Bowers & Wilkins 702 S2 – Die Rückkehr der wohligen Gänsehaut
Bereit für Herzklopfen, Déjà-vus und ganz große Emotionen? Dann Vorhang auf für die Bowers & Wilkins 702 S2!
Fotografie: Ingo Schulz
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Ich bin begeistert. Und würde ich als braver Rezensentenknecht ein „wider Willen“ anfügen, dann wäre es gelogen. Denn auf diesen Test habe ich mich echt gefreut. Weil ich seit Studentenzeiten ein Faible für britische Lautsprecher im Allgemeinen und Boxen von B&W im Besonderen habe. Und diese Liebe im Gegensatz zu manch anderer auch nie wirklich enttäuscht wurde. Nur dass die wirklich begehrenswerten Schätzchen im B&W-Portfolio, etwa die stellare Nautilus (die seinerzeit wirklich wie eine riesige Muschel aussah und deshalb unendlich faszinierend war), so weit jenseits der Reichweite eines Studenten oder Jungredakteurs-Einkommens angesiedelt waren, dass man nicht einmal von ihnen zu träumen wagte.
Immerhin leistete ich mir damals, in den frühen 1990er Jahren, ein Paar preiswerte Regalboxen mit dem magischen B&W-Logo auf der Frontbespannung. Lautsprecher, die ich bis heute besitze, während viele andere Schallwandler und Elektronik-Komponenten in den Jahrzehnten danach kamen und gingen. Die B&Ws überstanden alle „Aufräumaktionen“, weil sie dezidierte Arbeitstiere sind, die auch noch nach über 25 Jahren und drei Umzügen klaglos ihren Dienst verrichten.
Die in der 800er-Königsklasse der Briten verortete Nautilus-Technologie erfordert freilich immer noch ein vergleichsweise gut gefülltes Konto. In diesseitigeren Finanzregionen residierte bei B&W bis vor kurzem die CM-Serie: Eine gelungene Definition von „oberer Mittelklasse“, die mehr in Richtung Daimler denn BMW tendierte, gediegen, nobel, auf den arrivierten Klassik- und Jazzhörer zielend, mit einer Menge innovativer Technologie in den edel verarbeiteten Gehäusen, aber nicht notwendigerweise groovy, jazzy, funky, sondern eher sophisticated, mit guten Manieren.
Als B&W ankündigte, dass die CM-Linie Geschichte sei und von einer neuen, deutlich verbesserten „Serie 700“ abgelöst werden solle, wurden wohl alle Kenner der Marke hellhörig. Waren die alten 700er doch einst mehr als eine Discount-Nautilus für all jene, die nicht Haus und Hof verpfänden wollten, aber dennoch eine Superbox ihr Eigen nennen wollten. Eine Philosophie des behutsamen Sparens, die bei den neuen 700er-Modellen – von der hier getesteten 702 als Flaggschiff bis zur winzigen 707 – wieder ganz deutlich spürbar wird. Die aktuellen 700er, denen man zur Unterscheidung in der Typenbezeichnung ein dezentes „S2“ hinzugefügt hat, sind Musterbeispiele für cleveres Downsizing. Wurden sie doch vom Entwicklerteam mit dem selbstverständlich im eigenen Hause entworfenen „Continuum“-Mitteltöner ausgerüstet, der bis dato den 800ern vorbehalten war. Und der fällt auch optisch sofort ins Auge: Er kommt nicht mehr im leuchtenden Kevlar-Gelb daher, an das man sich bei B&W im Laufe der Jahrzehnte gewöhnt hatte, sondern in seidenmattem Silber.
Der Hersteller verspricht sich und seinen Kunden vom neuen Material deutlich gesteigerten Detailreichtum im Vergleich zu den Vorgängermodellen. Was ich im Hörtest auch sofort bestätigen konnte, ohne mich langwierig in die 702 S2 einhören zu müssen: Ich erlebte wohlbekannte Scheiben gleichsam neu, ein Gefühl zwischen Verblüffung und wohliger Euphorie, das im Lauf der Jahre vergleichsweise wenige Schallwandler bei mir auszulösen in der Lage waren. Weil jene, bei denen die Auflösung auf die Spitze getrieben wurde, erfahrungsgemäß andere Dinge oft so falsch machten, dass ihr Klang auf Dauer einfach nur nervte. Weil er auf einen bestimmten Effekt getrimmt wurde, der sich irgendwann abnutzte.
Mit solchen „Showboxen“ haben die B&W 702 S2 nicht das Geringste gemeinsam, sie geben sich bei der ersten Begegnung im FIDELITY-Hörraum eher zurückhaltend, unspektakulär und angenehm natürlich. Und das, obwohl ich sie sofort mit schwerer, für manchen Lautsprecher sogar tödlicher Kost malträtiere: Die Reiner-Version der Pini di Roma aus der Feder Ottorino Respighis muss es sein, aber bitte in der 2014 herausgekommenen SACD-Fassung von Analogue Productions (über Sieveking Sound), die der älteren Sony-SACD-Ausgabe der legendären Living-Stereo-Vorzeigeplatte nicht den Hauch einer Chance lässt.
