Audio Note UK – Man muss doch nur hinhören
Eigentlich sollten Sie hier gar keine Geschichte sehen. Ende vergangenen Jahres reisten wir nach England, um uns mit Audio Notes neuen Field-Coil-Treibern zu beschäftigen – wir hatten uns zum A/B-Hören mit den konventionellen Chassis verabredet. Doch erst vor Ort erfuhren wir, dass serienreife Muster nicht rechtzeitig verfügbar waren. Beim Rundgang durch die in allen Aspekten außergewöhnliche Manufaktur entdeckten wir dann aber derart viel Aufregendes, dass wir einfach nicht um einen Bericht herumkamen. Typisch Audio Note eben …
Manchmal wird man mit Lösungen konfrontiert, deren Schlichtheit so erdrückend ist, dass man es kaum fassen mag. Oder anders: Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn plötzlich das Brett vorm Kopf verschwindet. Wir stehen in der Entwicklungsabteilung von Audio Note (UK) in Partridge Green, einem kleinen Örtchen knapp 20 Kilometer nördlich von Brighton. Es handelt sich um einen jener Räume, die man in keiner Marketingbroschüre findet: Überall Tische voller Platinen und Lötkolben, haufenweise Bastelvorrichtungen und Messgeräte. In jedem Winkel erspähen wir halbfertige Experimente, zerknüllte Folien sowie Berge kostbarer Bauteile, die beinahe mitleiderregend in Drahtgeflechte gelötet wurden, die irgendeine Art von Schaltung nachahmen. Der Staub auf vielen der Experimente offenbart, dass keine Putzfrau in diesen Teil des Gebäudes gelangt. Aus gutem Grund: Wir sind im Allerheiligsten, der Männerhöhle und sagenumwobenen Hexenküche der britischen HiFi-Tüftler.
Darko Greguras, neben Chefentwickler Andy Grove einer der Garanten für den exzellenten Klang des Unternehmens, ist gerade damit beschäftigt, den Prototyp eines D/A-Wandlers zum Leben zu erwecken. Der DAC ist diskret aufgebaut und besitzt keinen Wandler-Chip. Binäre Zahlenketten werden über ein komplexes Netzwerk aus Widerständen und Kondensatoren „so analog wie nur möglich“ in singenden Strom verwandelt. Übers Smartphone ist er mit seinem Programmierer verbunden, der Fernzugriff auf die Steuerplatine hat und an der Feinabstimmung werkelt. Hier muss wirklich alles sitzen, damit der filigrane DAC ohne Synchronisationsverlust funktioniert. Nach neuerlichem Tuning startet Greguras die Wiedergabe, und alles scheint zu klappen: Der DAC wandelt, das verbundene Oszilloskop zeigt einen sauberen Sinus – dann ein kurzer Dropout, ein weiterer Versatz und … der Signalfluss bricht zusammen. Wir können dabei zusehen, wie sich über dem Kopf des Entwicklers eine dunkle Wolke bildet. „Der Programmierer überprüft nochmal alle Parameter“, kommentiert er fatalistisch. Das könne einige Minuten dauern.
Für uns ein Glücksfall, denn so hat der Entwickler etwas Zeit, uns die Besonderheiten seiner Schöpfung zu erklären. Der DAC, so Greguras, sei ein mehr oder weniger offenes Experiment. Schon seit mehr als vier Jahren spiele er an Schaltungen herum, habe dabei alle Baugruppen in die Waagschale gelegt und jede bestehende Logik hinterfragt. Ursprünglich als lose Beschäftigung während des Lockdowns gedacht, hat das Projekt ein ungeahntes Potenzial entfaltet. Irgendwie hatten alle gehofft, dass es zur diesjährigen Messesaison (also spätestens im April) seinen Abschluss findet – doch wie wir gerade erlebt haben, ist das noch Wunschdenken. Wie genau der Wandler heißen soll und wo er sich preislich einordnet, kann Greguras nicht sagen. Doch da der „Neue“ selbst das bisherige Flaggschiff „Fifth Element“ übertreffen soll, ist der Kurs gesetzt: Wir sprechen von einem Wandler der Luxusklasse, dessen Logik sich dann aber schrittweise nach unten fortpflanzen soll. Allein, den akustischen Beweis seiner Klasse konnte er uns noch nicht erbringen.
