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Das Geschäft, das Vinyl am Leben hielt

Das Geschäft, das Vinyl am Leben hielt

Interview mit Rene Wiedner

Das Geschäft, das Vinyl am Leben hielt

Rene Wiedner ist Organisationssoziologe an der Warwick Business School, die zur Warwick University in Coventry, England gehört. Er untersucht Veränderungsprozesse in Organisationen und Branchen sowie die Beziehungen zwischen Arbeit und Technologie. Vor etwa acht Jahren begann er, sich mit den Entwicklungen in der Schallplattenherstellung zu beschäftigen.

Das Geschäft, das Vinyl am Leben hielt
Rene Wiedner

Das Geschäft, das Vinyl am Leben hielt erscheint hier im Rahmen einer Kooperation zwischen FIDELITY und dem Copper Magazine

Der Originalartikel erschien im Copper Magazine, Ausgabe 209.


Rene bemerkt dazu: „Was mich faszinierte, war, wie eine Technologie am Leben erhalten wurde, die eigentlich schon vor Jahrzehnten für tot erklärt worden war. Mir ging es nicht um das Vinyl-Revival und darum, zu verstehen, warum Schallplattenverkäufe wieder zugenommen haben. Mich interessierte vielmehr, wie die Hersteller von Vinyl-Schallplatten weitergemacht haben.“

Um einen Einblick zu gewinnen, führte ich ein Gespräch mit Rene.

Frank Doris: Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit der Herstellung von Schallplatten zu beschäftigen?

Rene Wiedner: Ich hatte 2015 gerade meine Doktorarbeit an der Universität Cambridge abgeschlossen. Ich hatte mich schon immer für Musik und alles, was damit zu tun hat, interessiert. Ein guter Freund von mir ist Tontechniker und lebte zu dieser Zeit in London. Er erzählte mir interessante Geschichten darüber, was in der Welt des Vinyls vor sich ging. Zu dieser Zeit war bereits von einem Vinyl-Revival die Rede, aber ich interessierte mich nicht so sehr für das Revival an sich. Ich interessierte mich für einige seiner Anekdoten über die Probleme, die es beim Mastering von Lackplatten gab, und so weiter.

Ich dachte mir, es wäre doch wirklich interessant zu untersuchen, wie diese Industrie oder diese Technologie – ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal genau, worum es ging – im digitalen Zeitalter am Leben erhalten wurde. Ich habe mich viele, viele Jahre lang damit beschäftigt, und es wurde ĂĽber die Zeit immer spannender.

Sie studieren die Schallplattenindustrie also eher aus einer – ich weiĂź nicht, ob soziologisch der richtige Begriff fĂĽr Ihre Sichtweise ist…

Ja. Eher von einem soziologischen als von einem rein wirtschaftlichen oder technologischen Standpunkt aus.

Es scheint, als ob die Vinyl-Produktion in ein völlig anderes Paradigma eingetreten ist als damals, als die Compact Disc sie angeblich für immer auslöschen sollte. Damals gab es große Unternehmen und große Presswerke, und Sie haben mir schon einmal erzählt, dass es jetzt genau umgekehrt ist, dass sich die Branche von großen Konzernen hin zu kleineren Vinylherstellern verlagert hat. Wie ist das passiert?

Es hat einen großen Wandel gegeben, und das liegt an ganz verschiedenen Faktoren. Damals besaßen die großen Plattenfirmen ihre eigenen Presswerke und stellten die physischen Produkte selbst her. In den 1980er und 1990er Jahren versuchten diese Unternehmen, so viel wie möglich auszulagern und zu reinen Vermarktungsunternehmen zu werden, was mit dem Aufkommen der digitalen Audiotechnik zusammenfiel, und da dachten die sich: „Nun, wieso sollten wir in all diese digitale Kompetenz investieren – warum lagern wir das nicht einfach an andere Unternehmen aus?“ Die großen Unternehmen stiegen also aus der Produktion im Allgemeinen aus, nicht nur aus der Herstellung von Schallplatten, sondern aus der Produktion an sich.