Die Klangmassen, die sich bei den wuchtigen Orchestertutti in den „Pinien an der Via Appia“ (vierter Satz) zusammenballen, schicken kleinere Lautsprecher bei einem unbedachten Dreh am Lautstärkeregler ins Jenseits; aus vielen größeren Schallwandlern quillt ab einem gewissen Pegel ein mehr oder weniger gesättigter Brei, der zwar oft gut laut, aber selten schön und schon gar nicht transparent über die Rampe kommt.
Die B&W 702 S2 stößt im Vergleich das Tor zu einer anderen Welt ganz weit auf, lässt selbst bei Dezibelwerten, die auch zum Fönen nasser Hosenbeine taugen würden, noch ganz tief in den Konzertsaal blicken, behält Überblick und Contenance. Und macht sich selber so unsichtbar, wie es nur die Besten der Besten beherrschen. Ich sitze plötzlich nicht mehr vor einer Stereoanlage, sondern in der dritten oder vierten Sitzreihe vor dem Chicago Symphony Orchestra, das mit einem wahren Pultgenie eine der intelligentesten Respighi-Deutungen des 20. Jahrhunderts realisiert.
Schon in dieser frühen Hörphase wird klar, dass ich hier eine jener Schallwandler-Schöpfungen vor mir habe, an die man sich, sofern man sie nicht erwirbt, um sie zu besitzen, noch Jahre später mit einem versonnenen Lächeln erinnert, weil ihr Auftritt von überzeitlicher Präsenz und Qualität geprägt wurde.
Abrupter Genrewechsel: Ich lasse den Texas-Blueser Eric Sardinas eine Runde rocken. Die B&W beamt diese unverwechselbar raspelraue Stimme auf einem Energieniveau in den Raum, dass man zusammenzuckt und dem Sänger mit dem Schlangenhut, der im Konzert gerne wie Jimi selig seine Gitarre abfackelt und seine lichtschnellen Finger über sie Saiten sausen lässt, bis auch die Luft brennt, locker abnimmt, dass er sogar den Teufel vor sich hertreibt.
Diesen Ausnahmelautsprecher kann man auch mit dem durchdringenden männlichen Alt von Countertenor Valer Sabadus (einer der Shootingstars der Alte-Musik-Szene) nicht aus der Ruhe bringen: Die B&W modelliert die androgynen hohen Lagen wie ein begabter Bildhauer ein griechisches Marmor-Standbild – entschieden, umrissscharf und dennoch lebendig. Ohne schamhaft zu verschweigen, dass einer der Mikrofonverstärker einen leichten Brumm erzeugte, der bei der Produktion der Recital-CD Le belle immagini offenbar niemandem (oder zu spät) auffiel. Die 702 reproduziert auch dieses Störgeräusch, rückt es aber nicht in den Vordergrund.
Nachdem Grundsätzliches geklärt ist, beispielsweise dass dank ausgefeilter Maßnahmen zur Resonanzverhinderung in den Basstreibern der Tieftonbereich ungemein sauber, konturiert und druckvoll ausmodelliert wirkt, kann ich mir endlich ein paar Scheiben gönnen, die mich zum Teil seit dem Kauf meines ersten CD-Players 1985 begleiten. Den Anfang macht Madeleine Peyroux’ 2004er Album Careless Love. Die amerikanische Jazz- und Blues-Chansonette mit der manchmal herzzerreißend melancholischen Billie-Holiday-Stimme war dreißig, als sie diesen Reigen gelungener Coverversionen einspielte. Die CD-Ausgabe von Rounder/Universal krankt gleichwohl an einer Produktion, die es streckenweise zu gut meinte und etwa im Tieftonbereich auf Gettoblaster-Tauglichkeit abhob …
Mit der B&W 702 S2, die im FIDELITY-Hörraum primär vom ebenso feinsinnigen wie leistungsstarken Vollverstärker Hegel H360 befeuert wurde, werden die Mischpulttricks durchaus hörbar, aber die stets homogen und tonal bestens balanciert agierende Box macht selbst das gnadenlos Überzogene gut goutierbar. Was auch damit zu tun hat, dass dieser Lautsprecher die Stimme der Sängerin so dreidimensional wie ein sehr guter HD-Projektor in den Raum stellt.
