Wahlweise furniert
Einen schöneren Pegelsteller gab’s noch nie …
Ein Gerät zwei Meinungen? Zumindest hören vier Ohren mehr als zwei!
Von Cai Brockmann und Roland Kraft
Roland Kraft meint:
Ausgefeilte Technik, alles andere als von der Stange, dazu höchst ungewöhnliche Gehäuse – eine Verstärkerkombi der Superlative
Wenn ein Vorverstärker 41 Kilogramm wiegt, darf er als amtlich gelten. Zum Glück ist die dazugehörige Endstufe nur anderthalb Kilogramm schwerer! Und dann noch dieser total abgefahrene, völlig verrückte Knopf für die Lautstärke…
Einer der Gründe für die Materialschlacht lässt sich sofort diagnostizieren. Es sind nämlich die Gehäuse der Avantgarde-Acoustic-Kombi, die derart auf die Waage drücken, nein, in Wirklichkeit sind es pro Gerät sogar gleich zwei schwarze, massive sogenannte „Unibody“-Aluminium-Gusskabinette mit Kühlkörper, die je ein Außen- und ein Innengehäuse bilden. Und damit rund 28 Kilogramm am Gesamtgewicht eines Gerätes ausmachen. Eine absolut konsequente, extrem aufwendige Lösung für gleich mehrere Aufgabenstellungen: Kühlung, Bedämpfung und wirksame Abschirmung. Matthias Ruff, der Elektronik- und Lautsprecher- Designer von Avantgarde Acoustic, hat damit seine Munition aber noch lange nicht verschossen. Ruff, der in der Vergangenheit immer wieder für Überraschungen gut war, ist ein unkonventioneller Denker. Dafür spricht auch die patentierte „DC-Flow“-Technik beider Geräte, die ein grundsätzliches Problem lösen soll, nämlich jenes der Nulldurchgangsverzerrungen. Einfach ausgedrückt: Das Wechselspannungssignal besteht ja immer aus einer negativen und einer positiven Halbwelle; wird der Nullpunkt passiert, entsteht kurzzeitig ein stromloser Zustand, bei dem Nulldurchgangsverzerrungen entstehen. „DC-Flow“ bedeutet nichts anderes, als dass eine spezielle Schaltungstechnik das Signal mit Gleichstrom „unterlegt“, womit dieser stromlose Zustand vermieden wird. Matthias Ruff schaffte es sogar, diese Technik auch am Lautstärkesteller und an den Eingängen (genauer: am Eingangswahlschalter des Vorverstärkers) anzuwenden. Selbst der ist bereits ziemlich trickreich: Jeder Eingang besitzt seinen eigenen Differenzverstärker aus Dualtransistoren, der nur dann unter Strom gesetzt wird, wenn der entsprechende Eingang gewählt wird. Damit ist kein wie auch immer gearteter Schalter im Signalweg, übliche Umschaltungen sehen im Vergleich dazu ziemlich altbacken aus. Die Schaltungstechnik beider Geräte ist kurz und knackig, alles andere als ein Transistorgrab. Die Vorstufe besitzt einen besonders trickreichen Pegelsteller, der nicht im Signalweg liegt, sondern einen variablen Shuntwiderstand gegen Masse darstellt. Er setzt den Strom in der Lautstärke entsprechend hohe Ausgangsspannung um und wird elektronisch in 48 Stufen zu 1,5-Dezibel-Schritten angesteuert. Über Optokoppler galvanisch abgetrennt, kann zudem die Stromversorgung der steuernden Logikschaltungen die Audio-Stromversorgung nicht beeinflussen. Ein Differenzverstärker mit umschaltbarem Verstärkungsfaktor treibt dann schon kräftige, per Regelung versorgte Ausgangstransistoren, die für die beiden Ausgänge des XA-Pre doppelt vorhanden sind. Durch die so separat gepufferte Ausgangsstufe belastet etwa eine weitere, zusätzlich angesteckte Endstufe nur ihren eigenen, via Koppelkondensator angeschlossenen Ausgang.
Als echter Clou muss die Energieversorgung des Vorverstärkers gelten, die so konsequent wie nur irgend möglich ausgeführt ist: Es handelt sich nämlich um ein Akku-Netzteil, womit reinste Gleichspannung zur Verfügung steht. Die Akkus hausen in einem Separee in dem großen Gusskörper des Innengehäuses, daneben sitzen drei Netztrafos, von denen einer ausschließlich für periphere Schaltungen und „Management“-Maßnahmen zuständig ist; eine Akku-Versorgung verlangt ja nach entsprechenden Lade- und Überwachungsschaltungen. Übrigens läuft der Avantgarde-Pre wahlweise „pur“ aus den Akkus oder ausschließlich mithilfe des Netzteils – damit ist der klangliche Unterschied durchaus nachvollziehbar. Dass sich die Akku-Versorgung letztlich auch auf den Störspannungsabstand positiv auswirkt, leuchtet ein. Beide Komponenten, also Vor- und Endverstärker, können mit Ehrfurcht gebietendem „Signal-to-noise“ aufwarten, was angesichts der höchst effizienten Hornlautsprecher von Avantgarde Acoustic auch notwendig ist.
