Boris Blank im FIDELITY-Interview
Aus dem Sound aufprallender Schneebälle komponiert er radikale Rhythmen, Sneakersohlen auf Marmorboden inspirieren Boris Blank zu einer „Turnschuhsinfonie“: Der kreative Kopf des legendären Schweizer Experimental-Duos Yello spricht im Interview mit FIDELITY über sein Soloalbum Resonance, dessen Titelsong fast in den Weltraum geflogen wäre. Jetzt spielt das Werk in Endlosschleife in einer Schweizer Therme.
FIDELITY: Herr Blank, wie häufig waren Sie zuletzt in der Therme?
Boris Blank: Im regulären Betrieb? Noch nie.
Sie sind kein Hallenbad-Fan?
Doch, natürlich, ich schwimme viermal die Woche, aber nicht im Thermalbad. Da würde ich von Fans erkannt werden – das wäre mir unangenehm.
Haben Sie die Songs Ihres neuen Soloalbums Resonance nicht für ein Thermalbad in der Nähe von Zürich komponiert?
Doch, ganz klar, ich war ja auch dort, als die Technik installiert wurde. Da hatte ich sogar eine Badehose an, man war aber unter sich.
Ein ungewöhnlicher Auftrag für einen Musiker, zumal für den kreativen Kopf eines berühmten Duos der Popmusik.
Da bin ich sehr flexibel. Ich fand das ausnehmend spannend! Ich sehe mich selbst als Stimmungsmaler. In meinem Soundarchiv habe ich unzählige Klänge, die ich irgendwann aufgenommen und bearbeitet habe, geordnet nach Stimmungsbildern, Formen und Gefühlen. Da gab es auch passende Sounds für das Thermalbad.
Wie entsteht aus Klängen dann ein Song?
Stellen Sie sich eine leere Leinwand vor, auf die nach und nach einzelne Farbtupfer aufgetragen werden. Bis sich schließlich ein Umriss ergibt, der mich dann weiterführt, bis daraus ein ganzes Stück Musik entsteht. Oftmals bin ich selbst überrascht, wie der Song am Schluss klingt.
Was macht denn den Auftrag, Musik für ein Thermalbad zu schaffen, so spannend?
Die Idee war, dass man in einem Solebad liegt und verträumt an die Decke schaut, an dem der Sternenhimmel dargestellt ist. Dazu erlebt man Wasser in all seinen Zuständen: auch als Dampf, als Eis. Es war sehr reizvoll, mit den Elementen zu arbeiten. Mit der Welt, die sich einem im entspannten Zustand mitunter öffnet.
Offenbar kann Ihre Musik auch als Soundtrack zu Reisen in ferne Welten dienen: Das Titelstück wurde von der Weltraumbehörde NASA als offizieller Song für die Präsentation des James-Webb-Teleskops angefragt.
Ja, das lief über eine Firma, die sonst Aufträge für Filme mit James Bond, Batman und Co. übernimmt. Diesmal hatten Sie den Job, einen Trailer für das neue NASA-Teleskop zu erstellen. Auf einmal stand ich dann im Kontakt mit dem damaligen NASA-Wissenschaftsdirektor – auch ein Schweizer übrigens. Leider kam es wegen Terminproblemen der Firma nicht zustande. Deshalb habe ich dann selbst ein Musikvideo für den Song produziert, das meinen Vorstellungen eines solchen Space-Movies entspricht.
Mit Ihrer Band Yello prägen Sie seit mehr als 40 Jahren die elektronische Musik. Sie sind damals wie heute für den Sound der Band verantwortlich. Ihr Kollege Dieter Meier steuert Texte und Gesang bei. Wie unterscheidet sich also ein Soloalbum von Boris Blank von einer Yello-Platte?