Und das betraf nicht nur die Musikindustrie. Das geschah auch in anderen Branchen. Das war eine Zeit, in der es hieß, Unternehmen sollten sich nur auf eine Sache konzentrieren und diese gut machen – wenn es keinen guten Grund gäbe, etwas selbst zu machen, sollte man es auslagern. Aber es gab auch damals schon einige kleine Vinylhersteller, und sie waren es, die überlebten. Sie standen nicht unter dem Druck, ihre Produkte zu verkaufen. Es gab einige Familienunternehmen in den USA, aber auch in Europa und in Japan, die entweder Schallplatten herstellten oder sonstwie an der Branche beteiligt waren.

Einige von ihnen konnten sich halten, weil sie keine großen Mengen an Platten produzieren mussten, um zu überleben. Sie konnten sich auf einen Nischenmarkt konzentrieren. Und ich nehme an, sie hatten treue Kunden, vor allem, wenn sie in einer bestimmten Region ansässig waren, in der Schallplatten noch geschätzt wurden. In Detroit zum Beispiel gab es immer noch eine gewisse Nachfrage, und in Deutschland und so weiter, besonders für elektronische Tanzmusik.

Aber was ich wirklich interessant fand, war, dass Leute in die Herstellung von Vinyl-Schallplatten eingestiegen sind, als es wirklich so aussah, als würde sie komplett aussterben. Sie haben das Risiko auf sich genommen. Wenn man sieht, wie jemand so etwas in einer Branche macht, die jeder für tot hält, würden die Leute denken, dass man völlig verrückt ist, oder?

Das ist die Audiobranche – das sind wir!

NatĂĽrlich haben Audiophile die ganze Idee des Vinyls am Leben erhalten. Ich erinnere mich, dass ich 1988 fĂĽr The Absolute Sound zu meiner ersten CES ging, und die Mainstream-Audio-Presse hat auf uns rumgehackt, weil sie glaubte, Digital sei der perfekte Sound fĂĽr immer. Ich ging mit Michael Fremer ĂĽber die Messe und konnte nicht glauben, wie viel unverhohlene Feindseligkeit uns gegenĂĽber herrschte. Aber Audiophile und DJs hielten die Flamme des Vinyls am Leben.

Sie erwähnten, dass zu dieser Zeit Innovationen in der Vinylherstellung stattfanden. Ich hätte genau das Gegenteil erwartet.

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US-Schallplattenverkäufe nach Format zwischen 1973 und 2023; Quelle: RIAA

NatĂĽrlich versuchten die meisten Unternehmen, Innovationen im digitalen Bereich zu schaffen, aber andere versuchten, der Schallplatte irgendwie eine neue Rolle zu geben. Sie war nicht mehr fĂĽr den Massenmarkt bestimmt, sondern wurde mehr zu einer Nische. Das erforderte einen anderen Denkansatz. Wenn man sich nicht mehr fĂĽr die Massenproduktion interessiert, wie kann man dann zum Beispiel auf Kleinserienproduktion umstellen? Die gesamte Technologie war fĂĽr die Massenproduktion ausgelegt. Die Menschen mussten also innovativ sein und Wege finden, diese Dinge umzufunktionieren. Und manches davon war ĂĽbrigens nicht fĂĽr Audiophile gedacht. Ich weiĂź nicht, ob Sie sich jemals eine geprägte Schallplatte angehört haben…

Nein.

Die sind nicht geschnitten; die Rillen werden buchstäblich in den Kunststoff eingeprägt, anstatt sie tatsächlich in den Kunststoff zu schneiden. Das hat man übrigens wiederentdeckt. Ab den 1950er Jahren ging man im großen Stil zur Tonbandaufnahme über. Davor gab es noch Leute, die mit mobilen Schneidemaschinen Tonaufnahmen machten, und es gab eine Do-it-yourself-Community, die aber mit dem Aufkommen der Tonbandmaschinen im Grunde ausstarb. Aber Jahrzehnte später entdeckten einige Leute wieder, wie man mit mobileren Schneidemaschinen als den Riesen von Neumann und Scully –die übrigens nur sehr schwer zu finden sind – tatsächlich Schallplatten aufnehmen kann.

