Weil wir es können …
Zu Besuch bei Børresen, Aavik und Ansuz: Nach langem Warten fand sich endlich die Gelegenheit, einen Blick hinter die erweiterten Kulissen der Audio Group Denmark zu werfen. Lassen Sie uns über Resonanzen und Materialien sprechen.
Eifrige Leser werden sich wundern: Vor knapp drei Jahren haben wir bereits einen ausführlichen Bericht aus den heiligen Hallen der Schwestermarken Børresen, Aavik und Ansuz veröffentlicht. Doch keine Sorge, die Wiederholungen und Redundanzen halten sich in Grenzen. Was wir bei unserem neuerlichen Besuch entdeckten, war ein Unternehmen im Umbruch. Sowohl die inneren Strukturen der Audio Group Denmark (AGD) wie auch ihre Produktionstiefe und die Entwicklungsziele werden aktuell gehörig umgekrempelt und erweitert.
Michael Børresen und das liebe Material …
Fangen wir am besten ganz vorn an und sprechen ĂĽber den Rahmen beziehungsweise ĂĽber jene Aspekte, die das dänische Unternehmen so einzigartig machen. Hinter den Produkten aller drei Marken steht der Name des MitgrĂĽnders und Chefentwicklers Michael Børresen. Der umtriebige Forscher wird nicht mĂĽde, immer neue Konzepte fĂĽr seine Lautsprecher, Elektroniken und Zubehör-Artikel zu ersinnen. Neben pfiffigen Schaltungen wie den spiraligen Tesla-Wicklungen fĂĽr mehr Informationen profitiert das Unternehmen von Børresens Kenntnis ĂĽber Materialien und Resonanzen. Beim Test des Netzverteilers Mainz8 A2 hatten wir bereits die These aufgestellt, Børresen “komponiere” seine Komponenten regelrecht, indem er die Resonanzen ausgewählter Materialien zielstrebig zusammenfĂĽgt.
Dieser Eindruck bestätigte sich bei unserem jĂĽngsten Besuch. Wir erhielten einen Einblick, wie sich unterschiedliche Materialien in der Praxis auswirken können: Im groĂźen Hörraum des Firmensitzes (einer von mittlerweile vier) drĂĽckte uns Mitinhaber und Verkaufsleiter Lars Kristensen einige Metallstangen in die Hand. „Klopft mal dagegen“, forderte er uns auf. Nicht nur Gewicht und Haptik, sondern auch der “Sound” der Stäbe unterschieden sich merklich. Mal tönte ihr “Pling” hell und crisp, dann gedämpft und beinahe holzig warm. Auf dem Vollverstärker der vorfĂĽhrbereiten Kette (dazu später mehr) standen zwei kleine Sockel mit Aussparungen, in die Kristensen die Stäbe nacheinander legte.
Musikalische Atome
Wir lauschten einer Auswahl ruhiger Songs, die nahezu ausnahmslos aus Stimmen in Gitarrenbegleitung bestanden – eine Selektion hervorragend produzierter Singer/Songwriter-Kost. Als Kristensen den ersten Stab auf den Verstärker legte, tönte die tadellos aufspielende Kette augenblicklich um eine spürbare Note präsenter, gelöster und räumlich definierter. Der zweite Stab verstärkte diesen Eindruck um eine subtile, wenngleich unüberhörbare Nuance. Beim dritten Material glaubten wir für einen Augenblick, unsere Ohren spielten uns einen Streich: Diesmal wirkte die Wiedergabe um so viel plastischer, filigraner und nahbarer, als hätte Kristensen – ich entschuldige mich vorab für die strapazierte Metapher – einen Vorhang zur Seite gezogen.
