DALI Opticon 6 MK2 – Press Play, have fun!
Als audiophiler Nimmersatt verbringt man viel Zeit damit, über optimale Aufstellung, Verkabelung und die Kombination seines Frontends zu sinnieren. Sie glauben gar nicht, wie erfrischend es da sein kann, wenn einen der Lautsprecher an die Hand nimmt und in herrischem Tonfall sagt: „Setz dich, hör auf zu grübeln und hör mir einfach zu!“ Wir stellen vor: Die Dali Opticon 6 MK2.
In aller Kürze
Mit der Opticon 6 MK2 treibt DALI das ohnehin runde Konzept seiner Mini-Epicon auf die Spitze: Die schlanke Standbox spielt für ihre Klasse geradezu verboten ausgewogen, detailliert und spritzig. Preis um 1900 Euro.
Manchmal komme ich mir schon vor wie der alte Onkel Willibald. Sie wissen schon, dieser knurrige Typ, den man früher –exaktes Verwandtschaftsverhältnis ungeklärt – nur auf Familienfeiern mit rundem Anlass zu Gesicht bekam. Zu seinen schrulligsten Eigenheiten zählte, dass er keine Frage (und damit meine ich selbst die simpelste) direkt beantwortete. Er schob die Brille zurück und holte nach einer rhetorischen Pause zu einer Anekdote aus, nach der man vielleicht etwas klüger war, sein ursprüngliches Ansinnen aber garantiert vergessen hatte. Ein derartiges Vorgeplänkel gönne ich mir heute auch, allerdings ohne Pause. Ich verspreche Ihnen jedoch, dass die Geschichte etwas mit unserer liebreizenden Testkandidatin zu tun hat – DALIs formidabler Opticon 6 MK2 – und Ihnen erklärt, was das Konzept der Dänen so besonders macht.
Neulich in Nørager bei DALI
Es begab sich vor einer gefühlten Ewigkeit (Eselsbrücke: damals war gerade Trentemøller angesagt), dass ich die heiligen Hallen der Danish Audiophile Loudspeaker Industries im Norddänischen Nørager besuchen konnte, die 1983 von Peter Lyngdorf gegründet wurde. Als Normalsterblicher (will sagen: Besucher) betritt man den weitläufigen Gewerbekomplex über den Haupteingang am Grynderupvejen und nicht über seine offizielle Postadresse, die eigens angelegte Dali Alle. Die führt hinter die Lagerhallen und ist Lieferwagen sowie den darin enthaltenen Lieferwagenfahrern vorbehalten.
Wir wurden von Geschäftsführer Lars Worre empfangen, der uns mit einer Ladung Powerpoint-Präsentationen konfrontierte, um uns anschließend – hinreichend weichgeklopft – in den werkseigenen Hörraum zu führen. Dort verbrachten wir etliche Stunden, denn Worre wollte uns nicht nur ein oder zwei Neuheiten präsentieren, sondern sein vollständiges Portfolio. Und ich meine damit: praktisch alles! Inklusive der mächtigen Megaline, die von Dynaudios Arbiter-Endstufen angetrieben wurde. Dieses exklusive Gespann ist in freier Wildbahn so selten wie ein Tiger im veganen Lebensmittelladen.
Der schlaue Fuchs hatte natürlich einen pädagogischen Hintergedanken, der jeden noch so skeptischen Hausgast binnen weniger Stunden zum fanatischen DALI-Fan macht: Abgesehen von der Megaline, die mit Fug und Recht als Immobilie durchgeht, waren sämtliche Vorführlautsprecher mehr oder minder „bewusst lieblos“ platziert. Es waren zu viele Boxen im Raum, praktisch kein Lautsprecher war eingewinkelt, und auch die Sache mit dem gleichschenkligen Stereodreieck klappte bei einigen der größeren Modelle nur näherungsweise. Trotzdem musizierten die Lautsprecher einer wie der andere mit unfassbarem Swing, sie spielten transparent, bestechend seidig und zauberten eine verblüffend differenzierte Bühne in den Raum.
Die Lehre aus unserem vier-, vielleicht fünfstündigen Hörparcours mit Softdrink-Pause: DALI-Lautsprecher funktionieren einfach. Zu geringer Wandabstand darf seitens ihrer Entwickler keine Entschuldigung für ein Dröhnen im Bass sein. Andererseits müssen die Kompakten des Herstellers (gegebenenfalls mit ihren stets vorhandenen Aufhängungen an der Wand montiert) auch mittlere und größere Zimmer in den Griff bekommen – zur Not halt gemeinsam mit einem Subwoofer. Über Musikalität – will sagen Timing und Phasenrichtigkeit – sprechen die Dänen gar nicht erst. Beides ist Voraussetzung, dass ein neues Modell überhaupt in den Handel kommt. Kurzum: Der Kunde soll hier nicht mutmaßen, welcher Lautsprecher am besten zu seinem Hörraum passt, er kauft sich einfach jenes Modell, das ihm und seiner Geldbörse am besten gefällt. Der Rest … läuft!