In puncto Energieversorgung lässt sich auch der Endverstärker XA-Power nicht lumpen, handelt es sich doch um eines der wenigen Designs mit aktiver Spannungsregelung auch der Ausgangsstufen. Die mit plusminus 60 Volt versorgte Endstufenschaltung startet am Eingang mit einem vollsymmetrischen, kaskodierten Differenzverstärker. Nach der aus vier Transistoren bestehenden Treiberstufe geht es dann sofort in den komplementären Ausgangs-Darlington, den Matthias Ruff aus je einem bipolaren Transistor und einem Mosfet kombiniert hat. Besagte Regelung der symmetrischen Versorgungsspannungen läuft über einen ebenfalls als Darlington geschalteten Gyrator, der auch der Störspannungsunterdrückung dient. Die Sekundärspannungen sind zudem über eine C-L-C-Siebstrecke (Kondensatoren und Spulen) geführt, vor dem Netztrafo sorgt schon ein üppig ausgelegter Netzfilter – einschließlich der so wichtigen Gleichspannungsunterdrückung – für einen blitzblanken 50-Hertz-Sinus. Diese Gleichspannungsunterdrückung (gute Netzfilter besitzen auch eine solche Schaltung) blockt stets im Netz vorhandene Gleichspannungsanteile ab, die zu Sättigungsproblemen an Trafokernen führen und damit die Eigenschaften von Netztrafos dramatisch verschlechtern können.
Auch in der Endstufe XA-Power gibt es wieder eine separate Stromversorgung für Relais, Triggerschaltungen und andere Jobs. Über die zusätzlichen XLR-Ausgangsbuchsen auf der Rückseite des Verstärkers darf man sich nicht wundern: Sie dienen nur dem Anschluss weiterer Endstufen. Der unsymmetrische Anschluss an den XLR-Kontakten ist mithilfe von Adaptern ebenfalls machbar. Eine Erdungsklemme und Regler für die Helligkeit der Hintergrundbeleuchtung vervollständigen die üppige Ausstattung des Amps, der übrigens zur Leistungsverdoppelung auch im Brückenbetrieb angeschlossen werden kann.
Zu den klanglichen Meriten der Kombi von Avantgarde Acoustic wird sich jetzt mein Kollege Cai Brockmann ausführlich äußern.
Cai Brockmann meint:
Dieser Wahnsinnsknopf ist definitiv das beste „human interface“ zu wahrem High-End-Klang!
Es muss korrekt „Pegelsteller“ heißen, sagt ein Oberexperte zu mir. Doch das ist mir jetzt erst einmal völlig egal. Als ob er magische Kräfte besäße, zieht dieser … – diese … – dieses Kunstwerk von einem „Lautstärkeregler“ (hähä) meine Blicke auf sich. Geradezu hypnotisch. Ich will einfach drehen, drehen, drehen, will schauen, schauen, schauen, lasse leuchten, blinken, strahlen – in Blau, Warmweiß, Orange…
Aus dem Schatten
So, und nun noch mal von vorn, in aller Ruhe. Wir sind schließlich zum Musikhören hier. Fakt ist: Außergewöhnliche Elektronik hat Avantgarde Acoustic schon länger im Programm, sie hat bisher aber immer eine Art Schattendasein geführt. Was wiederum nur daran lag, dass die großen bis gigantischen Hornlautsprecher des Unternehmens so herrlich ikonisch und skulpturhaft sind. Mit der XA-Serie hat die hauseigene Elektronik nun ein Gesicht bekommen, das man (vor allem: Mann) nicht so schnell vergisst: muskulös-elegante „Macho- Attitüde“, massive Doppelgehäuse, extragriffige Griffe, ein – Tschuldigung – geiler Pegelsteller, eine Metall-Fernbedienung à la Mag-Lite, die nix kann außer Laut/Leise/Stumm. Klasse! Und dann ist da noch diese vielfältig lackier-, furnier-, einfach wunderbare Front. Die gibt’s übrigens auch in Alu.
Watt ist genug?