Also begann man, nach Alternativen für die Herstellung von Schallplatten zu suchen, und stieß dabei auf Material aus den 1930er und 1940er Jahren, das sich mit dem Prägen von Schallplatten befasste, und versuchte, es wieder zum Laufen zu bringen, allerdings mit neuen Materialien. Es wurden verschiedene Arten von Plastik verfügbar, und die Leute begannen zu experimentieren. Da gibt es diesen Typen, Peter King, in Neuseeland. Er hat eine Prägetechnik entwickelt, bei der er Wolframstahlstifte zum Prägen von Polycarbonatscheiben verwendet. Die Klangqualität ist nicht besonders gut, aber es gibt jetzt eine Community und eine Nachfrage danach. Sie wurde von anderen Leuten wie Mike Dixon (von Michael Dixon Vinyl Art) in den USA aufgegriffen und weiterentwickelt.

Die Audiophilen hassten anfangs die andere große Innovation, die in den 1980er Jahren aufkam, nämlich DMM (Direct Metal Mastering). Ich habe mir vielfach sagen lassen, es sei völlig seelenlos und klänge furchtbar. Aber das war damals eine völlig neue Technologie. Sie war noch in der Experimentierphase. Auch CDs klangen anfangs furchtbar. Aber nach dem, was ich gehört habe, kann man mit der DMM-Technologie heute sehr wohl eine gut klingende Platte machen.

Ich habe eine DMM, die von Stockfisch Records gemacht wurde – DMM-Dubplate Vol. 1 – das ist eine Metallplatte, und sie klingt unglaublich. Wenn es etwas gibt, das ich über die Audiobranche gelernt habe, dann, dass man keine vorgefassten Meinungen haben darf, denn ein Großteil des Endergebnisses und der Klangqualität liegt in der Umsetzung und nicht in der Technologie selbst.

Das Geschäft, das Vinyl am Leben hielt
Inspektion einer Metall-Masterplatte. Fotografie: Stockfisch Records

DMM war bei seiner EinfĂĽhrung kommerziell nicht erfolgreich, aber heute ist es das. GroĂźe Presswerke verwenden DMM.

Die Leute sagen gerne, dass Vinyl-Schallplatten heute genauso hergestellt wĂĽrden wie in den 1970er Jahren. Und bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch. Aber es gibt interessante Variationen. Die Leute begannen zu experimentieren und machten interessante Sachen, und die Freiheit zu experimentieren hatten sie, weil es niemanden interessierte.

Und natĂĽrlich gab es vor den 1980er-Jahren keine Schallplatten, die von digitalen Mastern geschnitten wurden.

Und Half-Speed-Mastering ist auch nicht gerade neu. Ich weiĂź nicht, wann man darauf gekommen ist, aber eine interessante Sache, die ich gelernt habe, ist, dass es tatsächlich besser ist, die digitale Quelle zu verwenden, um das Beste aus dem Half-Speed-Mastering herauszuholen. [Ich habe einen Bericht gesehen, wonach Half-Speed-Mastering bereits 1949 verwendet wurde und Decca es in den 1950er-Jahren einfĂĽhrte. Es wurde um die Mitte der 1970er Jahre zu einem audiophilen „Ding“. – Ed.]

Sie haben festgestellt, dass in veralteten Technologien mehr Leben steckt, als wir vielleicht erwarten. Eine weitere Idee, die Sie formuliert haben, ist das Konzept, dass es fĂĽr einen Hersteller am wenigsten riskant sei, sich auf eine veraltete Technologie zu konzentrieren, da die Nachfrage nicht weiter sinken kann, im Gegensatz zur Konzentration auf eine neue Technologie, die unter Umständen einfach…

…auf die Nase fliegen könnte. Das war ein Zitat von Steve Espanola, der das Forum The Secret Society of Lathe Trolls betreibt. Er war Computerprogrammierer und sagte, dass er immer neue Programme erfinden und neue Programmiersprachen lernen musste, die ziemlich schnell veraltet waren, und er musste immer die nächste Sache finden, an der er arbeiten konnte. Jetzt hingegen ist er Wurlitzer-Reparateur, und das ist das Beständigste, was er finden konnte, denn es gibt einfach nicht viele Leute, die diese Arbeit machen können. Die Nachfrage ist nicht gerade riesig, aber sie kann nicht viel weiter sinken.