Ähm, was wollte ich eigentlich erzählen?
Ach so: Wieder zurück ins Hier und Jetzt. Ich stehe im FIDELITY-Hörraum und denke abwechselnd an skandinavische Möbel und dänische Bauklötze. Vor mir auf dem Boden – kopfüber – die beiden Opticon-Boxen, auf dem Tisch daneben ein kleiner Haufen Spikes, Schrauben, Muttern, Aluminiumstreben sowie das erforderliche Werkzeug. Vor Inbetriebnahme der Lautsprecher müssen je vier robuste Fußausleger montiert werden, die in Produktabbildungen des Herstellers komischerweise konsequent fehlen. Die Anbringung ist trotzdem zu empfehlen, da sie den schlanken Boxen einen besseren Stand geben und höheren Kippschutz gewähren. Außerdem sehen die hervorragend verarbeiteten schwarzen Druckguss-Füße toll aus und passen perfekt zum dunklen „Tobacco Oak“ unserer Muster. Parkettbesitzer dürften sich derweil über optionale Gummi-Klebefüße freuen, die nebst Glückwunschkarte in einem eigenen Tütchen liegen. Das Handling während der Vorbereitung erweist sich übrigens als überraschend einfach, da ich die knapp einen Meter hohen „Sechser“ mit ihren 19 Kilogramm ganz gut im Griff habe.
Anschließend (rechnen Sie etwa 20 Minuten fürs Auspacken und Montieren) platziere ich die beiden Boxen an vormarkierten Stellen im Raum, winkle sie direkt auf den Hörplatz ein und entferne wie gewohnt die vergoldeten Brücken der Bi-Amping-Terminals. Anschließend verbinde ich sie mit der Y-Version von AudioQuests Rocket LS, dann weise ich den Aavik I-380 an, ordentlich Gas zu geben. Keine 30 Sekunden später ist der Test für mich eigentlich abgeschlossen …
Doch ehe wir uns mit den feinen Klängen der Dänin auseinandersetzten, lassen Sie uns über Geschichte und Evolution der Opticon-Boxen sprechen. Die Serie kam 2015 in den Handel und präsentierte sich aufmerksamen Beobachtern als hoch spannendes Downgrade: Im Grunde genommen handelt es sich um vereinfachte – und damit spürbar günstigere – Variationen der unübertroffen spielfreudigen Epicon-Modelle. Freilich werben Hersteller gern damit, die Technologie ihrer Top-Linie nun auch kleineren Serien zugänglich zu machen. Doch in diesem Fall stimmt der Transfer bis ins Detail. Die Opticon 6 besitzt wie die Epicon 6 zwei Tiefmitteltöner (je 6,5 Zoll bzw. 16,25 cm) mit SMC-Antrieb sowie das markante Hochton-Duett aus Seidenkalotte und dem nahezu massefreien Bändchen. Selbst das Innere des furnierten MDF-Gehäuses ist vergleichbar aufgebaut. Bass und Mittelton sowie das Tweeter-Duett arbeiten in separaten Volumen, deren schräg verleimte Trennwände einen großen Teil der Reflexionen zerstreuen. Vollständig gelingt das natürlich nicht, denn im Gegensatz zur geschwungenen Epicon besitzt eine Opticon kerzengerade Seitenwände. Kurzum: Es handelt sich um lupenreine Convenience-Spiegelbilder der audiophilen Top-Liga.
2020 folgte ein großes Update auf Mark Two, das eine wahre Flut an Detailverbesserungen mit sich brachte. Am augenscheinlichsten sind die drei frischen „Farben“: Außer in Tabakeiche, wie bei uns, werden die Boxen in Satin White und Satin Black ausgeliefert. Die neuen Abdeckungen bestehen aus einem hochwertigen, akustisch transparenten Stoff, der wohnlicher wirkt als die Vorgänger. Obwohl das Grundgerüst unangetastet blieb, entwickelten die Dänen ihre Tiefmitteltöner von Grund auf neu: Die Membranflächen stammen in direkter Linie aus den Epicon und bestehen aus mit Holzfasern verstärktem Papier, dessen markante Farbe – eine Visitenkarte von DALI – Lust auf Röstkastanien macht. Der SMC-Antrieb („Soft Magnetic Compound“) setzt nicht auf einen massiven Permanentmagneten, sondern auf ein ummanteltes magnetisches Granulat, das zu kompakten Magneten gepresst wird. Eine unglaublich praktische Spezialität der Dänen, denn so können die Antriebe nicht nur in der erforderlichen Form hergestellt werden, sie haben auch genau die Leistung, die für den betreffenden Treiber erforderlich ist. Zudem mindert das „Coating“ des Granulats die Wirbelströme um den Magneten.
