Welcome to the Pleasuredome 2 – Audio Video Show Warschau
Nach dem ersten Teil des Messeberichts zur Audio Video Show 2017 in Warschau gibt Cai Brockmann gern den audiophilen „Nachbrenner“ und Resteverwerter. Denn diese Messe war ein großes Dreitage-Vergnügen – trotz eines halben Fehlstarts …
Teil 2 unserer Messeberichterstattung aus Warschau
Erster „wichtiger“ Termin in Warschau: im Demoraum von Sonus Faber. Der Lautsprecher-Maßschneider aus Norditalien dominierte mit seinem frisch überarbeiteten Riesenmodell Aida (Modelljahr 2017) den gesamten Raum, der mit gespannten Messebesuchern und Journalisten vollgepackt war. Und zwar schon vor dem allerersten Ton. Nun lassen wir alle uns ja gern dominieren, wenn die Hauptdarstellerin nicht nur groß, sondern auch ansehnlich, ja sogar hübsch ist. Und das haben die Italiener ja drauf wie kaum wer sonst: elegante Formensprache, erquickliches Design, liebevolle Details – doch Moment, auf dem Gang vorhin musste ich an einem tonnenschweren Monsterverstärker vorbei schleichen, der mit schierer Größe (und einigem technischen Unverstand) niedrigste HiFi-Instinkte anspricht. Der stammt ebenfalls aus Italien.
Sei’s drum. Die frisch ondulierte Aida 2017 scheint ein wirklich toller Lautsprecher zu sein, der die geforderte Summe von rund 80000 Euro (pro Paar) sicherlich Wert ist. Wenn sie denn mal richtig herausgefordert wird. In Warschau jedenfalls wurde die große Schöne von ihrem Designer ohne einen Funken von Leidenschaft, beinahe schon gelangweilt vorgestellt, auch dank Powerpoint-Präsentation frei von Enthusiasmus. Passenderweise wollten dann die Demo-Tracks keineswegs alle auf Anhieb mit der vorzüglichen Audio-Research-Elektronik loslegen. Aber das war vielleicht sogar gut so, denn die Musikauswahl entlockte mir nach dem Holperstart schon nach wenigen Sekunden ein zartes Gähnen, das dann einfach nicht verschwinden wollte. Wie schaffen es eigentlich so viele Aussteller (und keineswegs nur Sonus Faber), dermaßen teure Musikmaschinen mit derart langweiligen Titeln immer wieder NICHT herauszufordern? Wer erwartet von einer übermannsgroßen Schallwandlerskulptur, dass sie ausschließlich undynamische Schnarchtitel abspielt? Ich jedenfalls nicht. Ich will von einem Vollwert-Lautsprecher bitteschön das volle Programm, vor allem auf einer SHOW!
Nun gut, die Schau fand glücklicherweise auch auf den Gängen des Stadions statt, Helmut Hack deutete ja schon leichte Verwirrungszustände an. Zahllose Messe-Hostessen in highendig „puristischer“ Kleiderwahl flanierten mit Flyern und Infomaterial herum und festigten unseren Eindruck, dass sich das Frauenbild in Polen möglicherweise vom westlichen Standard leicht unterscheidet. Unterfüttern ließ sich diese These allerdings auch von ganz anderen, nämlich „braven“ und offensichtlich audiophilen Frauen, die ihre männlichen Begleiter von einem Ausstellungsraum in den nächsten geleiteten. Von deren Gesprächen untereinander verstand ich natürlich ebenso wenig, wie einige Hostessen des Englischen mächtig waren. Aber das machte nichts, die allgemeine Stimmung war gut, gespannt auf Neuigkeiten und interessiert an guten Musikvorführungen. Oder doch nicht? Störend war, dass etliche Vorführungen von hemmungslosem Gequatsche untermalt wurden – oft genug sogar von den Ausstellern selbst. Das kapiere ich einfach nicht: Wenn es doch prinzipiell um den bestmöglichen Klang geht, wieso schraubt man dann ohne Not den Störgeräuschpegel selbst in die Höhe?
Angenehme Grundruhe herrschte hingegen bei Clearaudio, die gemeinsam mit Constellation Audio und Magico eine Anlage am Start hatten, deren Dynamik und Durchsetzungskraft, Klarheit und Stärke mich so nachhaltig begeisterte, dass ich ausgesprochen gern ein zweites Mal wiederkam und auch den Kollegen einen Besuch empfahl.