Prinzipiell gar nicht. Dazu müssen Sie wissen: Yello ist und war nie eine demokratische Band, bei der Dieter und ich zusammensitzen und über die Gestaltung einer Basslinie sprechen oder den Aufbau des Refrains diskutieren. Ich sitze eher wie ein einsamer Mönch im Studio hier oben auf meinem Berg in Zürich und komponiere meine Musik. Dieter lade ich später dazu. Und da meine Musik sehr bildhaft ist, denkt er sich spontan in die Rolle eines Protagonisten, der sich mit diesem und jenem Text auf den Lippen durch meine Klanggebäude bewegt.
Wenn Sie für Yello Klanggebäude bauen, in denen Kollege Meier sich einrichten darf – sind Ihre Solosongs dann nicht irgendwie verlassene, leerstehende Bauten?
Die sonore Stimme von Dieter prägt das musikalische Gesicht von Yello, ganz klar. Aber die Farben, die Buntheit und die Vielfalt der Klänge sind ja auch ohne seine Stimme da. Deshalb hoffe ich, dass sich die Menschen auch im Soundgebäude eines Soloalbums wohlfühlen und nicht einsam. Es gab ja die vergangenen 45 Jahre auf jedem Yello-Album viele Instrumentalsongs.
Viele Ihrer Hits aus den achtziger Jahren scheinen zeitlos zu sein. „Oh Yeah“ zum Beispiel kam 2017 im Soundtrack von Spider-Man: Homecoming zum Einsatz.
Spider-Man? Im Ernst? Das wusste ich gar nicht. Die Szenen muss ich mir unbedingt anschauen. Als wir „Oh Yeah“ geschrieben haben, hätte niemand gedacht, dass das mal Aufmerksamkeit erhält. Aber andererseits, es gibt nichts Positiveres als das Gefühl, das wir mit „Oh Yeah“ transportieren wollten: in der Hängematte liegen, ein kühler Drink in der Hand, die Karibik vor Augen, während die Sonne unter- und der Mond aufgeht. Natürlich ist das als Untermalung für Filme oder Werbeclips interessant.
Sie und Meier gelten mit Yello als Pioniere der elektronischen Musik, wie auch Kraftwerk. Sie haben einmal gesagt, Ihre Herangehensweise und Vorstellung von Musik sei jedoch diametral entgegengesetzt zum Schaffen von Kraftwerk …
Kraftwerk wollten zu Robotern ihrer eigenen Musik werden und durch sie bedient werden. Yello wollte gänzlich umgekehrt Maschinen ihre Menschlichkeit entlocken. Das Kraftwerk-Konzept war und ist sensationell, jedoch für mein Empfinden sehr clean und etwas statisch. Komplett gegenteilig zu meiner Idee von elektronischer Musik, die immer in Bewegung ist, die auch mit Synthesizern eine gewisse menschliche Wärme erzeugt.
Ich finde, Ihr Soloalbum klingt sehr cineastisch. Die mystischen Klänge am Anfang von „Defying Gravity“ erinnern mich an einen Horrorfilm, der orchestrale Mittelteil des Songs an einen Endzeit-Film wie Blade Runner. Ist das die Wirkung, die Sie erzielen möchten?
Ich bin kein Konzeptmensch. Die Songs entwickeln sich im Prozess. Und ich mich mit ihnen. Das klingt vielleicht etwas naiv, weil ich so nicht jeden Trend aufgreife, der eigentlich angesagt wäre. Aber es ist auch diese Eigenschaft, weshalb ich bis heute Spaß an meiner Arbeit habe. Welche Assoziationen sich im Kopf entwickeln, das überlasse ich dann den Hörern. Oder Journalisten. (lacht)
Ich habe gelesen, dass Sie für Ihre Soundbibliothek zum Beispiel Schneebälle an die Wand werfen. Wie klingt denn so ein zerplatzender Schneeball?
