Alles hat seinen Preis, besonders die Dinge, die nichts kosten. (Art van Rheyn)
Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
„Schnäppchen“ – das Wort löst bei mir einen sofortigen Würgereiz aus, denn es verkörpert in einzigartiger Weise alle negativen Aspekte des zunehmend um sich greifenden geistlosen Konsumverhaltens meiner Mitmenschen. Normalerweise kauft man sich etwas, weil man es braucht, es gut findet und es sich leisten kann. Bei „Schnäppchen“ schaltet das Hirn jedoch erst auf Durchzug und dann in den Preismodus, um schließlich in der Happy Hour zu landen: doppelte Deaktivierung der Gehirnströme, heute fürs halbe Geld. Der Preis ist heiß, der Kauf sinnlos!
Kaufen macht Spaß, da herrscht Konsens im Wohlstandswunderland. Manchem Zeitgenossen macht es sogar so viel Spaß, dass er es zur primären Freizeitbeschäftigung auserkoren hat und sich dadurch der Gefahr aussetzt, kaufsüchtig zu werden. Nach Schätzungen der Techniker Krankenkasse waren im Jahr 2011 in Deutschland 800 000 Menschen betroffen, unabhängig von Herkunft, sozialer Schicht oder Bildung. Die Folgekosten dieses Furunkels unserer Konsumgesellschaft sind ganz sicher kein Schnäppchen!
Audiophile ticken anders: Sie wägen Kaufentscheidungen sorgfältig ab, verschlingen Testberichte, hören endlos Probe, vergleichen, ergehen sich in Grabenkämpfen, tauschen Vorurteile aus … und kaufen am Ende dann doch Geräte, die in den letzten Jahren mehr und mehr zum Luxusgut für Neureiche verkommen sind. In Zeiten aussterbender Bankzinsen sitzt das Geld eben besonders locker. Das wissen auch die Drogenlieferanten und widmen sich mit zunehmender Begeisterung ihrer Gewinnmaximierung. Immer weniger Firmen kümmern sich um die Belange des Fußvolks, während fünfstellige Preisschilder, früher den absoluten Topprodukten vorbehalten, gesellschaftsfähig wurden. Und wie sieht es mit dem Gegenwert der neuen Upperclass aus? Tönt sie tatsächlich besser oder hat vielleicht nur der Hüftspeck ihrer handgravierten Frontplatten zugenommen?
Mein Glaube an die ach so gute Preis-Gegenwert-Relation einiger hochgejubelter HiFi-Komponenten aus aktueller Produktion hat jedenfalls schwer gelitten. Auf der Suche nach einer bezahlbaren Endstufe (Budgetgrenze: maximal 1000 Euro) zum Antrieb eines Paares kleiner, zickiger Boxen erblickte ich lange kein Licht am Ende des Tunnels. Erst als ich mich einem Gerät weitab gängiger High-End-Vorstellungen zuwandte, wurde ich fündig. Der Findling wird in good old Germany gefertigt, verfügt über reichlich Leistungsreserven, verhält sich vorbildlich störgeräuscharm und klingt bereits nach rekordverdächtig kurzer Aufwärmzeit allürenlos gut. Was braucht man mehr?
Natürlich müssen gegenüber High-End-Boliden Abstriche gemacht werden: Die Schaltungstopologie ist von der Stange, das Gehäuse aus Blech, die Gestaltung der Frontplatte „gewöhnungsbedürftig“, und die Kühlkörper sind alles andere als handschmeichlerisch. Aber in seiner Basisfunktion als Leistungsverstärker ist das Gerät sehr überzeugend, und darum geht es doch, oder? Mir schon. Wer mithilfe eines Gerätes sein Wohnambiente aufpäppeln will, muss eben draufzahlen. Der Listenpreis dieses Endverstärkers ist übrigens so niedrig, dass sich jegliches Feilschen beim Händler aus Anstand verbietet (ich weiß, Sie werden es trotzdem versuchen). Meine neue Endstufe ist also kein Schnäppchen – aber im besten Sinne preiswert!