Den zweiten Ausstellungstag begann ich etwas unfreiwillig im Fahrstuhl des Hotels Sobieski. Der Lift war nämlich rund eine Minute länger als erwartet unterwegs, denn irgendwas stimmte mit der Steuerungslogik nicht. Das Problemchen wurde von einem der sechs Mitfahrer ganz souverän mit einer launigen Geschichte auf Englisch überbrückt. Der Erzähler, ein Mann im auffälligen, lila gestreiften Seidensakko, war Ken Ishiwata, der als Markenbotschafter von Marantz ganz grundsätzlich für aufmerksame Zuhörer zuständig ist. Später am Tag traf ich erneut auf „K.I.“, der nun auf offizieller Mission bei Marantz dozierte und wieder mal gute Musik im Gepäck hatte. Nach der eindrücklichen Performance mit dem Toplautsprecher von Q Acoustic habe ich ein paar seiner Demotracks notiert – ein untrügliches Zeichen, dass es mir dort auch klanglich gefallen hat.
Nicht zu notieren brauchte ich mir die beiden Tracks, die ich in den merkwürdigsten Situationen auf der Audio Video Show 2017 erlebte. Zum einen spielten ein paar übermotivierte High-End-Revoluzzer das knallharte „Killing In The Name Of“ zwar in thematisch dringend erforderlicher Lautstärke – allerdings über ein Pärchen Carmel vom Edelausstatter YG Acoustics. Der leicht überfordert wirkende Bassbereich sollte offenbar von einer superscharfen Video-Projektion kompensiert werden. Doch hier passte wirklich nix zusammen, gleichwohl brauchte ich bestimmt eine runde Minute, bis mir klar wurde, dass hier Audio (Rage Against The Machine) und Video (leichtbekleidete Models und rasante Supersportwagen) tatsächlich zwei verschiedene Baustellen waren, die mich nur zufällig gemeinsam verschlingen wollten. Wäre mit Jamiroquai bestimmt nicht passiert …
Sehr gut hingegen war das Zusammenspiel von insgesamt sechs (!) fein integrierten REL-Subwoofern und einem Pärchen Audiovector, befeuert von Chord Electronic. Das klang nicht nur im weiteren Sinne audiophil, sondern zugleich auch absolut handfest: Man läutete hier den Sonntagvormittag mit „Thunderstruck“ in wahrhaft würdiger Lautstärke ein, und wie ich richtig vermutete, auch in ehrenvollem Andenken an Malcolm Young, dem tags zuvor verstorbenen Riffmeister von AC/DC. Ergriffen verdrückte ich klammheimlich ein ziemlich dickes Tränchen und hob den Daumen für Power, Performance und musikalischem Respekt!
Nach dieser hart rockenden Morgenandacht nahm ich die überall auf der Show aufkeimenden Langweiler-Tracks (Eagles, Enya, SRV, Diana Krall, Dire Straits etc. pp.) gar nicht mehr als sooo störend wahr. Selbst der entsetzliche Italopop-Schmalz, der bei Pivetto Opera für rund dreißig Sekunden lautstark von den Membranen der Omnistrahler tropfte („länger halten die sowieso nicht durch“, so der süffisante Kommentar eines angrenzenden achselzuckenden Ausstellers), konnte mich nicht davon abhalten, weitere Highlights auf der Audio Video Show in Warschau zu entdecken.
Ordentlich angeschoben von Primare-Elektronik, erfreute ich mich gemeinsam mit dem neuen CEO von Audio Physic, Wolfgang Lücke, und Entwicklungschef Manfred Diestertich an einer runden, saftigen Klangvorstellung. Nicht nur Saft wurde ein paar Räume weiter ausgeschenkt; ein Gläschen Whisky-Cola musste es dort schon sein … Nur schnell weiter, denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch viele, viele Räume vor mir. Die übrigens auffällig häufig mit Komponenten von Hegel und Chord Electronic ausgestattet waren, mit Plattenspielern, die ich noch nie zuvor irgendwo sonst gesehen hatte (und in deren Nähe ich häufiger Helmut Hack erwischte, der gerade eingehend Details studierte) und mit Lautsprechern von PMC. Oder von Wilson Audio. Ein Pärchen der US-Schätzchen ließ sich sogar von winzigen Mytek-Monos an der kurzen Leine zu einer glanzvollen Performance hinreißen. Dorthin sollte ich bis zum Messeschluss am Sonntag noch drei Mal zurückkehren.
