Clearaudio Tracer – Analoger Spurhalteassistent
Ein formschönes Präzisionsinstrument aus Carbon fürs Wohnzimmer – mit dem Tracer liefert Clearaudio einen Radialtonarm für alle Lebenslagen.
Fotografie: Ingo Schulz
„Wissenswertes über Erlangen“: Als die intellektuelle Speerspitze der Neuen Deutschen Welle, die Berliner Formation Foyer des Arts um Max Goldt, im Jahr 1982 mit diesem Titel Erlangen auf die popkulturelle Landkarte rückte, ahnte sie vermutlich nicht, dass musikalisch weit gebildetere Kreise schon längst Kenntnis dieser Ortschaft hatten: Denn vier Jahre zuvor waren dort von einem jungen, analog orientierten Unternehmen MC-Systeme entwickelt und in ihrem vollsymmetrischen Aufbau ins Patentregister eingetragen worden. Jene Firma, Clearaudio, hat dort weiterhin ihren Sitz. Es gibt ja so viel Wissenswertes über Erlangen: Nicht unbedingt die Kirche, die hier links steht, sondern Erlangen als Wissenschaftsstadt, Mekka der Feinmechanik und – audiophiles Zentrum.
Wenn man als HiFi-Liebhaber also Post aus dieser Stadt erhält, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Suche nach dem heiligen Gral der Vinyl-Wiedergabe auf ein erfolgreiches Ende zusteuert. Dann hat man wieder andere, auch nicht ganz einfache Probleme. Man kann sich dann auf andere Elemente der Wiedergabekette konzentrieren – vom Monoblock bis zu esoterischen Heilsteinen. Denn das Vinyl-Erlebnis sieht ab jetzt schlicht so aus: Platte auflegen, zack, fertig. Der Rest ist Staunen.
Hier nun enthielt die Paketdienstlieferung ein Ensemble, das sich gerade noch ohne helfende Hände aus der Nachbarschaft in die Beletage der Mietskaserne emporwuchten ließ und doch das Zeug hat, zum Gravitationszentrum abendlicher wie nächtlicher Hörgenüsse zu werden: Der Clearaudio-Tonarm trägt den beziehungsreichen Namen Tracer (deutsch: „Sucher“). Er soll fürderhin thronend auf dem Laufwerk Performance DC den allerfeinsten Bewegungsmeldungen des Systems nachspüren. Auch dies ist „passend“, also um nichts weniger exzellent ausgewählt, handelt es sich doch um den Talismann V2 Gold.
Der Aufbau eines Plattenspielers ist mittlerweile ein Anlass fürs Aufsetzen der Lesebrille und eine Beschäftigung für ruhige Stunden fern des hektischen Alltags einer Großstadt. Mit Beruhigung darf deshalb schon beim Sichten der Liefergegenstände festgestellt werden, dass an alles gedacht wurde: Da ist das kleine Fläschchen mit dem Lageröl, da ist die Justagelehre, eine manuelle Kippwaage und der ein oder andere Miniaturinbus sowie ein kleiner Schraubendreher. Und das runde Ding dort? Entpuppt sich als kleine Wasserwaage, als sogenannte Dosenlibelle. Also die vornehm weißen Handschühchen übergestülpt und frisch ans Werk!
Beim Aufbau zeigt sich, wes Geistes Kind das Performance DC ist: Im Ergebnis nimmt es sich elegant und schnörkellos, fast simplizistisch aus – und so verhält es sich tatsächlich. Der vier Zentimeter hohe Plattenteller besteht aus Acetyl, einem thermoplastischen Kunststoff, der über hohe Steifigkeit und Dimensionsstabilität verfügt. Er nimmt Platz auf einem – Stichwort: Wissenschaftsstadt Erlangen – magnetisch gelagerten Präzisions-Subteller aus Aluminium: Auf diese Weise ist er also gewissermaßen in der Schwebe angebracht. Der Motor wird ebenso wie der Riemen durch den Teller visuell verdeckt. Das Laufwerk steht bombenfest auf drei Füßen, die sich durch Drehung in der Höhe nach Maßgabe der Wasserwaage verstellen lassen.
