Looking for the English FIDELITY Magazine? Just click here!
Charles Pasi, copyright Hamza Djenat

Charles Pasi im Interview mit FIDELITY

„ICH BIN EIN ZEBRA“

Charles Pasi: „ICH BIN EIN ZEBRA“

Fotografie: Hamza Djenat

Charles Pasi ist der erste französische Sänger mit einem Vertrag beim legendären Plattenlabel Blue Note. Zur Veröffentlichung seines neues Albums Zebra erklärt der Musiker die Magie seines Lieblingsinstruments Mundharmonika, warum ihm Bob Dylan Schmerzen bereitet – und wie es ist, mit der First Lady von Frankreich zu reisen.

Charles Pasi, copyright Hamza Djenat

FIDELITY: Charles, ich muss mich bedanken bei Ihnen …

Charles Pasi: Ja? Warum denn?

Ihr neues Album heißt ja Zebra, daher habe ich gestern mal ins Tierlexikon geschaut und einiges gelernt. Zebras sind interessanter, als man denkt …

Ganz richtig! Was war denn neu für Sie?

Am besten finde ich, dass ihr zoologischer Name „Hippotigris“ lautet, also „Pferdetiger“.

Echt? Damit werde ich im nächsten Interview angeben (lacht). Das wusste ich nicht. Pferdetiger … Ich hatte während der Aufnahmen eine Dokumentation über Zebras gesehen. Faszinierende Tiere. Immer unterwegs, immer in Bewegung. Das Zebra ist nicht hip, kein Star in der Tierwelt. Es macht einfach sein Ding. Da dachte ich: Das bin ich! Ich bin ein Zebra. Immer on the road, auf der Suche, aber kein Star. Zebras sind ja schwer einzuordnen. Sind sie schwarz? Oder weiß? Das gefällt mir.

Charles Pasi, copyright Hamza Djenat

Eine Kollegin fragte mich: Was spielt der Pasi eigentlich, Jazz, Blues, Rock oder Soul?

Sehen Sie, ich bin Franzose mit Wurzeln in Italien. Meine Musik kommt aus Afrika, aus Amerika, aus Europa, da ist Blues, Soul und Jazz dabei … Ich spiele keinen klaren Stil. Und wissen Sie was? Zebra ist im Englischen ein Anagramm von „braze“. Das heißt „löten“ – Dinge verschmelzen, sodass sie zu etwas Neuem werden.

Sie sind der erste französische Sänger beim New Yorker Jazzlabel Blue Note. Zebra ist Ihr zweites Album dort. Das zweite gilt ja als tricky, besonders wenn das erste so gut ankam …

Vor dem Blue-Note-Deal hatte ich bereits drei andere Alben aufgenommen, die Rechnung geht also nicht auf. Sie haben aber schon recht. Beim ersten Album für Blue Note, bei Bricks, da war ich ganz schön nervös. Blue Note! Dann aber habe ich einfach mein Ding gemacht, und das hat zum Glück funktioniert.

Ich habe Bricks seinerzeit im Auto gehört. Es war eine von unzähligen Promotion-CDs, die man so zugeschickt bekommt. Keine Ahnung, wer Charles Pasi war … Während des zweiten Songs musste ich rechts ranfahren und nachschauen: Was höre ich denn da?

Vielen Dank. Die beiden ersten Songs auf Bricks bedeuten mir sehr viel. „From The City“ und „Shoot Somebody“ stehen ganz bewusst am Anfang der Platte. Es war eine sehr schwierige Zeit, als ich die Stücke schrieb, 2015, 2016. Es war die Zeit des Terrors, Paris, Nizza, Charlie Hebdo. Ich musste dringend etwas dazu sagen. Paris ist meine Heimat. Diese ersten Songs auf Bricks, die kamen aus der Tiefe meiner Seele. Es ist wirklich schön zu hören, dass andere, so wie Sie, das spüren.

Charles Pasi, copyright Hamza Djenat

Der Sound von Zebra ist ziemlich verschieden zu Bricks. Fast keine Gitarre, dafür Hammondorgel und Akkordeon …

Ja, Fred Dupont, ein alter Weggefährte, spielt eine Wahnsinns-Hammond. Ich wollte unbedingt diesen warmen, archaischen Sound. Die Hammond B3 hört man heute echt nicht mehr so oft, wie sie es verdient hätte. Dann kam das Akkordeon hinzu, und statt einer Snaredrum hatten wir eine afrikanische Holztrommel.