Zwischendurch schlenderte ich immer wieder an den versammelten Plattenverkäufern vorbei und kicherte mehrfach über den zauberhaft onomatopoetischen „Winylowa“-Stand in mich hinein. Ich beließ es dabei. Aus Gründen des Selbstschutzes (und auch wegen der Gepäckeinschränkungen bei der Lufthansa) beließ ich es beim Nichtstöbern und Portemonnaie-Nichtzücken. Lieber genoss ich wohlgeratenen Tannoy-Nachwuchs an Esoteric-Elektronik und schüttelte nachsichtig den väterlichen Kopf angesichts einer JBL-Spielwiese für Kiddies (die unter 16 übrigens freien Eintritt zur Messe bekommen und dies auch reichlich nutzten – sehr gut!) mit Rasen-Klangsport und einem orangenem Luftsessel, der so herrlich plakativ vor dem Stadioninneren parkte. Dafür klang es nebenan bei den großen JBL-Brüdern mit Mark-Levinson-Triebwerken dann umso besser, weil echt nachdrücklich.
Vom faszinierenden Stadion-Umlauf ging es dann per Shuttlebus wieder hinüber zu den beiden Hotels (Blu Radisson Sobieski und Tulip), wo nicht weniger Faszinierendes schon wartete. Zum Beispiel die immer wieder mitreißende Performance von Audio Note UK, die zur Abwechslung mal wieder die extrem farbstarken Endstufen Conqueror von der Leine an die hauseigene „E“-Klasse ließen – grandios!
Faszinierend auch die winzige Diapason Karis III, die Entwickler Alessandro Schiavi ebenfalls mit einer 8-Watt-Röhre antrieb, hier allerdings von EL84 erzeugt. Die kaum schuhkartongroße Vollholz-Schönheit bezauberte mich mit perfektem Voicing und superber Gesamtabstimmung. Für größere Pegel und tiefreichendere Bässe waren beispielsweise ganz erstaunliche Breitbänder von Davis an AVM zuständig. Oder verblüffende Kompaktlinge von Guru aus Schweden. Oder von Burchardt – nie zuvor gehört … Im Tulip-Hotel offenbarte zudem der „Lampizator“ seine großen Klangtalente, was bestimmt auch mit dem „Maustuning“ on top der angeschlossenen Lautsprecher zu tun hatte. War etwa auch hier eine Tonbandmaschine beteiligt? Ich weiß es nicht mehr so genau, es waren so viele auf der Messe im Einsatz.
Dafür blieben ein paar optische Highlights um so klarer in Erinnerung. Zum Beispiel ein kleiner Chord-DAC, der seine illuminierte Glaslinse von hinten durch eine selbstgebaute Holzwand mit Bullauge herzeigen musste. Das hatte schon was von Magischem Auge, nur in Neuzeit. Oder aber eine Art „Sankt-Pauli-Amp“ von Kostas Metaxas im Edel-Schädel-Design. Der Amp würde vermutlich auch auf dem Frickelfest für einiges Aufsehen sorgen, ist aber eigentlich schon zu schön, um wahr oder gar gut klingend zu sein …
Kurz vor Messeschluss am Sonntag entdeckte ich dann doch noch eine Sache, die ich eigentlich schon als „endlich erledigt“ abgehakt hatte: einen Phasendreher an einem einzelnen Lautsprecher! Diesen groben highendigen Fauxpas entdeckte ich bei einem durchaus renommierten Aussteller, dessen Performance ein internationaler Schreiberkollege beim spätabendlichen Kommunikationsbierchen für „herausragend“ erklärte. Nun denn, auch so muss Messe sein! Mein Fazit zur Audio Video Show in Warschau 2017? Großes Kompliment an den Veranstalter, Adam Mokrzycki, der es geschafft hat, das herrlich bunt gemischte Publikum mit klassischen HiFi-Themen und spektakulären Szenarien zu umgarnen. Diese Messe war dermaßen unterhaltsam und spannend, zudem aufregend zeitreisemäßig, dass FIDELITY im nächsten Jahr definitiv wiederkommen wird. Und zwar gerne!