Die Tonarmbasis ist bereits vormontiert, sodass nun der Tracer mit seiner schräggestellten Wolframachse seinen angestammten Platz einnehmen darf. Je nachdem, wie schnell man seine Lesebrille findet, sind Montage und Justage auch für Menschen mit feinmotorischem Handicap mit passablem Zeitaufwand zu bewerkstelligen. Außer der Einstellung des vertikalen Abtastwinkels bleibt zunächst wenig zu tun: Das Gegengewicht befindet sich bereits am Tonarm, muss also nicht montiert, sondern nur noch je nach Auflagekraft durch zarte Drehung angepasst werden. Auch um die Antiskating-Kraft muss man sich keine Sorgen machen. Das Hantieren mit Miniaturgewichten und klitzekleinen, am besten noch transparenten Fädchen entfällt. In der Spur gehalten wird die Abtastnadel nämlich nicht mit einem Antiskating-Gewicht, sondern mit berührungsloser Magnetkraft, die sich über ein praktisches Bedienelement höchst komfortabel vorgeben lässt. Wenn es sein muss, kann der Azimuth durch eine Schraube an der Unterseite des Tonarmrohrs eingestellt werden.
In der Headshell aus Aluminium nimmt nun als kongenialer Mitspieler des Tracers der edle Talismann mit güldenem Innenleben Platz. Dessen Signale werden über ein Clearaudio Sixstream Super Wire mit MPC-Cinchsteckern direkt an den Phonovorverstärker weitergeleitet. Die erforderliche Kleinarbeit der Justage lässt sich mittels einer hervorragend gestalteten Schablone und der Kippwaage sicher und zweifelsfrei erledigen. Eigentlich macht das Hantieren mit einer mechanischen Waage deutlich mehr Freude als mit elektronischen Pendants, kann man doch praktisch zusehen, wie die Gesetze der Physik walten, bis sich alles im Gleichgewicht befindet. Der Tracer verträgt sich mit Systemen zwischen drei und 17 Gramm, bei schwereren Exemplaren kann man mit einem weiteren Gegengewicht nachhelfen.
Augenfälligstes Merkmal des Tracers ist das aus Carbonfaser gefertigte Neunzollrohr. Carbon ist besonders leicht, verwindungssteif und resonanzarm, weswegen man aus diesem Werkstoff nicht nur das Seitenleitwerk eines Airbus A 380 fertigen kann, sondern zunehmend auch Dinge des täglichen Bedarfs. Auch in der Welt der Klangwiedergabe findet man inzwischen so manches Carbonteil, insbesondere bei Tonarmen erfreut sich dieses Material großer Beliebtheit. Oft begegnen einem dabei allerdings mehr als daumendicke Röhren, was klanglich sicherlich unbedenklich ist, optisch allerdings bisweilen grobschlächtig und klobig wirkt. Der Tracer ist hier eine rühmliche Ausnahme. In seiner Gestalt erinnert er ein wenig an die Clarify-Modelle von Clearaudio, wirkt aber ohne Magnetlager noch eine winzige Spur puristischer. Damit passt er nicht nur hervorragend zum bauhausartigen Antlitz des Performamce DC, sondern ist auch für sich genommen – ob silbern oder in der eleganten schwarzen Ausführung des Testexemplars – ein echtes Schmuckstück.
Entscheidender noch als geringes Eigengewicht und Resonanzarmut des Rohrs ist seine Lagerung, schließlich gilt es, auch die minimalste Bewegungsaufnahme der Nadel verlustfrei durchzureichen – eine Gratwanderung der Fertigungstoleranzen, denn weder darf die Lagerung zu rigide oder reibungsintensiv sein, noch darf hier selbstverständlich irgendetwas unkontrolliert wackeln. Beim Tracer sorgen reibungsarme Saphirkugellager für freies Spiel im Horizontalen und Vertikalen.
Die Erwartungen an die Qualität der Wiedergabe sind damit recht klar aufgespannt: Man darf sich auf wieselflinkes, detailgetreues Spiel über den gesamten Rillenverlauf hinweg freuen. Dabei sollte der Tracer nicht nur einem System wie dem Talismann gewachsen sein, sondern auch die üblichen Verdächtigen, also Pickups wie etwa das Denon DL-103, ihr Werk verrichten lassen. Eine erquickliche Basswiedergabe darf ebenso vorausgesetzt werden wie ein lebhaftes Spiel in den Höhen, ohne dabei die Mitten des Effektes wegen zu vernachlässigen.