Ein Aspekt habe ihn an allen Digitalschaltungen bislang besonders genervt, erklärt Darko weiter. Wandler benötigen zur Abbildung von Binärwerten zwei Spannungen: null und fünf Volt als Entsprechungen für die Werte null und eins beziehungsweise „Aus“ und „An“. Der Schaltvorgang respektive Spannungswechsel zwischen den Zuständen benötige Zeit, die das Ideal einer Pulswelle in ein leicht abgeflanktes Konstrukt verwandle. Daran kann auch der beste Tüftler nichts ändern. Das Timing gerät deshalb bei jedem Takt ein klein wenig aus den Fugen. Praktisch nebenbei sei ihm vor einigen Jahren aufgefallen, dass der Fehler vor allem im Festhalten an der 0-Volt/5-Volt-Doktrin liege. Die habe irgendwer irgendwann mal aus der Taufe gehoben – vermutlich ohne Kenntnis derartiger Details –, und seither findet man sie in jedem Wandler. Alles, was grundsätzlich erforderlich sei, sind jedoch die beiden unterscheidbaren Spannungswerte: Der neue AN-DAC arbeitet deshalb mit vier und fünf Volt, was den Schaltprozess deutlich beschleunige und die Flankenbildung beträchtlich minimiere. Das Ergebnis: Der Datenfluss wird hörbar musikalischer, wie uns der Entwickler berichtet. Wegen der Normabweichung gab es jedoch keine vorgefertigten Bauteile und -gruppen. Also mussten Greguras und sein Team alles von Grund auf neu entwerfen. Hausintern lief der Prototyp natürlich schon. Es gehe momentan „nur noch“ darum, Prozesse und Abläufe für eine stabile Serienfertigung zu finden. Und das erweise sich als Fass ohne Boden.
Während wir noch die Einfachheit der Lösung bestaunen, klingelt das Telefon – der Fehler sei gefunden, die Steuerung des Wandlers ist bereit für einen neuen Versuch. Greguras startet die Wiedergabe des CD-Transporters, und der Wandler zeichnet eine saubere Sinuswelle ins Oszilloskop … und läuft … und läuft … und läuft. Rein zufällig wurden wir Zeugen eines historischen AN-Moments. Greguras, sichtlich glücklich und gelöst, dürfte das abends mit einem kühlen Ale gewürdigt haben …
Auch abseits der Entwicklungsabteilung bot unser Besuch Premieren. Als Peter Qvortrup uns wenige Stunden zuvor am Gatwick Airport einsammelte, tat er das erstmals nicht als Geschäftsführer von Audio Note (UK). In einem fließenden Prozess hat er nämlich die Führung des Unternehmens, das er seit 1989 führte, in den vergangenen Jahren an seine Kinder Emily und Daniel übergeben sowie an seine Ehefrau Lesley, die sich schon seit den Gründungstagen um Verwaltung, Logistik und zahlreiche Aspekte der Geschäftsleitung kümmerte. Lediglich ein symbolisches Prozent habe er behalten, erklärt er während der Fahrt lachend, damit er ohne schlechtes Gewissen in die Zahlen sehen könne.
Kaum in der Firma angekommen, führt uns Daniel Qvortrup auch schon durch Audio Notes heilige Hallen. Gleich im ersten Raum staunen wir über zwei Exemplare des neuen Mono-Schlachtschiffs „The Legend“ DA 100, die für den Versand in ihren maßgefertigten, innen mit Filz ausgekleideten Holzkisten vorbereitet werden. „Moura Lympany“ heißen die beiden Exemplare – Geräte der gehobenen Klassen werden bei AN stets mit den Namen von Musikern individualisiert, in diesem Fall fiel die Wahl auf die Konzertpianistin. In ihrer Formsprache sind die beiden Schlachtschiffe kaum von Monos wie Ginrei oder Ongaku Shinguru zu unterscheiden. Oberflächen und Verarbeitung machen aber sofort deutlich, dass sie in einer eigenen Liga spielen.