Ihr Instrument, die Mundharmonika, harmonisiert erstaunlich gut mit der Hammondorgel – eine selten gehörte Partnerschaft.

Nicht wahr? Wir haben ohne Proben und ohne Vorabdemos losgelegt. Das gab zwar Ärger mit der Plattenfirma; die wollen ja gerne etwas zu hören bekommen, bevor sie ein teures Studio buchen. Ich bin aber stur geblieben. Es war ein Risiko, und das wollte ich. Raus aus der Routine, weg von Bass-Gitarre-Schlagzeug.

Warum haben Sie sich eigentlich einst für die Mundharmonika entschieden?

Schicksal, denke ich. Ich war fünfzehn, saß im Bus und hörte Musik. „Mr. Tambourine Man“ von Bob Dylan. Der Song wird getragen von dieser simplen Mundharmonika-Passage. Das hat mich damals umgehauen. Ich bin raus aus dem Bus, rein ins Musikgeschäft und habe mir eine Mundharmonika gekauft. Heute übrigens kann ich „Mr. Tambourine Man“ nicht mehr hören, gerade wegen der Mundharmonika. Diese hohen, übersteuerten Noten schmerzen in den Ohren.

Charles Pasi, copyright Hamza Djenat

Bob Dylan tut weh?

Bob Dylan ist kein begnadeter Mundharmonikaspieler. Er ist ein großer Künstler und Songschreiber, verstehen Sie mich nicht falsch. Mein Vater hatte diese alte Vinylplatte von Pat Garrett & Billy The Kid. Ich konnte gerade mal krabbeln und bin mit „Knockin’ On Heaven’s Door“ im Ohr aufgewachsen.

Was hat Sie als Fünfzehnjähriger an der Mundharmonika fasziniert?

Sie ist klein und unscheinbar. Halb Spielzeug, halb Instrument. Vermutlich hatte jeder in Kindertagen mal eine Mundharmonika. Wussten Sie, dass die Mundharmonika das meistverkaufte Instrument der Welt ist? Die meisten aber landen in einer Schublade. Dabei ist die Mundharmonika so vielseitig. Magisch. Wenn ich bei Konzerten ein Solo spiele, verändert sich etwas im Publikum. Mancher scheint sich an seine Kindertage zu erinnern. Mit fünfzehn war ich selbst eher ein Außenseiter. Die Lehrer hielten nicht viel von mir. Am Ende der Schulzeit wurde ich gefragt, was ich mal werden wolle. ‚Mundharmonikaspieler‘, sagte ich. ‚Charles, die Frage war ernst gemeint.‘ ‚Ja‘, sagte ich, ‚ich weiß.‘ Da haben sie gelacht.

Haben Sie sich das Spielen selbst beigebracht?

Nein, zuerst besuchte ich einen Kurs an der Volkshochschule. Da saßen wir aber im Dutzend im Kreis und spielten reihum. Man musste immer eine Viertelstunde warten, bis man wieder dran war. Ich habe dann mit Büchern und CDs weitergeübt. Mundharmonikaspielen ist viel, viel mehr als nur Luft hineinzublasen oder einzusaugen. Über ein Loch kann man auf der Mundharmonika fünf Noten spielen! Erst mit dieser Technik lässt sich ihr der bluesige Sound entlocken.

Haben Sie Bob Dylan eigentlich mal getroffen?

Nein, nein. Aber einen anderen meiner Helden, Neil Young. Für ihn habe ich als Vorband spielen dürfen. Er selbst wollte mich haben. Irgendwie hatte er wohl mal eine CD von mir gehört. Er hat zu meinem Tourmanager gesagt: Der Typ erinnert mich an mich selbst, als ich jung war. Neil stand beim Soundcheck im Hintergrund und hat zugeschaut.

Charles Pasi, copyright Hamza Djenat

Haben Sie mit Neil Young Mundharmonika-Tricks ausgetauscht?