Beide Tweeter sitzen auf einer neuen Platte aus Aluminium-Druckguss. Die Seidenkalotte wuchs von 28 (MK1) auf 29 Millimeter und erhielt einen Antrieb mit größerem Durchmesser. Beides steigert Leistung sowie Bandbreite und senkt zugleich die Verzerrungen. Das Bändchen blieb weitestgehend unangetastet, erhielt bei Überarbeitung der Frontplatte jedoch ein verbessertes Abstrahlverhalten. Schließlich wurden auch die Bassreflexöffnung und die direkt hinter den Terminals verbaute Frequenzweiche verfeinert beziehungsweise neu gestaltet, was Turbulenzen – und damit die Geräuschentwicklung – weiter senkte.
Eine Besonderheit der Serie, die man angesichts der geforderten Kurse kaum glauben mag, liegt in ihrer Fertigung: Die Opticon-Lautsprecher werden von Hand in Nørager gebaut. Und zwar als Paar. Es mag im ersten Augenblick verwirrend klingen, doch ist das wörtlich zu verstehen. In der Regel montieren Hersteller ihre Boxen in Serie und packen am Ende zwei Exemplare in den Karton. Ein Opticon-Pärchen hingegen wird gemeinsam von einem Mitarbeiter montiert und bei der komplexen messtechnischen Abnahme für optimalen Stereobetrieb abgestimmt. Das manifestiert sich in identischen Seriennummern mit dem Zusatz „L“ und „R“. Da die beiden Lautsprecher absolut identisch aufgebaut sind, muss man sich aber nicht an diese Aufstellvorgabe halten.
Natürlich? Natürlich!
Und wieder zurück in den Hörraum. Um es kurz zu machen: Die Opticon 6 MK2 spielt für einen Lautsprecher ihrer Klasse wie der Teufel! Tatsächlich transportieren die „Mini-Epicons“ den Geist und Charakter der großen Top-Serie. Wie Billie Eilishs nuancierter Bond-Soundtrack unter Beweis stellt, besitzt „Nummer Sechs“ ausnehmend cremige, samtig weiche Mitten und kann Stimmen mit atemberaubendem Schmelz und extrem emotional in den Hörraum zaubern. Gleichzeitig zeigt die schlanke Box dank ihres Doppel-Tweeters eine extreme Auflösung und Transparenz, die dem sprichwörtlichen Klingeln einer Triangel oder sanft verklingenden Hallfahnen bis in Sphären außerhalb unseres Hörvermögens folgt – während die Seidenkalotte Frequenzen bis 14 Kilohertz umsorgt, reicht das Bändchen bis 30 kHz hinauf. Das detailversessene Duett ist jedoch derart homogen eingebettet, dass es selbst bei „ruppiger Gangart“ wie Alternative-Rock oder zeitgemäß produziertem Pop nie bissig oder harsch wirkt. Der Bass am anderen Ende des Spektrums tönt knochentrocken, präzise und schnell. Nach Herstellerangaben kommt die Opticon 6 mit Wandabständen ab 20 Zentimeter zurecht. Das stimmt zwar, doch profitiert sie bei gut produzierter Musik wir dem Faithless-Song „Insomnia“ merklich von den knapp 60 Zentimetern, die wir ihr gönnen.
Ich bin verleitet, den tonalen Charakter der Opticon 6 MK2 mit Begriffen wie „goldig“, „charmant“ oder „samtig“ zu umschreiben. Doch ihre enorme Detailversessenheit, das spritzig-dynamische Naturell und die Präzision ihrer räumlichen Abbildung und Tiefenstaffelung halten mich zurück. Dieser Lautsprecher ist alles andere als ein Schönfärber. Je nach Verstärker und Musik kann die Opticon ebenso gut als audiophiles Präzisionswerkzeug bestehen, das tiefe Blicke in die Wiedergabe gewährt. Aber wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf: Denken Sie nicht zu viel darüber nach und lassen Sie den Lautsprecher einfach machen …
Info
Lautsprecher DALI Opticon 6 MK2
Konzept: Standlautsprecher, 2½ + ½ Wege, Bassreflex
Bestückung: 2 x 6,5-Zoll-Bass-/Mitteltöner (Papier mit Holzfasern), 29-mm-Seidenkalotte, 17-x-45-mm-Bändchenhochtöner
Übergangsfrequenzen: 800 Hz/2200 Hz/14 000 Hz
Bandbreite: 49 Hz bis 30 kHz
Nennimpedanz: 4 Ω
Wirkungsgrad: 88 dB
Empfohlene Verstärkerleistung: 25 bis 200 W
Besonderheiten: Bi-Wiring-Terminals, Spikes, Gummidämpfer sowie Aluminium-Druckguss-Füße im Lieferumfang
Ausführungen: Tobacco Oak, Satin White, Satin Black
Gewicht: 19 kg
Maße (B/H/T): 20/100/33 cm
Garantiezeit: 2 Jahre (5 Jahre nach Registrierung)
Preis: um 1900 €
Kontakt
DALI GmbH
Berliner Ring 89
64625 Bensheim
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