Ich glaube, die Leute sind besorgt, dass das Schneiden von Schallplatten eine aussterbende Kunst sein könnte, aber nach Ihren Recherchen scheint das nicht der Fall zu sein.

Ich meine, man muss vorsichtig sein. Wenn jeder damit anfängt, dann wird es natürlich ein Überangebot geben, und das wird dann wahrscheinlich nicht jeder in der Branche durchhalten. Und dann muss es zu einem Hobby werden, weil die kommerzielle Seite der Dinge nicht funktioniert, wenn es im Vergleich zur Nachfrage ein zu großes Angebot gibt.

Aber die Sache ist die, dass es jetzt Möglichkeiten gibt, diese Dinge zu Hobbys zu machen, Dinge, von denen man früher gesagt hätte: „Oh, dafür braucht es ein großes Unternehmen.“ Heute braucht man nicht mehr unbedingt Expertenteams. Heute kann man Dinge tun, die früher nicht vorstellbar waren, weil es neue Technologien gibt. Bei meiner Forschung geht es also nicht nur darum, sich von der neuen Technologie abzuwenden und sich nur auf die alte zu konzentrieren. Manchmal geht es darum, alte und neue Technologien auf neue Art zu kombinieren, um das Alte zu erhalten.

Der 3D-Druck ist zum Beispiel ein Segen fĂĽr die Herstellung von Teilen, die man einfach nicht mehr finden kann.

Es gibt beispielsweise Leute, die moderne CNC-Maschinen (Computer Numerical Control), 3D-Drucker und andere Dinge verwenden, die jetzt auch fĂĽr Leute erschwinglich geworden sind, die nicht in riesigen Multimillionen-Dollar-Unternehmen arbeiten.

Als ich noch Einkäufer in der Industrie war, war „Alleinbezug“ ein Begriff, den wir nie hören wollten. Wenn sich in letzter Zeit nichts geändert hat, gibt es jetzt nur noch eine Quelle für Lacke für das Mastering von Schallplatten, wegen des Brandes bei Apollo/Transco-Lacken 2020, der die Produktionskapazitäten dieses Unternehmens zerstört hat.

Das ist richtig.

Das ist besorgniserregend. Was passiert, wenn die verbleibende Quelle ein Problem hat?

Die Rettung ist, dass es wenigstens DMM gibt, die keine Lacke für das Plattenmastering benötigen. Wenn, aus welchem Grund auch immer, die Lackquelle komplett versiegt, könnte man versuchen, zumindest vorübergehend auf DMM zurückzugreifen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, bis ein anderer Anbieter diese Lücke füllen kann. DMM könnte also, auch wenn es einst als kommerzieller Misserfolg abgeschrieben wurde, der Retter der Vinyl-Schallplatte sein.

Die Leute bei Public Records (dem verbleibenden Lacklieferanten, der von MDC vertrieben wird) sind übrigens superfreundlich. Ich glaube, dass sie einen schlechten Ruf haben, weil die Leute denken, dass sie ein Monopolanbieter sind, der sein Monopol ausnutzt, und das könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Ihre kleine Fabrik liegt im Nagano-Tal in den japanischen Alpen. Das ist eine wirklich schöne Gegend, aber nicht in der Nähe von Tokio oder einer anderen Großstadt, glaube ich. Sie haben einfach weitergemacht. Und sie verkörpern traditionelle japanische Werte. Es geht um das Dienen. Ich habe den Geschäftsführer gefragt: „Angenommen, die Herstellung dieser Lackscheiben ist nicht mehr rentabel, würden Sie dann nicht aufhören, sie zu produzieren? Und der CEO sagte: „Nein, wir würden sie weiterhin herstellen, solange es einen Kunden gibt, denn sonst wären die Leute traurig.“ In Nordamerika würden wir da sofort völlig zynisch werden und sagen, na ja, das macht doch offensichtlich keinen Sinn. Aber das ist eben die japanische Denkweise, und das finde ich großartig.

