Zu Besuch bei zwei amerikanischen HiFi-Legenden, Teil 2: Dan D‘Agostino
Der Hamburger Audio Reference Vertrieb hatte uns im Dezember zu einem Treffen mit Daryl Wilson und Dan D’Agostino eingeladen. Der zweite Teil unserer Reise durch den “Wilden Westen” der USA.
Hier geht’s zum ersten Teil (Wilson Audio) unseres US-Reiseberichts …
Nach unserem Besuch in Provo reisten wir via Flieger weiter nach Phoenix, Arizona. Knapp 800 Kilometer sind das. Am ersten Abend hatte uns D’Agostino in sein Privathaus eingeladen, wo er uns – italienische Wurzeln verpflichten – die Qualitäten seines riesigen Pizzaofens demonstrierten wollte. Einige Mitarbeiter von Dan D’Agostino Master Audio Systems (kurz: DDMAS) sammelten uns am Flughafen ein. Die vergleichsweise lange Autofahrt nach Cave Creek führte über die vertrackten Stadtautobahnen von Pheonix, hinaus in die steinige Wüste Arizonas. Ich muss zugeben, dass ich schon immer ein Faible für die Straßenführung im Westen der USA hatte: Man nehme einen Stift und ein Lineal und verbinde zwei Punkte. Fertig!
Die eigenwillige Schönheit Arizonas
Interessanterweise zählt Cave Creek eben noch zur Metropolregion Phoenix. Faktisch liegt die lockere Siedlung aber schon mitten in der Wüste. Das Haus der D’Agostinos grenzt an ein kleines Tal (der zugehörige Bachlauf glänzt seit Jahren durch Abwesenheit) und ist umringt von dutzenden typischer Saguaros-Kakteen, die entspannte 15 Meter und mehr erreichen. Würde man von der Terrasse der D‘Agostinos Richtung Norden stapfen, könnte man mit etwas Glück nach vier bis fünf Tagen den Grand Canyon erreichen – viele Häuser und Straßen würde man unterwegs nicht sehen.
Kurzum, die Szenerie könnte kaum pittoresker sein: Während wir uns an der exzellenten Pizza laben, hören wir im Hintergrund das leise „Feixen“ von Kojoten. Auf meine Frage, was genau die D’Agostinos in die Wüste zog (sie stammen ursprünglich aus Connecticut) antwortet der Hausherr ohne Zögern: Ich wollte nie wieder Schnee schippen! Später merkt er an, dass er schon immer von der Region fasziniert war. Es sei wundschön hier – und alles versuche einen zu stechen.
Jetzt aber ans Eingemachte
Falls Sie nicht vertraut sind mit der Geschichte des legendären Ingenieurs: Dan D’Agostino gründete 1981 Krell, war dort nicht nur Inhaber und CEO, sondern beteiligte sich maßgeblich an allen Entwicklungen. Dass Hochleistungsverstärker heute aussehen, wie wir sie kennen, ist auch sein Verdienst. Während er uns von seinem Werdegang berichtete, spannte D’Agostino unbewusst einen Bogen zu unserer vorherigen Station: Für seine erste Messe überhaupt (CES) teilte er sich einen Raum mit dem ebenfalls noch jungen Startup von Dave Wilson. In den 2000ern holte D‘Agostino dann Investoren an Bord, die ihn nach einem Streit über den zukünftigen Kurs des Unternehmens 2009 unsanft vor die Tür setzten …
Damit hätte sich die Akte D’Agostino schließen können. Doch mit der Ruhe hat er es nicht so. Nur kurze Zeit nach seinem Ausstieg bei Krell juckte es den umtriebigen Tüftler in den Fingern. Wie wohl alle Ingenieure seines Kalibers nervten ihn tausend Kleinigkeiten, die er bei Krell hätte besser (beziehungsweise konsequenter) machen können. Mit etwas Abstand störte ihn etwa die technisch-nüchterne Optik vieler Geräte. Er sei damals derart in seinen Schaltungen versunken, erinnerte er sich, dass er Äußerlichkeiten mehr oder weniger als „notwendiges Übel“ betrachtet habe.
Dan D’Agostino Master Audio Systems
Also gründete er ein neues Unternehmen mit merklich geschärftem Profil: Dan D’Agostino Master Audio Systems. 2011 war das. Unter diesem Markennamen fertigt er mit seinem Team gerade einmal drei Gerätefamilien. Jede einzelne dieser Serien erhebt allerdings den Anspruch, in ihrer jeweiligen Klasse zu den absoluten Superlativen zählen. Um das zu untermauern, demonstrierte uns D’Agostino am nächsten Morgen in seiner Manufaktur, wie einer der riesigen Relentless-Monos 1600 Watt in die hörbar ächzenden Lastwiderstände pustet – und das (ich hoffe, Sie sitzen) an 8 Ohm! Nach der Vorführung waren die Elkos der Endstufe (insgesamt rund 600.000 Mikrofarad Kapazität) derart mit Spannung vollgesaugt, dass sie ein Mitarbeiter vorsichtig mit einer Glühbirne entladen musste.
