Audio Note Tomei Kensei und M6 – Begehbare Musik
Mit Audio Note eckt man immer an. Bei irgendjemandem sicher. Auch das macht es so spannend, sich in den Vorverstärker Level 6 und die Endstufe Tomei Kensei einzuhören.
Fotografie: Ingo Schulz
Wenn man sich als hörender Schreiber oder schreibender Hörer mit Audio Note beschäftigt, hat man eigentlich schon verloren, bevor man die Finger hebt, um den ersten Buchstaben zu tippen. Denn in jedem Fall wird man es einigen Menschen nicht recht machen. Schreibt man vom schönen Klang, attestiert einem die Fraktion der technikorientierten Highender einen weitgehenden Verlust des Hörvermögens und vermutet eine obere Hörschwelle von bestenfalls zehn Kilohertz. Moniert man technische Aspekte der Wiedergabe, wird allen anderen klar, dass man die ganze Sache mit der Musik offensichtlich nicht verstanden habe und doch besser mit seinen drei bis vier Test-CDs in den fensterlosen Hörkeller verschwinden solle. Am besten für immer. Freut man sich über die Geräte, wird einem ob der beachtlichen Preisschilder industriehörige Kritiklosigkeit attestiert, moniert man die Preisgestaltung, macht man sich der kleingeistigen Neidhammeligkeit verdächtig, da man sich diese Geräte offensichtlich nicht leisten könne (stimmt!) und sie deshalb schlechtschreiben wolle.
Damit sind die Rahmenbedingungen gesteckt. Ich kann es nur falsch, falsch oder falsch machen und erfreue mich daher vollständiger Narrenfreiheit. Herrlich!
Schon ein paar Male habe mich mit Audio Note beschäftigen können. Einmal ging es um eine kleine Level-1-Anlage, die mir sehr gut gefiel, einmal hörte ich mich durch unterschiedliche Levels der AN-E-Lautsprecher, wobei mir die günstigen nicht wesentlich schlechter erschienen als ihre weitaus teureren Geschwister, was mir schon Schläge einbrachte. Und dann hörte ich einen Nachmittag lang den hauseigenen vierteiligen Über-CD-Player in adäquater AN-Umgebung, was für mich aus emotionaler Sicht immer noch einen einsamen Höhepunkt der CD-Wiedergabe darstellt (auch dafür gab es Ärger).
Eine eingehende Beschäftigung mit teureren Komponenten blieb bisher aus, und so war die Freude groß, als ein leibhaftiger Level-6-Vorverstärker (Level 6 Balanced Phono) und ein schwergewichtiger Endverstärker, der sündteure Tomei Kensei, angekündigt wurde. Beide Geräte, freilich meinen finanziellen Möglichkeiten weit entrückt, sind in der Audio-Note-Preisliste bestenfalls im Mittelfeld angesiedelt.
Wie gestaltet man nun eine solche Begegnung, um sie objektiv wirken zu lassen, um den Geräten und ihrem Hersteller gerecht zu werden und um Ihnen, liebe Leser, ein möglichst vollständiges Bild zu bieten? In dieser Situation bin ich folgendermaßen vorgegangen: Ich habe mich ausführlich mit dem deutschen Vertrieb Stefan Wörmer unterhalten, ein paar Fragen direkt mit Firmeninhaber Peter Qvortrup besprochen, anschließend beschlossen, dass mir beide für mein weiteres Leben trotz durchaus vorhandener Sympathie egal sind (ich lebe nicht vom Schreiben!) und ich daher offen und ehrlich über das schreibe, was ich beim Hören in zwei verschiedenen Räumen und an drei unterschiedlichen Lautsprechern erlebte. Egal, wer danach nicht mehr mit mir reden möchte: Hersteller, Vertrieb, Redaktion oder Leser. Wenn schon Narrenfreiheit, dann richtig.
Der erste Eindruck beim Auspacken der beiden Probanden ist nachhaltig: Aufgrund des Gewichts der Endstufe spüre ich Rücken und Hände noch ein paar Tage lang. Da einem aber im Falle eines Kaufs eine solche Anlage zu Hause installiert wird, ist das keine Kritik, sondern lediglich ein Punkt dieser Chronik.
In meinem Musikzimmer werden die beiden Verstärker untereinander mit einem beigelegten symmetrischen Audio-Note-Kabel verbunden, davor arbeitet mein treuer Mark Levinson ML 390s, die ersten Lautsprecher sind meine Sky-Audio Verdade. Zunächst eine kleine Warnung: Wenn Sie einmal solche Verstärker Probe hören möchten, sollten Sie darauf achten, dass die Exemplare ordentlich warm sind. Denn die Performance nach dem Einschalten hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Klang gute dreißig Minuten später zu tun. Woran das liegt, kann ich nicht sagen, allerdings habe ich in den gut 20 Jahren des Schreibens über HiFi noch keinen Verstärker erlebt, der so sensibel auf dieses Thema reagiert. Also sollen die beiden eine Weile arbeiten und sich dann erst präsentieren.
