Bei Avid ist das Prinzip „Baukasten“ bei sämtlichen Konstruktionen und Modellen zu finden. Das Beste daran: Alle profitieren davon.
Britische Hersteller werden häufig mit dem Begriff „cottage industry“ assoziiert: kleine Unternehmen, deren Entwickler irgendwann mal in einem Schuppen angefangen haben, ihre Produkte zu entwickeln. Bekannte und erfolgreiche Beispiele für diese Herkunft heißen Creek und Rega, aber auch Avid.Conrad Mas, der Gründer von Avid, kann eine ausgesprochen spannende Geschichte darüber erzählen, wie alles angefangen hat (mit „gepimpten“ Thorens-Modellen) und wie schwer es war, Händler zu finden (die ja noch keine „Supertests“ in HiFi-Zeitschriften lesen konnten). Da HiFi-Journalisten anfangs auch nicht leicht zu überzeugen waren, sich für den Newcomer einzusetzen (man konnte den Lesern ja noch keine Händler nennen), befand sich Mas in einer szenetypischen Zwickmühle, in der auch heute noch viele Kleinstserienhersteller stecken.
Das alles liegt jetzt rund 15 Jahre zurück. Mittlerweile ist Avid ein etabliertes mittelständisches Unternehmen, das auf eine eigene CNCFertigung zurückgreifen kann und dessen Know-how auch von anderen Firmen gern genutzt wird. So fertigt Avid Präzisionsbauteile für den automobilen Rennsport, aber auch für andere HiFi-Hersteller. Das Gehäuse des Tonabnehmers London Reference Cartridge ist beispielsweise eine Avid-Konstruktion.
Aktuell bietet das in der Nähe von Huntingdon, Cambridgeshire, in einer ehemaligen Militärbasis ansässige Unternehmen drei Reihen von analogen Laufwerken in jeweils unterschiedlichen Ausbaustufen an: den gewaltigen Acutus, das Zwillingspärchen Volvere/Sequel und das derzeitige Einstiegslaufwerk Diva.
Das Baukastenprinzip
Mit vollem Namen heißt das kleinste Modell „Avid Diva II SP“. Es handelt sich also um die zweite Inkarnation des Diva in der aufwendigeren SPVariante. Ohne „SP“ kostet der Einstieg in die Avid-Welt übrigens nur knapp 2200 Euro. Dafür bekommt man bereits ein paar Komponenten, die normalerweise erst im größeren Bruder Volvere Verwendung finden. An dieser Kompatibilität innerhalb der Modellpalette erkennt man eines der Konstruktionsprinzipien von Avid: den Bauteilkasten. Allen Laufwerken gemeinsam ist das Subchassis, ein komplexes Bauteil aus Aluminiumdruckguss, dessen Form an einen Pfeil erinnert. Der Schaft dieses Pfeils stellt den Ausleger für den Tonarm dar, während die Ansatzpunkte für die Subchassisfedern in den Ecken der dreieckigen Pfeilspitze stecken. Beim preisgünstigen Diva verzichtet Conrad Mas allerdings aus Kostengründen auf die komplexe Subchassiskonstruktion der größeren Modelle. Stattdessen werden zylinderförmige Standfüße verwendet, deren Füllung aus Elastomeren mit unterschiedlichen Dämpfungseigenschaften für die notwendige Entkopplung von der Stellfläche sorgen. Leider ist es mit diesen Standfüßen nicht möglich, eine unebene Stellfläche auszugleichen – übrigens die einzige erwähnenswerte konstruktive Schwachstelle des Diva. Alles andere ist in puncto Technik genauso tadellos wie die allgemeine sehr gute Verarbeitungsqualität.
Im Zentrum des durch Querstreben stabilisierten Subchassis ragt der sich nach oben hin verjüngende Lagerdorn des invertierten Lagers in die Höhe. An dessen oberen Ende ist eine kreisförmige Vertiefung mit einer winzigen Lagerkugel aus Wolframkarbid zu erkennen. Die massive, ebenfalls konisch zulaufende Lagerhülse beinhaltet als Lagerspiegel ein farbloses Saphirplättchen. Auch dieses Lager ist, ebenso wie die Motorsteuerung, dem größeren Volvere entlehnt.
Bemerkenswert schwer ist auch die Motordose, die ohne direkten Kontakt mit dem Chassis neben das Laufwerk gestellt wird. Der offenbar bärenstarke Motor wird über ein separates Netzteil angesteuert, das saubere Sinuswellen für die beiden gängigsten Geschwindigkeiten 33 und 45 U/min bereitstellt. Zwei Rundriemen übertragen die Kraft auf den Teller, der über eine integrierte Plattenmatte aus Kork und ein Gewinde für die mitgelieferte Klemme verfügt. Avid gibt an, dass man diese Riemen jährlich wechseln sollte, ansonsten sei der Diva praktisch wartungsfrei. Gleichwohl wird empfohlen, das Lager nach etwa zehn Jahren zu Avid zu schicken, um es überprüfen und schmieren zu lassen.