Bei den ersten Stäbchen handelte es sich um Titan unterschiedlicher Verarbeitungsstufen. Im Jargon des Herstellers werden die Varianten T2 und T2s genannt, beide Stangen sind als “Rezonator” im Ansuz-Portfolio erhältlich. Material Nummer drei bestand aus Zirkonium, einem vergleichsweise leichten “Ăśbergangsmetall”, das Sie als Element Nummer 40 im Periodensystem finden. Bislang kommt das Material in der kompakten Børresen M1, beim Aavik I-880 und bei den limitierten GerätefĂĽĂźen Darkz Z2s („Z“ fĂĽr Zirkonium) von Ansuz zum Einsatz. Bei Letzteren ist es mit dämpfenden Kugeln aus Wolfram kombiniert. Wie Kristensen uns verriet, werden wir in Zukunft aber noch mehr von Zirkonium sehen und hören …
Mehr als verdoppelt
Es folgte eine ausgedehnte Runde durchs Firmengebäude. Vor drei Jahren war die schnell erledigt: Neben einem BĂĽro gab es genau einen Fertigungsraum sowie ein Mess- und Entwicklungslabor. Hinzu kamen ein winziges Lager zum Verpacken und Versenden sowie zwei kleinere Hörräume. Schon damals steckten uns die Dänen, dass sie auch den ĂĽbrigen Teil des Gewerbebaus ĂĽbernommen hätten. Der Ausbau dauere aber noch eine Weile. Vermutlich liefen schon damals Verhandlungen mit Vækst-Invest. Der Investor stieg im April vergangenen Jahres bei allen drei Marken ein und formte das neue Unternehmen Audio Group Denmark (Link zum Artikel …).
Kristensen fĂĽhrte uns immer tiefer ins erweiterte Gebäude. Das Labyrinth aus TĂĽren und Fluren ist fĂĽr Besucher ziemlich verwirrend und lässt alles noch größer scheinen, als es ohnehin ist: Die Grundfläche hat sich mehr als verdoppelt und wir sehen unter anderem eine neue Aufreihung von BĂĽros, in denen Marketing, Vertrieb sowie Produktdesigner untergebracht sind. Zu den “neuen Mitarbeitern” zählt ĂĽbrigens auch Flemming Rasmussen, den wir leider nicht persönlich antreffen.
Der einstige Gryphon-Chef nimmt die Rolle eines “Designberaters” ein und konnte bereits einen Fingerprint bei Aavik hinterlassen: Nur wenige Schritte von seinem BĂĽro entfernt warten in der neuen Montagehalle etliche Aavik I-880 Vollverstärker auf ihre Vollendung. Das Flaggschiff der Audio Group Denmark setzt in vielerlei Hinsicht MaĂźstäbe. Sein wuchtiger, mit 60 Zentimetern deutlich ĂĽberbreiter Korpus besitzt riesige KĂĽhlkörper, die tatsächlich entfernt an Gryphon erinnern.
Damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Das Schaltungsdesign im Inneren stammt vollständig aus der Feder von Michael Børresen. Der hat seine jüngste Kreation kompromisslos auf Musikalität, Durchsichtigkeit und Detailversessenheit gezüchtet. Davon konnten wir uns vorher bereits überzeugen, denn der Verstärker, auf dessen Gehäuse wir die Materialproben platziert hatten, war ebenfalls ein I-880.
Das neue Verstärker-Flaggschiff
Alle Features und Informationen zum neuen Flaggschiff der Dänen finden Sie in diesem Artikel. Mehr noch als die reine Leistungsshow betörte uns in der Produktion allerdings die Aufgeräumtheit und Finesse, die Aavik nicht nur in seine Gehäuseverarbeitung steckt. Im inneren wirkt der Bolide wie ein Statement für sauberes Ingenieurshandwerk: Dank getrennter Platinen und Funktionsgruppen kann man die Signalwege klar nachvollziehen. Als Verbinder zwischen den Sektionen dienen nicht etwa Flachkabel, sondern (für eine Innenverkabelung) erstaunlich kräftige Strippen, die allesamt mit vergoldeten Schraubverschlüssen ausgestattet werden und fest auf ihren Platinen verankert werden.
Das Gehäuse selbst besteht aus einer dicken Kupferwanne, im Inneren entdecken wir unzählige der handgedrehten kleinen Tesla-Spulen, die die Audio Group in nahezu allen Produkten verbaut. Mehr über den Sinn dieser kleinen Spiralen erfahren Sie in der oben verlinkten Reportage von 2020. Ausgeliefert wird der Verstärker Koloss übrigens – Sie ahnen es vielleicht – mit einem Satz Zirkonium-Darkz.
