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How Many Roads - Black America Sings Bob Dylan

Bob Dylan interpretiert: Da passt ein Ozean dazwischen

Afroamerikanische und britische Coverversionen von Bob-Dylan-Songs

Bob Dylan interpretiert: Da passt ein Ozean dazwischen

Afroamerikanische und britische Coverversionen von Bob-Dylan-Songs

Für das Reissue-Label Ace Records hat der Plattensammler Tony Rounce schon mehrere CDs kompiliert, und Alben mit Coverversionen gelten als seine Spezialität. 2016 erschien seine Auswahl Let It Be – Black America Sings Lennon, McCartney And Harrison. 2010 veröffentlichte das Londoner Label eine immer noch Maßstäbe setzende Rounce-Compilation: How Many Roads mit 20 Dylan-Songs, die 1964–1990 von schwarzen Soul-, Jazz-, Blues- und Funk-SängerInnen aufgenommen wurden.

How Many Roads - Black America Sings Bob Dylan
Verschiedene InterpretInnen How Many Roads – Black America Sings Bob Dylan Label: Ace Records/Soulfood Format: CD

Allein schon wegen „With God On Our Side“ von The Neville Brothers lohnt sich diese CD. Der Gospel-Sänger Aaron Neville zerkaut hier sechs Minuten lang jedes einzelne Wort aus Dylans Feder wie ein heimkehrender Soldat, der mit ermatteter Stimme seine Meldung von den Gräueltaten überbringt, die er auf dem Schlachtfeld gesehen hat. Im Vergleich dazu klingt die Originalversion dieses Antikriegsliedes bestenfalls gewollt schnoddrig interpretiert.

Gleiches gilt für „Masters Of War“. Dylans eigene Interpretation seines Antikriegsliedes hatte 1963 wegen seiner beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten wie ein höflicher Pflichtbesuch am Grabmal der Rüstungsindustrie-Kapitäne geklungen. Im Jahr darauf lieferten The Staple Singers eine vor Wut und Verzweiflung brennende Interpretation ab, sie landete mit Recht auf dieser Ace-CD.

In jede Auswahl von Dylan-Covers gehört die Mutter aller Protestsongs: „Blowin’ In The Wind“, circa 400 verschiedene Einspielungen wurden bislang davon veröffentlicht. Tony Rounce wählte für seine Black America-Compilation eine Aufnahme, die der legendäre Tontechniker Willie Mitchell 1968 im Royal Studio in Memphis mit dem nur regional bekannt gewordenen Soul-Sänger O.V. Wright produziert hatte.

Wie eine eiskalte Dusche wirkte der gleiche Song aus dem Munde von Marianne Faithfull. 1964 krächzte die Stones-Gespielin und Möchtegern-Chansonette mit bibberndem Stimmchen „How many roads must a man walk down…?“ und kreierte damit eine Kuriosität, die unbedingt auf die kürzlich erschienene Ace-CD Take What You Need gehört. Denn die Kompilatoren Stuart Batsford und Mick Houghton stellen auf diesem Album zahlreiche angenehme Folk-, Beat- und Jazz-Überraschungen gleichberechtigt neben unfreiwillig komische Dylan-Fehlinterpretationen aus dem United Kingdom der 1960er.

Das Positive überwiegt bei UK Covers Of Bob Dylan Songs. Die britische R&B-Combo The Fairies muss ihre fetzige Rock’n’Roll-Lesung von „Don’t Think Twice“ keineswegs hinter Brook Benton verstecken, der das Abschiedslied auf der Black America-CD mit der souveränen Arroganz eines Nachtclub-Entertainers vorträgt.

Take What You Need - UK Covers of Bob Dylan Songs 1964-69
Verschiedene InterpretInnen Take What You Need – UK Covers Of Bob Dylan Songs 1964–69 Label: Ace Records/Soulfood Format: CD

In ihren starken Momenten zeigt die UK-CD, warum Dylan nach seinen Auftritten im Vereinigten Königreich gerne in Folk-Clubs abhing. Bob lauschte den englischen Gitarristen die Melodien einiger Volksweisen ab und bewunderte ihre Zupftechnik. Alex Campbell gibt beim „Tom Thumb’s Blues“ dem Autor des Songs eine Guitarpicking-Lehrstunde.

Jazz-SängerInnen auf dieser Seite des Atlantiks entwickelten mit Dylan-Material ebenfalls ein neues Selbstbewusstsein. Während ihre US-KollegInnen dem guten alten American Songbook aus kommerziellen und emotionalen Gründen treu blieben, reagierte die Londoner Jazz-Szene dankbar auf Bobs Nachschublieferungen fürs Repertoire. Auf der UK-CD erzeugt Alan Price mit Chansonsänger-Attitüde bei „To Ramona“ Gänsehaut-Feeling.

Welche von diesen zwei Compilations kommt dem idealen Tonfall für die Interpretation von Dylan-Werken am nächsten? Black America hat leichte Vorteile wegen Gary U.S. Bonds, der 1981 den Schnellsprecher-Song „From A Buick 6“ ohne Atemnot aus dem Ärmel schüttelte, während Dylan selbst bei diesem Text beinahe die Luft wegblieb. Einen weiteren Pluspunkt lieferte Major Harris, der in „Like A Rolling Stone“ die coole Hochnäsigkeit der Originalversion zu einem gospelhaften Mitgefühl mit der nicht nur vom Songwriter, sondern auch von Gott und der Welt verlassenen Adressatin des Liedes umdeutete.

Doch eigentlich offenbaren erst beide Compilations zusammen den kompletten Bob Dylan. Black America präsentiert 20 Künstler, die sogar privateste Dylan-Songs in politisch brisante Botschaften verwandeln. Die InterpretInnen der UK Covers dagegen scheinen auch explizit politische Dylan-Zeilen erst einmal als intime Geheimnisse zu verstehen.

So weit lagen die Interessen der weißen Community auf der einen und der afroamerikanischen auf der anderen Seite des Atlantiks am Ende des 20. Jahrhunderts auseinander. Bob Dylan lieferte nur die Stichworte für ihre unterschiedlichen Deutungen der Lage.

 

Verschiedene InterpretInnen
Take What You Need – UK Covers Of Bob Dylan Songs 1964–69
Label: Ace Records/Soulfood
Format: CD

Verschiedene InterpretInnen
How Many Roads – Black America Sings Bob Dylan
Label: Ace Records/Soulfood
Format: CD

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