Nein. Sein Spitzname ist ja „The Loner“, „der Einsame“. Er geht auf die Bühne, dann zurück in seinen Bus. Er wirkt, als habe er schon einiges erlebt und brauchte seine Ruhe. Er hat sich bedankt, dass ich dabei bin, ich habe mich bedankt, dass ich dabei sein durfte, das war’s.

Sie haben früher mit Carla Bruni gespielt. Wie kam das? Sie waren ja erst Anfang zwanzig, und Madame Bruni wurde die First Lady von Frankreich.

Carlas Schwester ist Filmregisseurin, und ich war an einem ihrer Soundtracks beteiligt. Es ging um eine Version von „I Will Survive“, zehn Minuten lang, nur Mundharmonika, Gitarre und Gesang. Später rief mich Carla Bruni an. Sie wollte mich auf ihrem nächsten Album dabeihaben, mitsamt meiner Band. So sind wir dann auch auf Tour gegangen.

Wie haben Sie die Zeit erlebt, als Brunis Beziehung zum französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy bekannt wurde?

Zunächst einmal wurde eine Tour gecancelt, wenige Tage vorm Start. Die Franzosen sind eher konservativ, was die Aktivitäten ihrer First Lady anbelangt. Ein neues Album kam noch heraus. Dafür haben wir etwas Promotion gemacht, in Italien vor allem. Wir flogen nach Mailand zu einer TV-Show. Die Security wollte meine Mundharmonikas einkassieren. Carla ging dazwischen. ‚Lassen Sie den Jungen in Ruhe.‘ ‚Aber Madame, wir müssen …‘ ‚Nein, der gehört zu mir. Lassen Sie ihn durch!‘ Es waren überall Leibwächter, jeder Meter wurde vom Geheimdienst gecheckt.

Charles Pasi, copyright Hamza Djenat

Zurück zu Zebra: Wer sind Mike und Richie? Denen haben Sie einen Song gewidmet.

Gute Frage. Ja, „Mike & Richie“ – das sind Mike Stern und Richie Morales. Mike Stern, der Fusion-Jazz-Gitarrist, der noch mit Miles Davis gespielt hat. Ich war in New York, und es war irgendwie nicht mehr so wie früher. Sehr laut und sehr stressig und irgendwie billig. Das machte mich traurig. Ich landete dann in der 55 Bar im Village. Die ist winzig. Und da spielte Mike Stern mit Richie Morales an den Drums! Es gab keine Bühne. Wenn jemand aufs Klo wollte, musste Mike zur Seite treten! 27 Gäste, ich habe gezählt. Ein unvergesslicher Abend.

Sie selbst haben jetzt seit einem Jahr keine Konzerte mehr spielen können.

Ja. Das geht an die Substanz, emotional und finanziell. Ich werde aber nie ein Konzert aus meiner Küche streamen. Für mich ist das der Tod der Musik. Sogar die Rolling Stones haben eine Wohnzimmer-Session gemacht. Wie schlecht war das denn?! Will ich das sehen? Und im Hintergrund saugt die Putzfrau Staub? Da geht die Magie verloren, vom erbärmlichen Sound einmal ganz abgesehen. Das hat auch etwas mit Respekt vor der Kunst zu tun. Da denke ich lieber an die gute alte Zeit. An Abende wie mit Mike und Richie.

Charles Pasi, ZEBRA auf Blue Note
Charles Pasi, ZEBRA, Blue Note 2020

Charles Pasi ZEBRA auf JPC

Info
Charles Pasi war erst Anfang zwanzig, als er in der Band von Carla Bruni mit seinem wilden Mundharmonikaspiel für Aufsehen sorgte. Als Madame Bruni an der Seite von Nicolas Sarkozy zur First Lady von Frankreich aufstieg, startete Pasi seine Solokarriere. Mittlerweile hat er fünf Alben veröffentlicht, die letzten beiden als erster französischer Sänger beim berühmten New Yorker Plattenlabel Blue Note, wo schon Miles Davis, John Coltrane und zuletzt Van Morrison und Norah Jones unter Vertrag standen. Sein aktuelles Album heißt Zebra, eine Mischung aus Blues-, Soul-, Jazz- und Popelementen. Pasi, 37, ist Franko-Italiener und lebt in Paris.

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.