Benjamin Grosvenor: „Ich hatte einen glücklichen Start“
Einer der vielversprechendsten jungen Pianisten zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Brite Benjamin Grosvenor. Der Gewinner des BBC Young Musician of the Year Award veröffentlichte 2012 seine zweite CD und machte in Deutschland beim Berliner Klavierfestival Station
The Regent Hotel, Berlin, 31. Mai 2012. Ich treffe den englischen Pianisten Benjamin Grosvenor, der am darauffolgenden Tag sein Debüt im Berliner Konzerthaus gibt. Grosvenor, gerade einmal 20 Jahre alt und bereits bei der Decca unter Vertrag, schlendert mir im Foyer entgegen. Aufmerksam wurde ich auf den jungen Künstler durch das Berliner Klavierfestival, für das Intendant Barnaby Weiler Pianisten nach Berlin holte, die er unbedingt in Deutschland hören wollte. Zudem stand höchst anspruchsvolles Repertoire auf dem Programm, darunter Sonaten von Chopin und Skrjabin sowie Ravels Gaspard de la nuit. Das letztgenannte Werk spielte er zusammen mit Scherzi und Nocturnes von Chopin auf seiner ersten CD ein.
Benjamin Grosvenor erweist sich als lockerer und pointierter Gesprächspartner, der wesentlich reifer wirkt, als man bei seinem Alter vermuten könnte. Zu Ravel habe er eine lange und tiefe Beziehung, weil er das G-Dur-Klavierkonzert bereits als Kind beim BBC Young Musicians Competition gespielt und kürzlich auf seiner zweiten CD aufgenommen habe. Auf die Frage, wie er die enormen technischen Schwierigkeiten im Gaspard-Zyklus bewältige, meinte er, dass er das Stück nicht als schwer empfinde. Man habe ihm als Jugendlicher nie gesagt, dass es sich um eine sehr schwere Komposition handle, daher spiele er es einfach, ohne sich einen Kopf zu machen.
Bei den wichtigen Pianisten, die ihn prägten, nennt Grosvenor unter anderem Stephen Hough, John Ogdon, Clifford Curzon und Solomon sowie Moriz Rosenthal und Wladimir Horowitz. Allerdings erarbeite er sich seine Interpretationen grundsätzlich vor dem Hören anderer Aufnahmen. Die Gelegenheit, für die Decca als Künstler aufzunehmen, sei wunderbar und eine große Ehre. Seit mehr als 60 Jahren ist er der erste britische Pianist, der wieder einen Vertrag mit der traditionsreichen Plattenfirma unterschrieb.
Zum Thema Wettbewerbe meint Benjamin Grosvenor, dass er einen sehr glücklichen Start mit seiner Karriere gehabt habe. Im Alter von elf Jahren herrschte für ihn kein Druck beim BBC Young Musicians Competition, der Spaß an der Musik war entscheidend. Der Rest ergab sich nach dem Wettbewerbserfolg bei der BBC wie von selbst. Andere Pianisten hätten es meist viel schwerer, wenn sie nicht schon in jungen Jahren mit dem Konzertieren begännen. Bei großen Wettbewerben sei die Konkurrenz dann auch sehr stark und man müsse einem großen psychischen Druck standhalten. Der Karrierebeginn mit elf war daher optimal für ihn.
Trotz eines gegenwärtig sehr stressigen Reiseplans mit vielen Konzerten in den Vereinigten Staaten bedeutet das Pianisten-Dasein für Benjamin Grosvenor das Höchste der Gefühle. Und auch seine Auftritte in Deutschland sollen nun zahlreicher werden …
Benjamin Grosvenor bezeichnet sich selbst nicht als Facebook-Junkie, aber Social Media sind für ihn ein sehr wichtiges Instrument, um mit den Fans in Kontakt treten zu können. Die Facebook-Präsenz www.facebook.com/GrosvenorPiano wird von seinem Management gepflegt und weist derzeit die meisten Fans in der Altersgruppe von 18 bis 24 auf. Anteil daran hat sicher auch die zweite Decca-CD, die 2013 erscheinen wird, aber bereits seit mehreren Monaten als 24/96-Download erhältlich ist. Der musikalische Fokus liege derzeit auf romantischer Musik, könne sich im Laufe der Jahre aber natürlich ändern, bemerkt der Pianist im Gespräch. Beim Musikhören, das für ihn zwangsläufig zum Beruf dazugehört, legt er auf emotionale Aufnahmen Wert, gerade auch Schallplatten mit älteren Einspielungen sind ihm hier wichtig.
Auf seiner ersten CD Chopin Liszt Ravel zeigt sich Grosvenor als emotionaler und virtuoser Chopin-Interpret, der mit dem Pedal sparsam und zielgerichtet umgeht. Er modelliert dabei Mittelstimmen sehr schön heraus und verfällt bei Fortissimo-Passagen nie ins Donnern, sondern lässt jeden Ton hör- und erlebbar werden. Die stärksten und innigsten Momente gelingen ihm in den komplexen und leisen Passagen der Scherzi, wenn sich Melodiestimmen inmitten von Begleitfiguren kantabel erheben. Besonders aussagekräftig fand ich den Vergleich von Ravels Gaspard de la nuit auf der CD im Vergleich zur Live-Performance im Berliner Konzerthaus am 1. Juni 2012. Benjamin Grosvenor wählte den Zyklus als letztes Stück des Abends, nachdem er vorher wunderbare Interpretationen von Chopins 3. Sonate und Skrjabins Sonate-Fantaisie abgeliefert hatte. Man könnte einfach nur neidisch auf die fantastische Klaviertechnik des jungen Briten werden, für den technische Schwierigkeiten praktisch nicht mehr existieren. Es war eindeutig, dass Grosvenor den Gaspard-Zyklus nicht zum ersten Mal im Konzert spielte, sondern schon viel Erfahrung damit gesammelt hatte. Im Gegensatz zur CD spielte er live etwas freier und gönnte sich ein vitaleres Zupacken, blieb aber im Konzert genauso perfekt wie auf der Silberscheibe. Lediglich die Bachpartita zu Beginn des Klavierabends fiel vom Niveau etwas ab, weil die vielen kurzen und ausgespielten Phrasen dem großen Bogen über Bachs Musik im Weg standen.
Die zweite CD von Benjamin Grosvenor, Rhapsody In Blue, enthält gleich drei Klavierkonzerte, nämlich das zweite Konzert von Camille Saint-Saëns, das G-Dur-Konzert von Maurice Ravel und George Gershwins Rhapsody In Blue. Allen Konzerten ist gemein, dass sie einen ausgesprochenen Virtuosen am Klavier erfordern. Besonders Saint-Saëns und Ravel packten höchste pianistische Anforderungen in ihre Werke, deren Schwierigkeit aber nicht zu hören sein soll. Kein Problem für Benjamin Grosvenor, der mit Eleganz und Lockerheit die Messlatte ganz weit zum Pianisten-Olymp hinaufschiebt. Die CD mit dem herrlich transparent und natürlich klingenden Orchester ist wahrlich eine Referenz, an der sich in Zukunft viele Pianisten messen können.
Wahrscheinlich trifft auf den Briten genau zu, was der große Heinrich Neuhaus über seinen Lehrer Leopold Godowsky sagte: „Der hauptsächliche Eindruck bei ihm ist, dass alles furchtbar einfach, natürlich, schön und absolut mühelos scheint.“