Anschließend geht es weiter durch unzählbare Räume und Hallen, in denen verschiedene Aspekte der Vor- und Endfertigung abgewickelt werden. Getrennt sind die Säle durch eine Handvoll kleiner Lager, in denen Bauteile und ganze Baugruppen auf ihre Weiterverarbeitung warten. Schon auf den ersten Blick kann man die teils außergewöhnlichen Konstruktionsweisen der Briten erkennen. Wo bei anderen Herstellern Kupferkabel, Leiterbahnen und Standardbauteile vorherrschen, entdecken wir offene Flachleiter, eigenartig beschichtete Kondensatoren nach Hausrezeptur sowie ringförmige Geflechte aus Widerständen, die AN anstelle gekapselter Potis einsetzt.
Ein besonderer Fokus unserer Tour liegt dann auch auf zwei Räumen, in denen Kondensatoren und Transformatoren gewickelt werden. Zwar verwendet Audio Note (UK) hier und dort (etwa im günstigen Cobra) auch Standardbauteile, doch zählen die „Selbstgedrehten“ ab einer gewissen Geräteklasse zum guten Ton. Man kann die „Craftsmanship“ der Briten gar nicht hoch genug einschätzen: Für klangliche Konstanz zählt jeder Zehntelmillimeter. Entsprechend kostbar sind geschulte Mitarbeiter, denn nichts ersetzt deren jahre-, in manchen Fällen gar jahrzehntelange Erfahrung. Nach der Fertigung wird jedes Bauteil durchgemessen und klassifiziert. Dass wir keine Eimer mit Ausschuss entdecken, bestätigt die Trefferquote der Spezialisten. Anschließend wird alles in einem kleinen Lieferwagen verladen und um die Ecke in eine Garage gefahren. Hier lagert der leidenschaftliche Youngtimer-Freak Peter Qvortrup einen großen Teil seiner S-Klasse-Kollektion – fast ausnahmslos Sammlerstücke aus den Achtzigern, zu denen er lange Geschichten erzählen kann. In einer abgeschiedenen Ecke der Halle steht ein ausladender Vakuumofen. Die Bauteile werden in einer Wanne voll honigartiger Masse getaucht. Das anschließend erzeugte Vakuum zieht die letzten Lufteinschlüsse aus den hintersten Winkeln der Trafos und Elkos, der darauffolgende etwa einstündige „Backvorgang“ schließt die Fertigung ab.
Nach einem kurzen Lunch führt uns Peter Qvortrup eine Treppe hinauf ins teilweise ausgebaute Dachgeschoss der Manufaktur. Hier lagert der highfidele Staatsschatz Großbritanniens. Qvortrup sammelt seit Jahrzehnten Röhren, stöbert auf Gebrauchtmärkten, kaufte Restbestände schließender Fabriken oder vollständige Scheunensammlungen auf. Die gewaltige Kollektion zählt zehntausende Kolben und ist in drei Bereiche gegliedert: Sektion A (gesichtet und gemessen), B (ein bislang unsortiertes Chaos) und C (die ganz besonderen Schätze). C befindet sich in einem gesonderten Separee, gesichert durch eine massive Metalltür, für das neben einem Lageristen nur Peter den Schlüssel hat. Wir erspähen ganze Röhrensätze aus den 1910ern, Kartons voller sowjetischer Ersatzkolben aus der Zwischenkriegszeit sowie etliche Skurrilitäten.
Noch beeindruckender als die Röhren selbst ist, dass uns Peter zu beinahe jedem Kölbchen – und wir sprechen allein hier über einige Tausend – Geschichten erzählen kann. „Die sind von einem Sammler aus Chicago“. „Die hier habe ich nach einer CES in den Südstaaten eingesammelt“. „Wart ihr schon mal in Moskau, ich kenne da …“ Und so weiter.
Die Sichtung von Sektion B – hier lagert gewöhnliche NOS-Ware – birgt Arbeit für mehrere Jahre und erinnert an die Anfänge Qvortrups: Der ehemalige Mærsk-Manager verabschiedete sich Ende der Siebziger aus dem Logistikgeschäft, gründete zuerst einen HiFi-Laden in Kopenhagen (1978) und später seine Firma Audio Innovations (1984). Dort fertigte er zwar in erster Linie Röhrenverstärker, etablierte sich aber auch als „Parts“-Lieferant für Röhren und alles, was man zum Bau eines anständigen Vintage-Amps benötigt. Dieses Geschäft übernahm er dann auch in Audio Note (UK). Nicht umsonst firmiert das Unternehmen mit dem herrlich doppeldeutigen Slogan „Music’s Finest Conductor“. Auf der britischen Homepage werden die „Components“ derweil noch vor den HiFi-Geräten gelistet.