In gewisser Weise ist die gesamte Plattenpressindustrie von zwei japanischen Unternehmen abhängig. Das eine ist dieser Lackplattenhersteller (Public Records), der ein wirklich kleines Familienunternehmen ist. Und dann gibt es noch ein anderes Familienunternehmen, das die Schneidstichel herstellt.

Wobei wir hier vom Schneiden von Lackplatten reden. FĂĽr das DMM-Schneiden gibt es realistischerweise aber auch nicht mehr als zwei Lieferanten fĂĽr die Diamantstichel, die man zum Schneiden von DMM-Platten braucht. Und einer von ihnen ist im Grunde eine Ein-Mann-Show.

Man muss sich mal vor Augen halten, wie viele Plattenspieler und Tonabnehmer verkauft werden – und all das ist nur dank der BemĂĽhungen einiger weniger Leute möglich.

Das sollte die Leute nervös machen, oder? Ja. Aber das Gute ist, dass die Plattenindustrie bisher überlebt hat, weil immer wieder neue Leute dazukommen. Es gibt genug leidenschaftliche Menschen, die, wenn sie die Chance bekommen, ihr Leben dieser Aufgabe widmen werden.

Sie haben erwähnt, dass wir unser Denken über den technologischen Fortschritt ändern müssen und dass es nicht nur darum geht, dass das Neue das Alte ersetzt, sondern dass es um die Erweiterung der Möglichkeiten geht. Manchmal denken wir, dass das Neue, das das Alte ersetzt, buchstäblich die Definition von Fortschritt ist. Aber Sie sagen, es geht mehr um die Erweiterung der Möglichkeiten. Zum Beispiel hat Transistortechnologie die Vakuumröhrentechnologie für Audiophile und Musiker nicht verdrängt.

Das ist in gewisser Weise fast philosophisch. Vakuumröhren und Solid-State sind unterschiedlich. Sie sind auch bis zu einem gewissen Grad austauschbar, was wiederum gut für die Widerstandsfähigkeit ist. Wenn eines von beiden nicht mehr existiert, hat man wenigstens die andere Alternative. Aber nicht nur das, sie können auch unterschiedlichen Zwecken dienen. Es ist ziemlich kurzsichtig zu denken, dass der Fortschritt nur darin besteht, das Alte wegzuräumen und das Neue vollständig zu übernehmen, wenn einige dieser alten Dinge immer noch von großem Wert sein können, wenn man mal darüber nachdenkt. Und wir verlieren wirklich etwas, wenn wir das Alte einfach abwerfen. Die Leute sagen oft zu mir: Ach, das ist doch nur Nostalgie. Ich glaube nicht, dass das so ist. Es geht nicht um den Wunsch nach einer Rückkehr zum Alten. Es geht darum, den Wert all dieser Dinge zu erkennen und sie nicht als selbstverständlich anzunehmen.

Sie sind ja Organisationssoziologe. Sie studieren Verhaltensweisen. Sind Sie zufällig auf diese ganze Vinyl-Sache gestoßen, oder weil Sie ein Audiophiler sind?

Ich denke, ich habe mich schon immer gegen die recht engstirnige Sichtweise gewehrt, um die es bei Wirtschafts- und Managementstudien geht. Zum Beispiel, dass es immer um finanzielle Rentabilität geht, wo es doch in der Schallplattenindustrie offensichtlich eben nicht immer um finanzielle Rentabilität geht. Ich denke, es ist wichtig zu erkennen, dass Unternehmen zwar dazu da sind, finanziell stabil zu sein, dass es aber nicht immer das Ziel ist, so viel Geld wie möglich zu verdienen, um im Geschäft zu bleiben, und dass Unternehmen tatsächlich einem größeren Zweck dienen können. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich mich zur Kunst und zur Musik hingezogen fühle, denn natürlich braucht man Unternehmen, um all diese Dinge aufrechtzuerhalten, aber es geht hier eben um eine Art von höherem Zweck.

