Buchprüfung: Alec Wilder – American Popular Song
Was Goethe und Beethoven für die deutsche Kultur waren, ist für die amerikanische das American Songbook. Damit meint man die populären US-Songs aus der Zeit vor dem Rock ’n’ Roll – geschrieben meist für Bühnenshows des Broadway oder Filmmusicals in Hollywood. Alec Wilder schätzt, dass zwischen 1900 und 1950 in den USA rund 300 000 solcher Popsongs entstanden sind – immerhin 17 000 davon hat er für sein Buch gesichtet. Diese erstaunliche Blüte des anspruchsvollen Songs verdankte sich der Anregung durch das Jazz Age. Den Jazzmusikern wiederum liefert das American Songbook bis heute die „Standards“. Alec Wilder (1907–1980) hat selbst zahlreiche Songs komponiert, daneben auch Opern, Kammer- und Filmmusiken. In seinem Buch von 1972 stellt er auf über 500 Seiten aber die Songs von berühmten Kollegen vor, darunter Jerome Kern, Irving Berlin, George Gershwin, Richard Rodgers, Cole Porter und Harold Arlen. Das Buch enthält reichlich Notenbeispiele, mehr als 3500 Takte – eine erstaunliche editorische Leistung angesichts des strengen Regimes amerikanischer Musikverleger. Wilder analysiert Harmoniefolgen, rhythmische Figuren und melodische Wendungen, aber er tut es nicht systematisch, sondern ganz subjektiv. Er erklärt auch, warum ihm mancher berühmte Song weniger gefällt als mancher unbekannte, und erzählt über die Komponisten und ihre Werke viel Wissenswertes. Eine unschätzbare Fundgrube zum lebenslangen Nachschlagen, Schmökern und Dazulernen.