Beyond Büchsenschinken
Ich habe eine Band gegründet. Was für ein schönes Gefühl, diesen Satz zu sagen. Darauf habe ich ein paar Jahrzehnte gewartet. Jetzt, da ich mich von der falschen Seite der Fünfzig nähere, darf er raus. Gleich nochmal mit Ausrufezeichen: Ich habe eine Band gegründet!
Um die Entstehungsgeschichte von Beyond Büchsenschinken zu ergründen, müssen wir kurz zurückkehren ins Bad des Ferienhauses, in dem schon meine kleine Geschichte von neulich ihren Anfang nahm. Man erinnert sich vielleicht, der Lichtschalter ist mit einem Radio gekoppelt. Daraus dejavuen rund um die Uhr die ewiggleichen Formatradiosongs, Stichwort „Blinding Lights“, und das entsprechende Morningshow-Geplapper. „Dejavuen“ übrigens ist ein Verb, das ich gemäß der ebenfalls bisher unbekannten grammatikalischen Regel der Renominalisierung für diesen Text hier erfunden habe. Aber: Wer eine Band gründet und sich zum Künstler erklärt, darf das.
Also, da stehe ich dann gestern Morgen mit der Zahnbürste im Gesicht im Bad, als sich tatsächlich etwas Interessantes zwischen The Weeknd, Flitzerblitzer-Denunziationsanrufe und das beste Wetter Schleswig-Holsteins schummelte. Es gibt eine Webseite, die sich Bandnamen ausdenkt. Man muss nur sein Lieblingstier, ein Instrument und den Namen einer Ortschaft eingeben … So schnell bin ich nie zuvor vom Waschbecken an den Laptop gewechselt. Seit ich seinerzeit bei Frau Schirnack von der Jugendmusikschule erstmals in die Tasten eines Klaviers griff, träume ich von der eigenen Band. Mein Repertoire aus frühen Pianistentagen ist leider mittlerweile auf den Flohwalzer – gegen die Ignoranz des eigenen Erinnerungsvermögens ist kein Kraut gewachsen – und einen müden Boogie-Woogie zusammengeschnurrt. Doch mangelnde Fingerfertigkeit darf kein Grund für künstlerische Zurückhaltung sein. Sonst gäbe es ja zum Beispiel keine Punk-Musik. Oder öffentliche Auftritte von Künstler-Darstellern wie Ikke Hüftgold.
Da Punk aber bereits erfunden ist und ich keinesfalls in Konkurrenz zu Herrn Hüftgold treten mag, konzentriere ich mich zunächst nicht aufs Schaffen neuer Werke. Als Erstes komponiere ich den Bandnamen. Ich gebe auf der betreffenden Webseite – es gibt übrigens mehrere konkurrierende Angebote – meinen Vornamen, die Adjektive „soulful“ und „bluesy“, die Instrumente „Gitarre“ und „Schlagzeug“ (Klavier erscheint mir zu naheliegend), als Lieblingstier „Katze“ sowie den Ortsnamen „Büchsenschinken“ ein. Ha, ha, höre ich es aus der Ferne lachschmunzeln. Doch kann ich allen Zweiflern sagen: Büchsenschinken ist tatsächlich ein Dorf in der Gemeinde Reinbek am östlichen Rande von Hamburg, durch das ich jüngst im Siebensitzer mit der halben Fußballmannschaft der Tochter auf dem Weg zum Auswärtsspiel fuhr und den ich nun für geeignet hielt, Impulsgeber eines zumindest dezent punkigen Bandnamens zu werden.
Wie also wird meine Band heißen? Der Algorithmus hatte folgende Ideen: 1.) Bring me the Drums, 2.) Why Cats? Why?, 3.) Philip eats the Guitar, 4.) Twilight of the Guitar Gods sowie 5.) Beyond Büchsenschinken. Ein basisdemokratischer Auswahlprozess, an dem ich in diesem Stadium der Bandgründung natürlich allein teilnahm, favorisierte Variante Nummer fünf. Der Name steht also. Im nächsten Schritt sollte ich nun Bassist, Keyboarder und wahlweise eine Besetzung für Gitarre oder Schlagzeug finden. Songs schreiben. Proben. Eine Platte aufnehmen. Den ersten Auftritt planen. Die erste Tour. Puh. Immerhin eins muss ich nicht mehr machen: Mir den Titel des ersten Nummer-eins-Hits ausdenken. Denn passend zum Bandnamen wurden mir auch einige Songtitel vorgeschlagen. „Büchsenschinken State of Mind“ zum Beispiel. Oder, und das wird die erste Singleauskopplung sowie eventuell der Titel der ersten Welttournee: „Master of Büchsenschinken“.
PS: Unnützes Wissen, Teil 35:
Büchsenschinken ist heute ein Ortsteil der Gemeinde Reinbek bei Hamburg. Reinbek selbst war schon in der Steinzeit ein echter Hotspot, wie der Fund von alten Töpfen, Messern und 47 Hügelgräbern zeigt. Büchsenschinken hingegen entstand erst im 19. Jahrhundert aus einer kleinen Bauernkate, die heute aber nicht mehr erhalten ist. Man hätte den Ort also auch Katenschinken nennen können … In die Kate zog alsbald die Gaststätte „Zum Büchsenschinken“ ein. Daraus entstand dann, ganz ohne Hilfe eines Ortsnamengenerators, Büchsenschinken.