Kommt auf den Schnee an. Wenn der zum Beispiel lange geknetet wird, ist er so verdichtet und trocken, dass der Sound, zwei Oktaven nach unten transponiert, ganz anders klingt als bei einem eher pudrigen Schneeball. Aus „bapp“ wird dann „boff“. Filtert man die Nebengeräusche heraus, haben wir eine satte Bassdrum.
Spannend.
Ja. Das ist ein Sound, den nur ich habe. Niemand anderes hat diesen Schneeball an diese Wand geworfen. Ich habe zusammen mit ein paar schwedischen Programmierern den „Yellofier“ entwickelt, eine App, die genau so etwas auch für jeden ermöglicht, nämlich aus Geräuschen Songs zu schaffen. Vermutlich bin ich selbst der beste Nutzer, ich benutze die App sehr oft.
„Es geht kein Tag vorbei, an dem mich nicht irgendein Geräusch inspiriert“, haben Sie mal gesagt.
Und das stimmt. Erst letztens habe ich gelauscht, wie Menschen mit Turnschuhen über einen Marmorboden gelaufen sind. Und ich sag Ihnen: Jeder Schuh klingt anders.
Was geht Ihnen in solchen Momenten durch den Kopf?
Mein Gedanke war: Wenn man mit den Sohlen verschiedener Turnschuhe lange über den Boden schlurft, ließe sich daraus eine Turnschuhsinfonie machen. Sehen Sie, da entsteht jetzt gerade schon wieder ein neues Projekt … (lacht)
Auch bei Ihrem Hit „Lost Again“ hört man laufende Schuhe. Wie haben Sie im damals analogen Zeitalter der achtziger Jahre solche Sounds aufgenommen?
Man muss sich die Situation vorstellen. Geht da ein Mann oder eine Frau? Hat die Person es eilig? Wie geht sie? Und dann … Boris Blank schnalzt nun mit der Zunge, verformt dabei den Mund und erzeugt so einen Sound, der an das Gehen mit Stiletto-Schuhen erinnert. So geht das! Packen wir noch ein wenig Hall drauf, fertig sind die laufenden Schuhe.
„Mich begeistern Tiefgaragen.“ Ein weiterer Satz, über den ich bei der Vorbereitung für dieses Interview gestolpert bin.
Jeder Raum hat seine eigene Resonanz. Überall gibt es den einen Ton, bei dem der Raum vibriert. Und so stehe ich dann in irgendwelchen Räumen – in der Kirche, im Badezimmer oder eben in der Tiefgarage – und (Blank pfeift kurz, schnalzt dann erneut mit der Zunge) kundschafte den Sound aus. Nicht selten ist es schon vorgekommen, dass manch ein Recording nicht im Studio, sondern im Treppenhaus davor aufgenommen wurde. Weil dort der Hall besser war.
Ihr Yello-Kollege Dieter Meier sagt über Sie, dass Sie noch das Einschlagen der Sargnägel aufnehmen und daraus Ihr letztes Stück Musik machen werden.
Der Dieter, der kennt mich halt. Wie würde das wohl klingen? Dafür müsste ich vier Dinge kennen. Das Holz: Eiche oder Tannenholz? Die Nägel: Sind die aus Stahl? Und natürlich auch den Hammer. Und die Frage: Wer schwingt ihn? Das ist elementar für den Klang. Ich selbst dann ja wohl nicht.
Boris Blank, 72, gründete im Jahr 1978 das Electro-Duo Yello. Gemeinsam mit seinem Schweizer Kompagnon Dieter Meier (79) prägte Blank den Sound der achtziger Jahre. Songs wie „Oh Yeah“ vom Album Stella aus dem Jahr 1985 oder „The Race“ von der Platte Flag (1988) machten Yello weltbekannt. Blank wurde zu einem Pionier der elektronischen Musik. Die Experimentierfreudigkeit, verschiedenste Geräusche in die eigenen Songs einzubauen, hat er sich bis heute beibehalten und nutzt sie auch für eigene Projekte. Resonance ist Blanks drittes Soloalbum.
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