Und ich denke, man kann sehen, wie emotional manche Leute werden, wenn es darum geht, eine alte Technologie am Leben zu erhalten. Ich habe das in gewisser Weise mit der Ethik in Verbindung gebracht, denn ich denke, dass es von Natur aus ethisch ist, so etwas zu tun, weil es den Menschen Freude bereitet. Und dann ist da noch die ästhetische Erfahrung. Das ist ein weiterer Bereich, mit dem ich mich in meiner Forschung mehr und mehr beschäftige: das ganze Thema der Organisationsästhetik. Für mich geht es dabei um Fragen der Ethik und Ästhetik, und in der Wirtschaft wird die ästhetische Dimension in der Regel völlig ausgeblendet. Niemanden interessiert das, und das ist doch verrückt, denn natürlich geht es im Leben um Ästhetik, nicht wahr?

Das Geschäft, das Vinyl am Leben hielt
Neumann VMS-70 Plattenschneidemaschine; Quelle: Wikimedia Commons

Fast alle, die ich in der Audiobranche kenne, sind aus Liebe zur Musik eingestiegen, aber wie Sie sagen, muss man in der Lage sein, sie umzusetzen. Wenn man ein Musiker ist und einen Sound machen will, braucht man eine Gitarre, die von einer Firma hergestellt wird, die Gewinn machen muss. Aber viele der Leute in der Audio- und Musikindustrie sind sehr leidenschaftlich bei der Sache, und alles ist miteinander verwoben.

Was Sie da sagen, ist so ziemlich der Grund, warum die Vinyl-Schallplatte am Leben erhalten wurde. Wenn es nur darum gegangen wäre, dass die Leute an die Rentabilität denken, wären sie alle ausgestiegen.

Haben Sie mal was von Flo Kaufmann in der Schweiz gehört?

Ja, von FLOkaSon, dem Plattenschneider.

Er bezeichnet die 1990er Jahre als das goldene Zeitalter der Vinyl-Schallplatte, während die meisten das als die Zeit ihres Quasi-Todes ansehen. Und das lag daran, dass die Leute, die sich wirklich dafür begeisterten, plötzlich die Möglichkeit hatten, selbst mit diesem Material zu experimentieren. Sie gingen in den 1990er-Jahren buchstäblich auf den Schrottplatz, um einige dieser Pressmaschinen und teils angeblich sogar Schneidmaschinen zu beschaffen, obwohl ich verschiedene Meinungen darüber gehört habe, ob Schneidmaschinen jemals wirklich auf Schrottplätzen gelandet sind oder nicht. Aber das war eine Zeit, in der diese Leute gebrauchtes Zeug sammelten, zum Laufen brachten und dann einfach Platten machten. Ich wette, die meisten von ihnen klangen schrecklich, aber das war halt Teil der Lernkurve, und es lag an der Leidenschaft. Man brauchte nicht länger einen Deal mit einem Label oder Makler, ein Presswerk und einen langen, bürokratischen, komplexen Prozess.

Die Konzepte, über die Sie sprechen, könnten auf viele Dinge zutreffen: dass in rückläufigen Technologien mehr Leben steckt, als man meinen könnte, und dass eine Diversifizierung der Technologien etwas Gutes ist. Und ebenso, dass man eher darauf aus sein sollte, seine Bedürfnisse über viele kleine Anbieter abzudecken statt über einen großen Monolithen.

Auf der Grundlage dessen, was ich ĂĽber die Vinylherstellung gelernt habe, schaue ich mir derzeit andere Bereiche an. Wir haben ja ĂĽber Japan gesprochen. Da werden immer noch Katana-Schwerter hergestellt, und auch das ist ein sehr interessantes Handwerk, das am Leben erhalten wurde und extreme Hingabe erfordert.


Unser herzlicher Dank geht an das Copper Magazine

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