Zuerst spielt das Panocha Quartet frühe Streichquartette von Antonín Dvořák. Was ich höre, passt zunächst einmal in keines meiner üblichen Bewertungsraster. Ich könnte jetzt schlicht feststellen, dass die räumliche Definition der Schallereignisse etwas diffus erscheint, das Cello in den untersten Lagen bissiger sein könnte und mir die ganze Performance klangfarblich doch etwas sehr intensiv vorkommt. Haken hinter und durch. So leicht machen es mir die beiden Verstärker allerdings nicht, da mir die Musik zu interessant erscheint, um einfach weiterzuskippen. Das übliche schnelle Checken neuralgischer Stellen (hören, Meinung bilden und weiter zum nächsten Stück) greift nicht, ich bleibe dabei und höre weiter. Ich kann es gar nicht mal an bestimmten Aspekten festmachen, was mich gerade so fasziniert, die Aufgliederung in einzelne Disziplinen bei der Wiedergabe erscheint mir nicht zielführend. Ich höre weiter, lande bei Beethovens Quartetten mit dem Takács Quartet, Beethovens Klavierkonzerten mit Arturo Benedetti Michelangeli, Mozartopern mit René Jacobs, Strauss’ Salome mit Zubin Mehta, zum Schluss noch Parsifal mit Thielemann. Sie ahnen schon – es wurde eine sehr lange Nacht.
Sicherlich freuen Sie sich mit mir, erbauen sich an meiner Begeisterung, so recht nützlich ist Ihnen diese „Beschreibung“ allerdings nicht. Also startet nun der Versuch, eine exemplarisch geschlossene Darstellung in einzelne Punkte zu zergliedern, um sie beschreibbar und greifbar zu machen. Auch wenn dieses Zerpflücken am Wesen der Sache vorbeigeht.
Wird „technisch“ gehört, fallen mehrere Punkte auf. Zuerst hat die Musik über diese Anlage eine enorme Präsenz im Raum. Es fällt sehr schwer, sich ihr zu entziehen. Leises Easy Listening nebenher erscheint mir nicht recht möglich. Das passiert, indem die Musik räumlich sehr weit vorne abgebildet wird. Stimmen und Musiker kommen direkt auf einen zu, der tonmeisterliche Sicherheitsabstand entfällt. Einzelne Schallereignisse werden auch gerne etwas größer abgebildet, dabei nicht messerscharf umrissen, sondern mit einer Art „energievoll pulsierender Aura“ umgeben. Dass diese Formulierung höchst seltsam ist, weiß ich auch. Dennoch denke ich, dass Sie jetzt sehr genau wissen, was gemeint ist. Man wird nicht nur über die Existenz eines Tones und seine Beschaffenheit informiert, er scheint vielmehr zu leben.
Zudem – und das ist ein sehr besonderer Punkt – verfügt jeder Klang über eine Dreidimensionalität, eine Art Körper, eine räumliche Tiefe, die auch hinten definiert zu sein scheint. Daher ist ein gut aufgenommenes Streichquartett weniger wie ein klassischer Blick ins Studio zu erleben, sondern eher wie eine Performance im eigenen Wohnzimmer. Mit Schallquellen, um die man herumlaufen, die man von allen Seiten begutachten kann. Je komplexer die Musik wird, umso spektakulärer wird dieses Bild, bei Parsifal habe ich das Gefühl, durch einen musikalischen Garten wandern, mir diese Musik gleichsam erlaufen zu können.
Dazu der herrliche Fluss, zu dem diese Verstärker imstande sind, die energievoll zupackende und keinesfalls röhrig-plüschige Tongebung – nun haben Sie eine Idee, was mit diesen Verstärkern zu Hause passieren kann.
Für Peter Qvortrup ist dies das Ergebnis eines sehr geradlinigen, klaren und effizienten Konzepts, umgesetzt mit besten und – noch wichtiger – passenden Zutaten. Zentraler Punkt ist dabei der Einsatz der 211er-Triode in allen seinen „Top-End-Amplifiers“. Sie ermögliche ihnen, einen Verstärker mit minimaler Anzahl an Stufen und Korrekturschleifen bei gleichzeitiger akzeptabler Ausgangsleistung zu bauen. Eine 300B liefere weniger Leistung, eine stärkere 845 bringe zwar mehr Kraft mit, benötige aber eine Stufe mehr in der Aufbereitung der Signale, weshalb die Schaltung wieder komplexer und weniger „pure“ werde. Und genau diese konzeptionelle Einfachheit sei nötig, um einen möglichst unmittelbaren und reinen Klang zu erzeugen.
