Classidelity: Richard Wagner – Lohengrin
Pünktlich zum Wagner Jahr 2014 kam die WDR-Produktion des Lohengrin, bei Hänssler bereits auf CD erschienen, endlich auch auf LP heraus. Was steckt hinter einer solchen mit großem Aufwand entstandenen Aufnahme?
Beachtlich, dass es sich bei Semyon Bychkovs Einspielung des Lohengrin um eine reine Studioproduktion handelt, verdient Beachtung. Der zunehmende finanzielle Druck auf die Plattenlabels, nicht zuletzt durch die zunehmende Kopierfreude hervorgerufen, lässt diese vorsichtig werden. Warum Unsummen für eine solche Produktion ausgeben, wenn hinterher zehn Prozent der Hörer kaufen und der Rest kopiert? Und es kommt wirklich zu enormen Beträgen: Allein ein guter Saal kostet pro Tag gerne über 1000 Euro. Die Tagesgagen der Sänger sind auch nicht ohne, dann einen Chor aus Hamburg und einen aus Prag nach Köln transportieren und dort unterbringen, die Technik bezahlen … Bevor auch nur eine einzige CD oder LP aus der Presse fällt, befinden wir uns schon im sehr hohen fünfstelligen Bereich. Und das sollte dann auch bitte wieder reinkommen. Wunderbar also, dass Hänssler in Zusammenarbeit mit dem WDR endlich mal wieder ein solches Wagnis eingeht. Hat sich das Risiko gelohnt?
In aller Kürze vorweg: Ja. Bychkov setzt den Lohengrin mit seinem transparenten und dynamischen Ansatz auf den ihm gebührenden Platz in Wagners Schaffen vor dem Ring. In der Regel hören wir den Lohengrin oder gar den noch früheren Holländer mit einer Schwere und Macht, als wären Ring, Parsifal und Meistersinger schon geschrieben und verdaut. Und dabei verpassen wir die so spannende Entwicklung, die Wagner auf dem Weg zu seiner idealen Musiksprache durchgemacht hat. Den früheren Werken diese frühe, noch nicht durchentwickelte Klanglichkeit zurückzugeben, schmälert nicht ihren Wert – im Gegenteil.
So ist eine der wunderbaren Überraschungen dieser Produktion Johan Botha als Lohengrin. Auch wenn er nicht ganz die Souveränität und charakterliche Durchdringung eines Jess Thomas erreicht, schenkt er uns mit seiner leuchtend-lyrischen Darbietung einen neuen Blick auf diese Partie. Weniger belcantisch als der Holländer angelegt, kann der Gralsritter bei Botha seine musikalischen Wurzeln dennoch nicht verbergen – sie sind in der Partitur auch klar zu erkennen. Großartig auch der zu Beginn mit Klarheit, Kraft und ohne flaches Pathos überzeugende Heerrufer Eike Wilm Schulte. Schlau vermeidet er die übliche Falle, die Oper mit einer gestalterischen Großtat beginnen zu wollen. Er gibt einfach einen kraftvollen Ansager, der seinen Job macht. Und genau das soll es sein: eine Funktion. Adrianne Pieczonka wiederum, ohnehin mit einem sehr hell leuchtenden Sopran gesegnet, gestaltet ihre Partie durchaus dramatisch, an manchen Stellen mit packendem Zugriff, was konventionelle Wagner-Hörer durchaus irritieren kann. Ohne Zweifel jedoch holt sie damit Elsa aus der biederen Ecke und positioniert sie als starke und handlungstragende Frau.
Im Vorspiel bleibt für mich Kempe unangefochtener Meister des Ungefähren, Sphärischen, Entrückten. Seine Gralsvision gerät einfach deutlich geheimnisvoller als Bychkovs Version, was allerdings nicht am Tempo liegen kann – beide trennen nur vernachlässigbare vier Sekunden. Übrigens können wir hier den Lohengrin mit der vollständigen Gralserzählung genießen, die Wagner seinerzeit noch vor der Uraufführung kürzte. Längen entstehen dadurch keine, nicht zuletzt, weil Botha mit Kraft, Stabilität und sicherer Höhe die Spannung halten kann.
Äußerlichkeiten: Der Druck des Booklets ist herrlich, das Papier griffig. Einzig den 180-Gramm-LPs hätte etwas weniger Trennmittel gut getan; eine gründliche Wäsche tut not. Die 5-LP-Box ist übrigens über den Thorens-Fachhandel oder -Vertrieb zu haben.