Jetzt ist meine Lieblingsplatte fällig, bei der ich auch mal laut mitsinge und mit der ich im Überschwang der Gefühle auch schon manchen Lautsprecher gekillt habe: Paul Simons musikalischer Südafrika-Trip Graceland. Damals, 1985, war das die dritte oder vierte Silberscheibe, die ich für unanständig teure 29 Mark kaufte – und die mich nie wieder losließ. Dass diese Produktion nicht nur künstlerisch ein Hammer ist, dass ihr auch klanglich nur wenige Tonträger das Wasser reichen können, wurde mir erst klar, als meine Wiedergabeelektronik hochwertiger wurde und Graceland dennoch ungebrochen mitreißend aus den Lautsprechern kam. Mit der B&W 702 S2 ist sie wieder da, die Gänsehaut von einst, das Zucken in den Beinen, das ein erklärter Nichttänzer wie ich spätestens bei „You Can Call Me Al“ nicht mehr bekämpfen kann. Dann hüpfe ich wie ein losgelassener Irrer durch den Hörraum und werde von den Kollegen mit höchst verwunderten Blicken bedacht. Muss ich betonen, dass auch diese Reaktion beileibe nicht von jedem Feld-Wald-und-Wiesen-Schallwandler bei mir provoziert wird?
Um wieder auf den Boden zu kommen, kehre ich zur Klassik zurück und lege Bertrand de Billys hochgelobte Deutung von Ludwig van Beethovens Dritter Sinfonie auf – und es bläst mich schon wieder von der Couch. Denn diese SACD entwickelt über die B&W so viel Punch und Drive, dass der (zugegeben sehr vehement genommene) Kopfsatz zum Mitwipp- und Mitschnipp-Stück mutiert.
Zum Abschluss gibt es noch eine Weltmusik-Praline aus der Sammlung des Chefredakteurs: Mediterranées des Basszauberers Renaud Garcia-Fons (enja). Seidiger und knackiger können sonnendurchglühte Wohlfühlklänge wohl kaum auf einen Tonträger gebannt werden – mithin der passende Stoff für eine Emotionsbox wie die B&W 702 S2. Die spielt deutlich über ihrer Preisklasse und setzt sich wirklich lässig von ihrem Vorgängermodell in Richtung 800er-Serie ab. Dass jene manches dann doch noch ein bisschen besser kann, geht preisbereinigt voll in Ordnung und soll auch so sein. Nur eines gilt es zu beachten: Die B&W 702 S2 honoriert es, wenn man sie mit möglichst hochwertiger Elektronik verbandelt. Die verwendeten Verstärker sollten Kraft und Kontrolle verbinden, die Quellen möglichst hochauflösend sein. Andernfalls könnte es sein, dass die 702 unter ihren Möglichkeiten spielt. Und das hat sie nicht verdient. Sie wollen doch auch Herzklopfen, Déjà-vus und ganz große Emotionen, oder?
Lautsprecher
Bowers & Wilkins 702 S2
Funktionsprinzip: 3-Wege-Standlautsprecher, Bassreflex
Nomineller Wirkungsgrad: 90 dB/W/m
Nennimpedanz: 8 Ω (Minimum 3,1 Ω)
Bestückung: 3 x 16,5-cm-Tieftöner mit Sandwich-Aerofoil-Membran, 15-cm-Mitteltöner mit „Continuum-FST“-Membran, 2,5-cm-Kalottenhochtöner mit Carbon-Dome
Besonderheiten: Hochtöner im massiven, entkoppelten Aluminiumgehäuse („Tweeter on top“), entkoppelter Mitteltöner, Bi-Wiring-Terminal; verschraubbare Gummifüße, Spikes und Bassreflex-Stopfen im Lieferumfang
Ausführungen: Hochglanzschwarz, Satinweiß, Nussbaum rot
Größe (B/H/T) inklusive Bodenplatte: 37/109/37 cm
Gewicht: 30 kg
Garantiezeit: 10 Jahre (bei Registrierung)
Paarpreis: 4000 €
Mitspieler:
Plattenspieler: Audio Note TT-2, Clearaudio Innovation Compact, TechDAS AirForce III
Tonarme: Audio Note Arm 2, Clearaudio Magnify, Einstein The Tonearm
Tonabnehmer: Audio Note IQ3, Clearaudio Maestro V2, Einstein The Pick-up
Phonoentzerrer: Clearaudio SmartPhono, Einstein The Turntable’s Choice
Digitalplayer: Accuphase DP-560, Gato Audio CDD-1, Marantz SA15
DAC: PS Audio Stellar Gain Cell DAC, T+A DAC8 DSD
Vollverstärker: Accuphase E-270, Cayin CS 100A, Hegel H360
Vorverstärker: Gato Audio PRD-3S, Marantz SC22, Musical Fidelity M1 HPAP, PS Audio Stellar DAC
Endverstärker: Gato Audio PWR-222 (Monos), Marantz MA23 (Monos), Musical Fidelity M8-500s, PS Audio Stellar S300, T+A AMP8
Stromversorgung: AudioQuest Niagara 1000, IsoTek Aquarius Evo3
Kabel: AudioQuest, Audio Note, HMS, IsoTek, Vovox
Racks, Zubehör: Harmonix, SolidSteel, Subbase Audio