Gesteigerte Fertigungstiefe
Direkt hinter den Rollwagen mit den 880ern gelangen wir in einen vergleichsweise rohen Teil des Gebäudes. Hier finden tendenziell „gröbere“ Arbeitsschritte wie das Polieren der Lautsprechergehäuse statt. Auf einem groĂźen Tisch entdecken wir eine Sammlung auĂźergewöhnlicher, wie organische „Exoskelette“ wirkende Treiber-Bauteile, die gerade mit ihren Körben verheiratet werden. Bei der filigranen Struktur handele es sich ebenfalls um Zirkonium, das in einem mehrtägigen Prozess via 3D-Drucker in Form gebracht werde. Die so veredelten Treiber kommen in den ultimativen Top-Boxen des Børresen-Sortiments (M1) zum Einsatz, erklärt uns Kristensen. Wie man auf etwas derart Abgedrehtes komme, möchten wir wissen. „Weil wir es können“, lautet die Antwort … und damit ist eigentlich alles gesagt.
In den Räumen, die von der großen Werkshalle abzweigen, haben die Dänen neue Fertigungsmöglichkeiten etabliert. Raum Nummer Eins ist ein entscheidender Teil der Treiberproduktion: In der kleinen Gießerei stellen die Dänen nahezu alle Teile her, die sie zum Einfassen und Montieren ihrer superstarken, eisenfreien Neodym-Magneten benötigen. Lediglich die Magneten selbst werden zugeliefert. Wir dürfen einige davon in die Hand nehmen und gegen eines der Metallregale des angrenzenden Lagers „flitschen“. Eine echte Mutprobe, wie sich herausstellt – die starken Antriebe haben eine derartige Wucht, dass man sein gesamtes Körpergewicht benötigt, um sie wieder loszukriegen.
Eigene Membranen
In einem weiteren Raum werden die Lautsprechermembranen hergestellt: Zwei Carbonfolien, beidseitig auf eine Wabenstruktur aufgebracht und anschließend unter hohem Druck verbacken. Das Ergebnis sind steinharte, zugleich aber federleichte Scheiben, die schon beim Dagegenschnippen wunderbar organisch tönen. Aus welchem Material das sechseckige Waben-Layer besteht, erfahren wir hingegen nicht. Einige ihrer Geheimnisse wollen die Dänen für sich behalten.
Schließlich kommen wir ins kleinste der Separees: In der Kammer steht eine Art Kühlschrank, in dem die Kryogenbehandlung verschiedener Bauteile erfolgt. Namentlich ausgewiesen ist das nur bei den „Cryo“-Varianten der Børresen-Lautsprecher, deren Treiber kältebehandelt sind. Es werden aber auch verschiedene Teile der Frequenzweichen sowie Komponenten der Aavik-Elektroniken tiefgefroren, wie wir erfahren. Aber auch hier hält sich Kristensen aus gutem Grund mit den Einzelheiten zurück.
Bar? Na klar!
Nach einem kurzen Zwischenstopp im hauseigenen Irish-Pub sitzen wir wieder im groĂźen Hörraum und können uns einen weiteren Eindruck von den Fähigkeiten der Børresen M1 verschaffen. Die Kompakte wurde Mitte des Jahres vorgestellt und vereint so ziemlich alle Konzepte und Kniffe, die wir im Laufe unseres Rundgangs kennengelernt haben. Viele der Fertigungsschritte wurden eigens fĂĽr die M1 ins Haus geholt – wenngleich sie nicht exklusiv fĂĽr sie genutzt werden. Die kostbare Box spielt am I-880 geradezu verboten musikalisch und zeichnet eine extrem plastische BĂĽhne in den Hörraum. Was uns am meisten betört, ist jedoch ihre enorme Bandbreite: Mit geschlossenen Augen wĂĽrde man nie im Leben auf einen derart kompakten Lautsprecher kommen.