Kleine Info am Rande: „Relentless“ bedeutet auf Deutsch „gnadenlos“ …
Die Mono-Versionen der „kleineren“ Modelle Momentum und Progression kommen immerhin auf 800 und 1100 Watt an je 4 Ohm. In einem Land, in dem V8-Maschinen mit 7 Litern Hubraum bisweilen als „Small Block“ bezeichnet werden, sind solche Muskelspielchen Ehrensache. Tatsächlich hat die Leistungsshow aber einen validen Hintergrund: Als mit allen Wassern gewaschener Entwickler weiß Dan D’Agostino, dass ein Verstärker nur so gut ist, wie es die komplexe Last zulässt, an der er arbeitet. Um selbst den kniffligsten Lautsprecher in den Griff zu bekommen, benötigt man stattliche Leistungsreserven. Die eigentliche Kunst sei es, die bulligen Amps so konstruieren, dass sie nicht von ihrer eigenen Kraft erdrückt werden. Dank seines über Jahrzehnte erworbenen Know-hows gelingt es D’Agostino, selbst die mächtigen Relentless-Verstärker musikalisch und feindynamisch abzustimmen.
Keine Kompromisse
Analog zu Wilson Audio setzt er zunehmen auf die hauseigene Fertigung. Erst kürzlich wurde seine Manufaktur – die Firma erstreckt sich über einen einzelnen großen Raum – mit einem verbesserten Lötautomaten aufgewertet. Der verringert die Abhängigkeit von Dienstleistern und beschleunigt die Qualitätskontrolle. Nach einer längeren Aufwärmphase konnten wir erleben, wie flüssiges Lötzinn durch das Innere der Maschine floß. Für mich ist es das reinste Wunder, dass Platinen und Bauteile sich auf ihrem Weg durch diesen Backofen nicht in eine wabbelige Masse verwandeln. Heiß werden sie natürlich. So sehr sogar, dass sie nach der Bestückung mit Handschuhen auf einem Kühlgestell platziert werden müssen.
Wenig später entdeckten wir eine weitere Parallele zu Wilson Audio: D’Agostino ist geradezu besessen von Verarbeitung, Design und dem Finish seiner Gehäuse. In klarer Abgrenzung zur technischen Haptik von Krell suchte er nach fantasievolleren Formen. Nach einigen Experimenten fand er zu eleganten Geräten mit abgerundeten Stirnseiten, in deren Zentrum eine beleuchtete Leistungsanzeige sitzt. Natürlich kennen Sie diese Maschinen: Sie zählen seit ihrer Geburt (den Anfang machte die Momentum-Serie) zu den meistfotografierten Objekten auf HiFi-Messen. Ich selbst kann nicht zählen, wie viele Bilder ich von den DDMAS-Bullaugen habe.
Grenzenloser Klang trifft grenzenlose Haltbarkeit
Die Flanken der Relentless- und Momentum-Verstärker werden von massiven Kupfer-Kühlkörpern geschützt. Die erschreckend schweren Bauteile zu veredeln sei die reinste Hölle gewesen, wie uns Dan D‘Agostino erklärte. Anfangs habe er einfach beliebige Kupferplatten bestellt. Doch bei der kleinsten Berührung gab es oxidierte Fingerabdrücke auf dem Metall. Nach jahrelanger Suche habe er einen Veredler gefunden, der die Bauteile versiegelt, ohne die Kühlleistung zu reduzieren. Wir erinnern uns: Da die Verstärker geradezu aberwitzige Leistungsdaten besitzen, ist Kühlleistung bei D’Agostino ein entscheidender Faktor. Schließlich sollen die Maschinen an jedem Ort der Welt und zu jeder Jahreszeit funktionieren.
Kurz darauf machte uns der Hausherr auf eine kleine Gruppe von Angestellten aufmerksam, die wir bis dahin noch gar nicht bemerkt hatten. An einer Arbeitsstation saßen vier Mitarbeiter, die still und mit höchster Konzentration an Platinen herumlöteten. Dann und wann stand einer von ihnen auf und bediente sich an einem Gestell mit farbenfrohen Kabelrollen, schnitt einige Strippen zurecht und verschwand dann wieder an seinen Platz. „Hier passiert die eigentliche Magie“, kommentierte Dan die Szene. Die Mitarbeiter erledigen alle Vorbereitungen sowie Lötarbeiten, die mit der Maschine nicht möglich sind. Sie bereiten die Endmontage der Bauteile vor und überprüfen jede Verbindung. Auch hier ist DDMAS kompromissbefreit: Verstärker dieser (Preis-)Klasse müssen absolut wartungsfrei funktionieren.
