorbild ist eine andere Legende: Elton John.
Als ich sein erstes Album in den 70ern gehört habe, hat das alles verändert. Elton Johns Musik klang genauso, wie ich auch immer klingen wollte. Er hat meinen musikalischen Werdegang geprägt. Ich durfte auch mal mit ihm zusammenarbeiten, beim Song „Nobody Wins“ von 1981. Und als Toto 1983 mit dem Grammy für das Album des Jahres ausgezeichnet wurde, war Elton der Erste im Publikum, der aufstand und applaudierte. Das hat mir viel bedeutet. Elton John ist wahrscheinlich der größte Songwriter des Planeten. Zumindest für mich.
Elton John stieg zuletzt nochmal in die Charts ein, mit neu arrangierten Versionen seiner Stücke „Cold Heart“ und „Hold Me Closer“. Dafür holte er sich Unterstützung von den Pop-Künstlerinnen Dua Lipa und Britney Spears.
Das finde ich total spannend. Die eigenen Songs mit neuen Musikerinnen neu arrangieren. Vielleicht wäre das auch was für Toto. Ich könnte zwar gerade keinen passenden Namen nennen, aber wenn ich Radio höre, denke ich häufig: Moderne Musik passt eigentlich perfekt zu Toto.
Wie würde Totos Hit „Rosanna“ denn klingen, wenn er im Jahr 2023 herauskäme?
Toto war und ist Hi-Fi-Musik, muss also sowieso so modern wie möglich klingen. Die Frage ist mir etwas zu mechanisch. Der Klang eines Songs entsteht, wenn Menschen im Studio gemeinsam Musik machen. Wenn sie sich von ihren Instrumenten leiten lassen. Wenn sie den richtigen Groove finden. Das funktioniert nicht nur mit modernster Technik und Computern. Dafür braucht es echte Musiker.
Zurück zu Ihrem Soloalbum Forgotten Toys. Die Platte beginnt und endet mit einem Instrumentalstück. „Forward“ ist ein Song, mit dem Sie sich vor der Filmmusik verneigen.
Ich liebe die Melodien von John Williams oder Jerry Goldsmith. Mit beiden habe ich schon zusammengearbeitet. Ich würde aber auch selbst gern Filmmusik schreiben. Musik hat für mich eh etwas Visuelles. Sie erzeugt Bilder im Kopf des Hörers. Ein guter Soundtrack setzt genau da an. Denn Musik wertet die gezeigten Bilder auf. Aber Filme können auch gleichzeitig ein Stück Musik noch besser machen.
Und was reizt Sie mehr? Science-Fiction oder Drama?
Ein Liebesfilm.
Eine Liebeskomödie? „Lucy“, das letzte Stück auf dem Album, ist ja nach dem Mädchen aus den Peanuts-Cartoons benannt.
Die Cartoons habe ich immer gern gesehen. Und die Musik, die Vince Guaraldi für die Peanuts geschrieben hat, war klasse. Zudem hat mich Lucy an meine Schwester erinnert. Die hat mir auch immer Streiche gespielt.
Gibt es irgendwo unter den „forgotten toys“ auch einen Songschnipsel über Snoopy?
Noch nicht. Genügend ungenutzte Songfragmente finde ich bestimmt. Aber dann bräuchte es eigentlich auch noch einen Song über Charlie Brown.
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