Daniil Trifonov – The Carnegie Recital
Der unheimliche Pianist
Unheimlich – so nannte eine Konzertbesucherin das Klavierspiel des 23-jährigen Russen Daniil Trifonov und traf den Nagel auf den Kopf. In der Berliner Philharmonie waren eben Werke von Strawinsky, Debussy und Ravel verklungen. Daniil Trifonov war dabei seinem Ruf, unter den Nachwuchspianisten das größte Ausnahmetalent zu sein, in vollem Umfang gerecht geworden: makellose Perfektion, ein außergewöhnlicher Farbenreichtum im Anschlag und virtuoser Zugriff. Das ist in der Tat schon unheimlich. Nach der Pause dann Schumanns Sinfonische Etüden, genauso unheimlich, exzentrisch und besessen gespielt. Das alles spürt man auch bei den CD-Aufnahmen und sogar in den Videos auf „youtube“. Neu auf dem Markt und bei der Deutschen Grammophon erschienen ist Trifonovs Konzert The Carnegie Recital in der New Yorker Carnegie Hall. Mit Chopins 24 Preludes op.28 und der h-Moll-Sonate von Liszt. Vor allem der Liszt-Sonate entlockt Trifonov Klangfarben und Melodielinien, die ich bislang nie gehört habe. Weil er das Werk technisch so souverän beherrscht, kann er es sich auch leisten, nicht alle Feinheiten mit Bombast und Pedal überdecken zu müssen. Es gibt weitere CDs mit Chopin und eine mit dem 1. Tschaikowsky-Konzert. Alles perfekt gespielt mit Läufen, bei denen, egal in welcher Geschwindigkeit, ein Ton wie der andere kommt – als wären Trifonovs Hände prozessorgesteuert. Man spürt bei diesem jungen Mann darüber hinaus aber auch einen großen Hang zur musikalischen Gestaltung. Die Aufnahmen mit Daniil Trifonov, der bereits mit fünf Jahren schon eigene Stücke komponiert haben soll, sind auf jeden Fall hörenswert und doch bleibt die Frage, wie es wohl mit ihm weitergehen wird. Technisch wird es keine Herausforderungen mehr geben – ein ganzes Pianistenleben also, um den Klavierwerken auf den Grund zu gehen.
Am Abend zuvor hatte im selben Konzertsaal übrigens der inzwischen 87-jährige Altmeister Paul-Badura Skoda Chopin und Schubert gespielt: viel Pedal, viele Töne daneben, weit entfernt von Perfektion – und doch ging die Musik zu Herzen. Besonders in Schuberts großer B-Dur Sonate D.960. „Diese Sonate“, sagte der alte Mann zur Einführung, „spiele ich nun schon seit 60 Jahren. Aber erst jetzt glaube ich sie verstanden zu haben.“ Und dann folgte eine jenseitige, verklärte und beeindruckende Sternstunde des Klavierspiels. Robert Schumanns Sinfonische Etüden hat Badura-Skoda seinerzeit natürlich auch gespielt. Jetzt, mit 87 Jahren wäre er damit aber sicher untergegangen. Allerdings bin ich mir ganz sicher, dass Daniil Trifonov mit Schuberts B-Dur Sonate im Moment genauso untergehen würde. Und so müssen wir eben abwarten, wie sich all diese brillanten Perfektionisten am Klavier entwickeln und was sie uns nach 60 Jahren auf der Bühne noch zu sagen haben.