Dan D’Agostinos “Bullauge”
Sorgen über die Haltbarkeit muss man sich auch bei den verschiedenen Ausführungen der ikonischen Leistungsanzeigen nicht machen. Ein Mitarbeiter demonstrierte uns, wie die Bullaugen der Relentless-Endstufen zusammengesetzt werden. Schritt für Schritt fügte er die Aluminiumteile ineinander. Von einem Zulieferer wurden sie derart präzise vorgefertigt, dass sie sich naht- und mühelos ineinanderfügen. Das Ergebnis wog gefühlte fünf Kilogramm und ließ sich kaum mehr auseinandernehmen. Als wir fragen, ob er den Vorgang für einige Fotos wiederholen könne, setzte er einfach eine weitere Anzeige zusammen.
Zum Abschluss unserer Tour führte uns Dan D’Agostino schließlich noch in einen Bereich seiner Manufaktur, in dem wir einen Blick in das Innenleben des neuen Relentless-Vorverstärkers werfen konnten. Der dreiteilige Koloss besteht aus zwei separaten Mono-Vorverstärkern, die über eine zentrale Kontrolleinheit verbunden sind. Zum Zusammensetzen der kostbaren Bausteine holte sich D’Agostino Hilfe von zwei Mitarbeitern. Alleine scheint man die wuchtigen Segmente kaum heben zu können.
Quelle voraus
Die Marke wagt übrigens immer weitere Brückenschläge hin zur Quellenlage: Wie schon der Vollverstärker der Progression-Familie ist der exklusive Vorverstärker mit DAC uud einem optionalen Streaming-Board erhältlich. Auch einen Phono-Vorverstärker gibt es, der abgeleitet ist vom exzellenten Entzerrer der Momentum-Baureihe, den uns Dan kurz darauf vorstellte. Die „Phonostage“ dürfte zu den prallsten „Analog-Workstations“ am Markt zählen: Gleich vier Systeme lassen sich anschließen (2 x MM und 2 x MC), alle feinfühlig programmierbar.
Abends hatten wir dann endlich Gelegenheit, Dan D’Agostinos Schöpfungen zu hören. Der Entwickler hatte uns abermals zum Essen in sein Haus gebeten, diesmal gab es Steak. In seinem Wohnzimmer betreibt er eine Relentless-Anlage an Wilson Audios Chronosonic XVX. DDMAS-Präsident Bill McKiegan, mit dem D’Agostino bereits bei Krell zusammengearbeitet hatte, führte uns durch die Demonstration. Das absolute Highlight war die Aufnahme eines Bläser-Ensembles – effektvoll mit abgrundtiefen Paukenschlägen untermalt. Als hätte das Wohnzimmer der D’Agostinos keine Wände, spielten die Bläser mit schier unbegreiflicher Breite und Tiefe. Die Anlage brachte feinste Nuancen deutlich zu Gehör und besaß bei aller Transparenz und Auflösung ein herrlich seidiges Timbre. Es handelte sich übrigens um einen Titel namens „Olympic Fanfare“ von den National Symphonic Winds (CenterStage). Eine Aufnahme aus der Feder von Dave Wilson.
Atemberaubende Performance
Mehr noch als der vorzügliche Live-Mitschnitt begeisterte mich die Tatsache, dass die Anlage überhaupt funktionierte. Wenn man ehrlich ist: Die Kombination aus Relentless und Wilson Audios mächtiger XVX ist für den Raum eigentlich überdimensioniert, die Lautsprecher stehen direkt an der Wand. Dan D’Agostino gesteht, dass er selber erstaunt war, wie gut das Zimmer klingt. Sie hätten viele Positionen für die Boxen probiert, doch die waren entweder schlechter oder zerstörten jede Wohnlichkeit. Das Geheimnis habe sich gelüftet, als er den Raum für eine kleinere Renovierung mit einem Laser vermaß: Die kleine Finka ist (optisch nicht wahrnehmbar) krumm und schief gebaut. Es gibt praktisch keine parallelen Wände. Glück muss man haben …
Haben Sie Appetit auf mehr D’Agostino bekommen?
Hier geht’s zum Test des Vollverstärkers Progression Integrated …