Später am Tag – wir wechselten zwischenzeitig von der Manufaktur in Peters heimischen Hörraum – gingen wir der Frage auf den Grund, was genau die Produkte der Briten so außergewöhnlich macht. Ich würde das nach langen Gesprächen und aufmerksamer Beobachtung des eloquenten Intellektuellen so zusammenfassen: Die Qvortrups (Sohn Daniel kommt da ganz nach dem Vater) haben die Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen. Es mag seltsam erscheinen, doch Sie würden nicht glauben, wie viele gestandene HiFi-Entwickler notorisch an Standards festhalten. Einerseits, weil man das schon immer so gemacht hat und andererseits, weil sie anders als die Überzeugungstäter bei Audio Note auch die Kosten im Blick haben müssen. Vermutlich unbewusst umgab sich Qvortrup mit einem ganzen Stab an Mitarbeitern, die – inklusive der beiden Entwickler – genauso ticken wie er. Fast noch wichtiger aber: Beide, Peter und Daniel, vergöttern Musik.
Ich weiß, ich weiß: Floskeln wie „aus Freude am Hören“ etc. sind in der Branche abgedroschen wie die Treppenstufen eines tausendjährigen Bauwerks. Wer Qvortrup einmal in Aktion erlebt hat, merkt aber schnell, wie anders dieser Mann funktioniert. Wir hören während unseres Aufenthalts klassische Konzertmitschnitte in Mono auf 1948er Schellack, Chansons und durchgeknallten Funk aus den Sechzigern, etwas Aphex Twin und harte Gitarrenriffs von Disturbed. Exzellent aufgenommene Klassik gefolgt von Punk, gefolgt von einem folkloristischen Gesangsduett, gefolgt von Industrial bei Keksen, Salami und einem kostbaren Whisky sind ziemlich normale Programmabläufe im Hause Qvortrup. Das Vater-Sohn-Duo scheint Genregrenzen überhaupt nicht zu kennen. Sobald sie die Play-Taste drücken, versinken sie im Takt, Raum und den Harmonien ihrer Tonträger. Man kann kaum anders als ihre „open-mindedness“ zu bewundern.
Freilich haben wir all das nicht auf irgendeiner Anlage erlebt. Peters Kette besteht aus einem farbenfrohen Mix an Prototypen. Völlig neu war für uns ein noch namenloser CD-Transporter mit Reibradantrieb. Das ist bislang einzigartig, nach unserer Hörsession müssen wir allerdings fragen, weshalb. Das Laufwerk funktioniert herausragend gut. Der CD-Transporter gehört als adäquater Zuspieler in den Dunstkreis des neuen D/A-Wandlers, der – wir kennen die Gründe – bei unserem Besuch würdig durch ein „Fifth Element“ vertreten wurde. Ein weiterer Gast in der Anlage führte uns dann doch noch zur ursprünglichen Intention der Reise zurück: Peter besitzt eine AN-E in wundervollem „Ltd.“-Furnier. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine Ldt., da hier ziemlich rumgeschraubt wurde: Beim Tiefmitteltöner haben wir es mit zwei Mustern des neuen Field-Coil-Treibers zu tun. Entsprechend abenteuerlich – Field Coils benötigen schließlich eine Versorgungsspannung – wirkt die aufwendige Verkabelung der Lautsprecher. Das wird in der Serie sicher anders aussehen. Die räumliche Abbildung und Tiefenstaffelung der Boxen ist jedoch schon jetzt phänomenal. Selbst die historischen Mono-Schellacks projizieren sie unbegreiflich plastisch und dreidimensional in den Raum. Tonale Färbungen bemerken wir mehr als deutlich, aber die liegen ausnahmslos am ausgefallenen Bestand von Peters Plattensammlung. Die Boxen bringen alles unbestechlich treu genauso herüber, wie es eingefangen wurde und sorgen mit ihrer Musikalität immer wieder für eine Gänsehaut. „Den Vergleich zu unseren normalen Chassis holen wir in eurem Hörraum nach“, verspricht uns Peter zum Abschied. Wir werden ihn daran erinnern!