Auf den ersten Blick scheint die nominelle Leistung der Endstufe (pro Kanal 150 Watt an 4 Ohm, 75 Watt an 8 Ohm) für Lautsprecher mit hohem oder sehr hohem Wirkungsgrad (um 100 dB) gnadenlos overpowered zu sein. In der Praxis jedoch gibt es einige Hochwirkungsgrad-Schallwandler dieser Liga, die „Muckis mit Manieren“ sehr zu schätzen wissen, etwa von Tannoy, aber auch von Avantgarde Acoustic selbst. Wie auch immer: Die XA-Kombi verhält sich ohne Signal mucksmäuschenstill, legt bei Bedarf aber los wie die berühmte Feuerwehr. An meiner Dynavox Imperial etwa, deren 100 dB notfalls auch mit zwei Watt ganz gut zurechtkommen, schalte ich die Vorstufe gleich einmal auf „geringen“ Verstärkungsfaktor. So kann ich die Lautstärke auch noch bei sehr kleinem Abhörpegel feinfühlig regeln – ein sehr praktisches Feature, um die 48 Stufen immer optimal auszunutzen. Gleichwohl reicht hier der Regelbereich auch in „Low Gain“ locker aus, um die sprichwörtliche Sau rauszulassen. Das habe ich natürlich nur ausprobiert, weil mich Regler und geniale Lightshow quasi dazu verführt haben, ist doch klar.
Klassische HiFi-Disziplinen hakt die XA-Traumkombi aufreizend lässig und ohne jedes Wimpernzucken einfach ab. Der Klang ist standesgemäß „groß“, kraftvoll und souverän, insgesamt sehr ausgewogen, beinahe schon unauffällig. HiFi- Anfänger, die angesichts der spektakulären Optik und Haptik auf ein gnadenloses Haudrauf-Erlebnis spekulieren, können hier lernen, wie sich Langzeit- Hörgenuss in den Ohren anfühlt. Die XA-Kombi ist nämlich nichts weniger als ein astreines, allürenfreies Allround-Duo für Kenner.
Interessant finde ich, dass die Umschaltung der Vorstufe von reinem Akku- auf Netzbetrieb in puncto innerer Ruhe, akustischer „Schwärze“ und Durchhörbarkeit durchaus vernehmbar ist, allerdings hatte ich mir den Unterschied schon noch etwas größer vorgestellt. An den klaren Klangfarben oder der sehr ordentlichen, großzügigen Raumdarstellung ändert sich praktisch nichts, wenn der Akku nachgeladen wird. Gut so!
Und wie macht sich die Endstufe als Solist? Sie bietet eine absolut tadellose, makellose Performance. Die LED beim kleinen Kippschalter kann mich nur kurz irritieren, weil sie auch im Standby (er zieht superschlanke 0,5 Watt aus der Leitung) noch zart leuchtet. Ich lerne aber schnell, dass ein Warm-up vor intensivem Hören kein Fehler, sondern ein klanglicher Gewinn ist, lasse die XA-Power also meistens durchlaufen. Irgendwelche Gelüste nach mehr Dampf kommen, zumindest an der Dynavox „easy to drive“ Imperial, nun wirklich nicht auf.
Mono + Mono?
Luxuspower! Etwas anders sieht die Sache aus, wenn der angeschlossene Schallwandler eine komplexe(re) Frequenzweiche besitzt oder sonstwie eine Extraschippe Strom verlangt wird: Ein geringerer Wirkungsgrad des Lautsprechers, ein großes Raumvolumen, ein erhöhter Maximalpegel spielen beim Leistungshunger eine wichtige Rolle.
Ich hänge die XA-Kombi an meine Stereofone (ca. 88 dB, komplexe Weiche) und schalte die XA-Pre auf „High Gain“. Mit Götz Alsmann ist noch alles entspannt, wahres Easy Listening. Die XA-Power wiegt sich in Sicherheit – bis ich plötzlich umschwenke auf kernige Kost und heftige Impulse einfordere. Seeed, Yello, Zappa und Mahler bringen die Endstufe ins Schwitzen und sie verliert, zugegeben unter hart provoziertem Vollstress, gelegentlich ein wenig die Contenance. Nur gut, dass ich eine zweite XA-Power und Spezialadapter zur Verfügung habe, um aus den Stereo- Endstufen zwei doppelt starke Monos zu machen. Prompt stellt sich das Beste beider Welten ein: Der hervorragende Klangcharakter der „stereofonen“ XAPower bleibt voll erhalten (keine Selbstverständlichkeit bei Brückenschaltung!), und das gesamte Klangbild gewinnt, vor allem aber in Bass- und Grundtonlagen, spürbar an Autorität, Strahlkraft und Mühelosigkeit, auch in leisen Passagen. Das hätte ich in dieser Klarheit nicht erwartet. Denn ganz ehrlich: Wirklich vermisst habe ich zuvor ja nichts. Wer’s aber „braucht“, sollte die Doppelmono-Option wenigstens ausprobiert haben (und Avantgarde Acoustic sollte über eine Monovariante der tollen XA-Power nachdenken).