Mit im Bunde ist noch die Vorstufe Level 6, die den perfekten Partner darstellt. Denn wie der Tomei Kensei (Level 4) ist auch die M6 eigentlich ein Level-4-Produkt. Da China allerdings für Audio Note ein wichtiger Markt ist und dort die Vier als Unglückszahl gilt, habe man schlicht umgelabelt. Wenn Sie das jetzt schon unübersichtlich finden, haben Sie allerdings noch keinen Blick in eine vollständige Audio-Note-Preisliste geworfen – 184 Seiten!
Auch an anderen Lautsprechern laufen die Audio-Note-Gerätschaften in der eben beschriebenen Art. An den kleinen Spendor 3/5SE, eigentlich einem Mismatch, wie er noch nicht einmal mehr im Buche steht, vollbringen sie das Kunststück, die beiden Lautsprecher vollständig „verschwinden“ zu lassen, dabei eine Performance abzuliefern, die sich nun wirklich nicht mehr nach kleinen und geschlossenen Zweiwege-Böxchen anhört. Vergleichbar „groß“ und „unsichtbar“ klangen die kleinen BBC-Monitore bisher nur mit einer Gryphon Antileon und einer großen Pass-Stereoendstufe. Damit wäre auch ungefähr die Frage beantwortet, ob gerade einmal 20 Watt pro Kanal ausreichen. Rein rechnerisch braucht man mehr, um diese kleinen Wattvernichter in Schwung zu bringen. In der Praxis wanderten die beiden kanalgetrennten Lautstärkeregler nie über „zwölf Uhr“.
Sie sehen, ich rudere irgendwie herum. Denn einerseits leisten sich diese beiden Verstärker einige Eigenheiten, die angesichts des Kaufpreises zumindest schwierig wirken: klangliche Eigenheiten, die schon vom Weg der neutralen Mitte abweichen, kanalgetrennte Lautstärkeregler, die zwar gerastert sind, allerdings zur besseren Bedienbarkeit durchaus über eine Skala auf der Front verfügen dürften, ein offenes Röhrenensemble, für das kein Schutz vorgesehen ist und das somit ein Problem für Kinder und Haustiere darstellen könnte.
Andererseits liefert diese Kombi ein musikalisches Erlebnis, wie man es andernorts weder für Geld noch für gute Worte bekommt – wenn man diesen emotionalen Zugang zur Musik mag und es einem recht egal ist, wie viele Zentimeter das zweite Bratschenpult denn nun genau hinter dem ersten sitzt. Wenn es ausschließlich um das Erlebnis Musik geht, um einen Zauber, um Gänsehaut, um Sprachlosigkeit und das beste Argument, den Fernseher sofort zu verschrotten, kenne ich keine Alternative.
Wir meinen
Ist die „korrekte“ Darstellung der Konserve wichtig? AN sagt nein und schafft musikalische Erlebnisse, die sich im Gehirn festsetzen.
Info
Vorverstärker M6 Balanced
Eingänge: 3 x unsymmetrisch (Cinch), 1 x symmetrisch (XLR)
Ausgänge: 2 x unsymmetrisch (Cinch), 1 x symmetrisch (XLR)
Eingangsimpedanz: 100 kΩ Line, 47 kΩ Phono
Ausgangsimpedanz: < 10 Ω
Besonderheiten: kanalgetrennte Lautstärkeregelung, gerastert
Maße (B/H/T): 140/440/410 mm
Gewicht: 19,2 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 20 700 €
Endverstärker Tomei Kensai
Funktionsprinzip: SET-Design mit 211 Trioden
Ausgangsleistung: 2 x 20 W
Eingang: symmetrisch (XLR)
Ausgang: 1 Paar Polklemmen
Bestückung: 2 x 5R4WGB, 2 x 211, 2 x 6V6
Gewicht: 38 kg
Maße (B/H/T): 305/305/640 mm
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 52 000 €
Kontakt
Stefan Wörmer, Fair Audio Trade UG
Soltauer Straße 44
29646 Bispingen
Telefon +49 5194 5050599
Mitspieler
Plattenspieler: Transrotor Apollon TMD mit SME 5, SME 3012 u. a.
CD-Player: Mark Levinson No. 390s
DAC: Merging Technologies
Vollverstärker: Lavardin IT
Vorverstärker: Crane Song Avocet
Endverstärker: Digitalendstufe auf ICE Power basierend, Accuphase P-4200
Lautsprecher: FinkTeam Borg, Wilson Audio Sasha DAW, Spendor Classic 3/5, Sky-Audio 2.2 System
Kabel: AudioQuest, in-akustik, Vovox