Ein wenig Einspielzeit, so verlangt es die Höflichkeit des Testers, sollte man einer solchen Versuchsanordnung gleichwohl zugestehen. Daher braucht man es mit der Musikauswahl anfangs nicht zu genau nehmen, das Anfertigen von ausgiebigen Hörprotokollen mag später erfolgen. Also mal ganz lässig zu Led Zeppelins IV gegriffen, eine jahrzehntealte Pressung ohne jedwede Besonderheit, wie es sie halt damals in den Siebzigern im Kleinstadtplattenladen so gab. Um es gleich zu sagen: Die Überraschung könnte kaum größer sein. Die Hallsituation des Treppenhauses, in der John Bonhams Drumset bei der Coverversion von „When the Levee Breaks“ aufgenommen wurde, ist oft beschrieben, oft gefilmt und wahrscheinlich noch öfter gesampled worden. Ohne Vorwarnung ereignet sich noch vor der abschließenden Feinjustage nicht nur eine ungewohnt fulminante Basswiedergabe, sondern eine Plastizität vom Auftreffen des Schlegels bis zum Verklingen des Schlages, dass man förmlich den Schall die Treppenstufen heraufwandern sieht. Das ist eindrucksvoll und macht solchen Spaß, dass man es förmlich kaum mehr erwarten kann, zum abertausendsten Mal „Stairway to Heaven“ zu hören.
Man möchte bedingungslos fortfahren, gedankenverloren und nach dem Zufallsprinzip die ganzen Schätzchen der Sechziger, Siebziger und Achtziger aufzulegen. In der Tat zeigen sich auch bei viel zu oft gehörtem Material spontan neue Einblicke: dass das Percussionspiel auf dem Titelstück der Doors-Platte The Soft Parade so dynamisch und kräftig leuchtend ist, war dem Rezensenten mit der Zeit glatt entfallen.
Aber der Testaufbau mit dem Tracer-Tonarm erweist sich auch in gänzlich anderen musikalischen Situationen als jederzeit souverän. Nehmen wir nur die Sonate op. 31 Nr. 4 für unbegleitete Bratsche von Paul Hindemith – ein spielerisch anspruchsvolles Werk, das ein hohes Maß an Virtuosität voraussetzt, da die ins Unendliche fortschreitende Komposition hohe Ansprüche an Phrasierung und tonale Gestaltung stellt. Klar, präzise und strahlend legt die Wiedergabe den Parforceritt des Interpreten Lawrence Power ohrenfällig frei. Aber auch die Komplexität des Klangbildes eines romantischen Orchesters vermag der Tracer im Zusammenspiel mit Nadel und Laufwerk danach höchst musikalisch zu ordnen und plastisch auf die Stereobühne zu projizieren.
Klarer Fall, der Tracer ist ein Präzisionsinstrument, das es einem aber einfach macht: Es ist leicht zu handhaben und jeder musikalischen Situation perfekt gewachsen. Eine Anschaffung kann durchaus eine Anschaffung fürs Leben sein, denn um auch nur ein kleines bisschen mehr aus der Vinyl-Wiedergabe zu kitzeln, sind deutlich größere Investitionen erforderlich – da ist man schnell im Bitcoin-Bereich. Im Grunde muss das nicht sein, zumal man den Werkstoff Carbon selten so schön und stimmig eingesetzt sah wie beim Clearaudio Tracer.
Tonarm Clearaudio Tracer
Funktionsprinzip: Radialtonarm mit horizontaler Saphirlagerung und vertikaler Kugellagerung
Effektive Länge: 9″
Überhang: 16,935 mm
Montageabstand: 222 mm
Montagebohrung: 24,85 mm
Antiskating: magnetisch
Ausführungen: Silber und Schwarz
Besonderheiten: Carbonfaser-Tonarm mit „Sixstream Super Wire“-Innenverkabelung
Gewicht: 363 g mit Gegengewicht
Garantiezeit: 3 Jahre
Preis: 1900 €
Laufwerk Clearaudio Performance DC
Funktionsprinzip: riemengetriebener Schallplattenspieler
Antrieb: Gleichstrommotor über geschliffenen Flachriemen
Maße (B/H/T): 420/125/330 mm
Geschwindigkeiten: 33, 45 und 78 U/min
Gewicht: 11 kg
Tonabnehmer Clearaudio Talismann V2 Gold MC
Funktionsprinzip: Moving-Coil-Tonabnehmer
Nadelschliff: Micro HD
Nadelnachgiebigkeit: 15/15 μ/mN
Empfohlene Auflagekraft: 2,8 g
Ausgangsspannung: 0,5 mV bei 5 cm/s
Systemimpedanz: 50 Ω
Besonderheit: handpolierter Ebenholz-Körper, Spulen aus 24-karätigem Gold
Gewicht: 10,8 g
Clearaudio electronic GmbH
Spardorfer Straße 150
91054 Erlangen
Telefon 01805 059595