Zu unserer Verblüffung gilt der neuerliche Hördurchlauf aber nicht den exklusiven Boliden der Dänen. Kurz nachdem wir I-880 und M1 „zum Einnorden“ gelauscht haben, bringen Kristensen und das Aavik-Entwicklerteam einen ziemlich gebastelt wirkenden kleinen Lautsprecher in Position. Einer der Audio-Ingenieure platziert derweil ein Holzbrett mit verschiedenen Baugruppen und dem improvisierten „Dot-Matrix-Display“ der 180er-, 280er- und 580er-Baureihe in Position. „Unser erster Receiver“, erklärt uns der Verkaufsleiter. Das Gerät soll alles in einem vereinen: Streamer, DAC, Vorverstärker sowie Endstufen. Die kompakten Boxen mit ihrer aufgesetzten Holzfront sind Prototypen, die das untere Ende der bereits angekündigten X-Serie darstellen.
Ab nach unten
Als Kristensen die Play-Taste drückt sind wir erstaunt. Das Prototypen-Ensemble legt eine ähnliche Spielfreude an den Tag wie die zuvor gehörten Top-Modelle. Die Bandbreite der Lautsprecher könnte freilich schon eher den Einsatz eines Subwoofers rechtfertigen. Auch die Elektronik dürfte den direkten Vergleich mit ihren größeren Geschwistern verlieren. Und doch erkennen wir, dass es sich um Ableitungen handelt, die den Charme und Charakter ihrer Vorbilder transportieren.
Damit sind wir mitten in einem Gespräch ĂĽber die “things to come“. Die neuen Modelle – Elektronik wie Lautsprecher – sollen im bezahlbaren Rahmen liegen. „Um die 5000 Euro fĂĽr den Receiver und wahrscheinlich weniger fĂĽr die Boxen“, wie uns Kristensen verrät. Da es sich um Prototypen handele, denen noch eine Menge Logos und Zertifikate fehlen, und weil die Rohstoffsituation nach wie vor angespannt sei, könne man die Preise freilich noch nicht festzurren. Die endgĂĽltigen Antworten sollen auf der kommenden HIGH END in MĂĽnchen folgen, wo bereits VorfĂĽhrkapazitäten fĂĽr die “GĂĽnstigen” gebucht seien.
Verdoppelte Kapazität
Natürlich lasse sich der neue Lautsprecher nicht mit demselben Aufwand an Handarbeit realisieren, weshalb er hier erstmals auf zugelieferte Treiber zurückgreifen werde, erklärt und Michael Børresen nach Abschluss der Hörsession. Das erkläre auch die Prüfung potenziell geeigneter Zulieferer. Die Experimente mit Gitarrenlautsprechern zeigen derweil erneut, dass der Blick über den Tellerrand für den dänischen Entwickler selbstverständlich ist.
Der Receiver, den wir aufgrund seines “gebastelten” Aussehens noch nicht zeigen dĂĽrfen, stellt den Auftakt zu einer ganzen Elektronik-Familie dar, die ähnlich gĂĽnstig ausfallen soll. Auch der I-880 soll am anderen Ende der Preisspanne ĂĽbrigens kein EinzelstĂĽck bleiben. Auch er wird mit einer ganzen 880er-Familie umkränzt.
Außerdem verriet uns Michael Børresen, dass er momentan mit Herzblut an einem Liebhaber-Projekt werkelt: Er zeigte uns Skizzen eines Retro-Lautsprechers, der nicht nur (leider auch noch geheim) umwerfend aussieht, sondern auch technisch neue Wege beschreitet. Um den Lautsprecher auch klanglich auf Kurs zu bringen, prüft er aktuell Vintage-Gitarrenlautsprecher, wovon wir uns in einem kleinen Messlabor persönlich überzeugen können. Das beweist abermals, dass es für den genialen Entwickler keine Grenzen zu geben scheint.
Die Kapazitäten für die deutlich ausgebaute Modellpolitik sind bereits geschaffen, wie uns der neue CEO Kent Sørensen später erklärt. In den vergangenen drei Jahren habe man das Unternehmen von 17 auf über 40 Mitarbeiter ausgebaut. Die Themen werden uns bei den Dänen also nicht so schnell ausgehen.
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Audio Group Denmark
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