Weitere Hinweise zum Aufbau kann ich mir an dieser Stelle sparen, weil die englischsprachige Bedienungsanleitung keine Fragen offen lässt – und weil alle wesentlichen Schritte auf der nächsten Doppelseite in der „Story Plus – Tomarmwechsel leicht gemacht“ dargestellt sind.
Freie Tonarmwahl
Avid bietet für den Diva II SP eine Vielzahl optionaler Tonarmbasen an. Sonderwünsche können die Briten ebenfalls bedienen, solange es sich um 9- oder 10-Zoll-Arme handelt. Die Preise bewegen sich je nach Fertigungsaufwand zwischen 70 und 460 Euro pro Basis. Am einfachsten gelingt die Montage bei Tonarmen, die nach SME-Standard montiert werden; die notwendigen Bohrungen sind im Tonarmausleger des Avid-Chassis bereits vorhanden. Die Mehrzahl der Kunden wird sich aber wahrscheinlich für die weit verbreiteten Einsteigertonarme Jelco SA-250ST (siehe großes Bild auf der vorherigen Doppelseite) oder den uns zur Verfügung gestellten Rega RB-301 entscheiden. Der Jelco bietet zwar bessere Einstellungsmöglichkeiten, klingt aber mitunter ein wenig „launisch“; er harmoniert nicht mit jedem Tonabnehmer. Mit einem Denon DL-103 etwa läuft er überraschend gut, doch ein Dynavector DV-20X2 bekommt von ihm zu viel Druck im Bass verpasst, während mit anderen Tonabnehmern das nötige Volumen in den unteren Frequenzlagen fehlt. Der Rega-Arm ist hier in aller Regel deutlich gutmütiger. Dafür muss man sich aber mit der eher rudimentären Höhenverstellung abfinden. Abhilfe schaffen sogenannte „VTA-Riser“, die eine stufenlose Höhenverstellung ermöglichen und im Internet zu finden sind.
Analoge Hierarchien
Eine Frage drängt sich in diesem Zusammenhang auf: Lohnt es sich, von vornherein einen qualitativ höherwertigen Arm anzuschaffen? Meiner Meinung nach lohnt es sich nur bedingt. Einerseits zeigt der kleine Avid den Unterschied zwischen einem Rega RB 301 und einem SME Series IV deutlich auf; die Frequenzenden werden sauberer herausgearbeitet und die räumliche Darstellung gewinnt an Breite und Tiefe. Andererseits ist das nächstgrößere Laufwerk von Avid, der Volvere, derart gut, dass ich persönlich den Volvere zusammen mit einem kleinen Rega RB 301 (5800 Euro) für die bessere Wahl als einen Diva II SP mit SME Series IV (6000 Euro) halte. Das erheblich aufwendigere und vorzüglich funktionierende Volvere- Subchassis macht sich eben auch klanglich bemerkbar. Dennoch kann der Diva II SP seinen Preis vollkommen rechtfertigen; nicht nur wegen seiner technischen, sondern auch und gerade wegen seiner klanglichen Qualitäten. Dass er „einen Ton halten“ kann, aufstellungsunkritisch ist und der Motor weder hör- noch spürbar ist, sollte sich in dieser Klasse eigentlich von selbst verstehen (ist aber keineswegs bei jedem Mitbewerber der Fall). Im praktischen Umgang gibt sich der Diva jedenfalls wohlerzogen, absolut alltagstauglich und überhaupt nicht divenhaft.
Trotzdem wollte beim Hören zunächst nicht so recht Begeisterung aufkommen. Schließlich bin ich dahintergekommen, woran es liegt: Nach meinem Dafürhalten wirkt sich die Plattenklemme im konkreten Fall nicht unbedingt positiv auf den Klang aus. Der virtuelle „Raum“ dehnt sich kaum bis an die durch die Lautsprecher gezogenen Grenzen aus, auch die Tiefenstaffelung lässt ein wenig zu wünschen übrig. Ist die Klemme entfernt, öffnet sich das Klangbild spürbar in der Breite wie in der Tiefe.
Von allen Tonnehmern, die mir zur Verfügung standen, gefiel mir das Zusammenspiel mit dem Nagaoka MP-500 am besten. Es unterstreicht die positiven Eigenschaften des Avid noch, und gemeinsam erzielen sie ein ausgesprochen definiertes Klangbild, das sich jeder auf Dauer ermüdenden Effekthascherei enthält. Gleichzeitig bietet dieses Gespann aber genügend Impulsivität, um etwa den dritten Satz des „Winters“ von Antonio Vivaldis Vier Jahreszeiten (Sonatori De La Gioiosa Marca) rhythmisch fesselnd und tonal einwandfrei darzustellen. Die Genauigkeit der räumlichen Abbildung lässt sich wiederum sehr gut nachvollziehen mit Holly Coles Interpretation von „Everyday Will Be Like A Holiday“ (LP Don’t Smoke In Bed): Hier wird Coles Stimme nuanciert und differenziert neben den begleitenden Solisten abgebildet.
Die musikalisch faszinierende Darbietung des Diva II SP lässt den Künstlern immer den Vortritt, der Plattenspieler tritt voll und ganz in den Hintergrund. Somit erweist sich der kleine Avid keineswegs als Diva, sondern ganz als Gentleman alter Schule. Und so sollte es auch bitte sein!