Warum man beim Hören den Schnabel halten sollte, oder: alte Radios plaudern nichts aus
Illustration: Florian Schäfer
Seit einiger Zeit – um genau zu sein, seit der letzten HighEnd in München – mache ich mir ernsthafte Sorgen. Um HiFi. Und irgendwie um alles. Das ist sicher eine Alterserscheinung, denn ich gehe streng auf die 60 zu und mache mir deshalb Gedanken um Gesundheit, Schlaflosigkeit, Radioaktivität im Grüntee und meinen zunehmenden Ärger über dies und jenes, das zu verstehen ich mir nicht mehr die Mühe machen will.
Auf der HighEnd 2014 war es übrigens die Auto-Ausstellung, die mich ein wenig ratlos zurück ließ, zumal mein Interesse an gepimpten Verlängerern mit zehn Wummerbässen gen Null tendiert. Mit HiFi hat das Ganze ja ohnehin nix zu tun. Und falls ich Schlitten glotzen wollte, ginge ich in München zur Parkverbots-Zone vor Feinkost Käfer. Aber es ist ja inzwischen eine Weltmesse und es geht ja, zugegeben, in erster Linie um Männer. Und denen gibt man bekanntermaßen ein Balli, ein Autole, ein Bierchen und einen Grill. Und schon sind sie happy. Was die Werbestrategen auch genau wissen. Oder doch nicht? Denn dann würden sie im Prekariats-TV keine Spots senden, die aus unverständlichem Kauderwelsch plus Hungerhaken bestehen und aus denen irgendwann das Wort „Fragrance“ heraus purzelt. Aber das ist mir auch wurscht, denn ich gucke eh nix mehr …
Doch, einmal im Jahr das Apple-Event live. Danach falle ich enttäuscht ins Bett, weil statt des fest eingeplanten Wunders nur eine doofe Armbanduhr präsentiert wird, die meine Blutdruckwerte stante pede an die Krankenversicherung verhökert, damit die meinen Tarif erhöhen kann. Das sind meine Daten, verstanden! 140 zu 90 zu 2 (Bier). Dafür will ich Kohle sehen! Ich! Mal ganz abgesehen von der Gold-Variante dieses Pixel-Weckers! Meine Güte! Wahrscheinlich gibt’s demnächst Swarovski-iMacs. Für den chinesischen Markt. Das wäre unter Steve nie passiert! Niemals!
Es ist höchste Zeit, aus dem ganzen smarten Datensalat endgültig auszusteigen. Aber egal, mit der Privatsphäre ist es ohnehin vorbei. Woher, beispielsweise, hat Apple gewusst, was für ein wahnsinniger U2-Fan ich bin? Über die Downloads? Unmöglich. Keine Downloads, keine „Apps“, keine „Stores“. Ich kaufe ja auch kein Drücker-Abo an der Haustür. Nein. Oder, hm, ja, doch. Einmal: MP3. Warrior Dub, Michael Rose. 89 Cent. Und klang scheiße. Und zwar nicht wegen MP3. Aber daraus gleich auf U2 schließen? Allen Algorithmen zum Trotz: bisschen weit hergeholt. Also weiter Detektivarbeit … Genau, das muss es gewesen sein: Vor einiger Zeit hatte ich hier nämlich eine Endstufe mit Internet-Verbindung rumstehen. Oh, sorry, heutzutage nennt man das ja „Konnektivität“. Ich bin hoffnungslos von gestern. Obwohl mir von einem kalt lächelnden 14-jährigen Nerd strikt abgeraten wurde, das Netzwerkkabel tatsächlich zu stecken, habe ich Idiot es natürlich gemacht. Immerhin hieß es, die clevere Endstufe mit eigener IP-Adresse melde ihre Befindlichkeit an den Hersteller, indem sie automatisch eine E-Mail mit dem Fehlercode verschickt. Dachte ich zumindest. Aber klar, ein alter Röhren-Depp wie ich hat null Peilung von der Cleverness jener dickbebrillten Pizzamampfer, die so was programmieren. Wahrscheinlich ist mein komplettes Hörprogramm jenes Abends plus meine iTunes-Wiedergabeliste bei Google, bei Apple, beim Geheimdienst von Papua-Neuguinea und, schlimmer, beim Bayerischen Rundfunk gelandet. Damit die mich, falls ich hier noch mal Dorfvorsteher von der falschen Partei werden sollte, erpressen können. Anne-Sophie Mutter, Nightwish, altersgemäß Dire Straits und Yello, Heavyweight Dub, Vaya Con Dios, Heroes Del Silencio und ja, klar, U2 – das langt, um als perverse, rückständige, unangepasste linke Socke eingestuft zu werden. Oder sogar als Fleischfresser! Und jetzt weiß es jeder! Aber halt mal … U2 kostenlos? Kostenlos? Heutzutage? Unmöglich. Wir leben in einem neoliberalen Schweinekapitalismus. Da ist nichts kostenlos. Niemals. Also bleibt nur eine Möglichkeit: Die müssen bei mir derart wertvolle Zielgruppen-Daten abgegriffen haben, dass sie mir dafür unbedingt U2 schenken wollten! Und ich habe diese Datei auch noch geöffnet! Reingehört! Was U2 dabei im Hintergrund von meinem Mac gesaugt hat, wage ich mir gar nicht vorzustellen, ganz abgesehen von dem traumatischen U2-Erlebnis an sich. Das verfolgt mich noch lange!
Oder … es ist vielleicht noch viel, viel schlimmer: Womöglich hat die Endstufe auch alle Gespräche mitgehört! Und dieses Display … vielleicht hat das Ding sogar ein Video gezogen! Unterlegt mit meinen Klang-Kommentaren! Oh Schei … ! Jetzt bin ich bei dem Hersteller unten durch. Von denen krieg ich nie wieder was. Schon gar nicht bei dem Lautsprecher, den ich hier habe. Das wissen die jetzt auch. Aus ist es mit dem schönen Leben als Audio-Tester. Aber, egal, an sich wollte ich ja ohnehin aufhören. Nämlich dann, wenn mich der erste Röhrenverstärker vollquatscht. „Hey“, sagt das Ding dann, „da sind jetzt 535 Betriebsstunden auf meinen EL34, deshalb habe ich bei Shuguang nachbestellt, Premium-Klasse, klar? Wenn die E-Mail mit der Rechnung da ist, schicke ich Dir eine SMS.“
Diesen neumodischen Fehler, liebe Freunde, werde ich todsicher mit dem Vorschlaghammer reparieren, wertvolle Röhren hin oder her. Und dann ist wieder Radio angesagt. Telefunken 1930. Mono-Mittelwelle ohne Netz, ohne U2 und versorgt mit dem eigenen Haussenderlein. Und wenn die EU Röhrenverstärker demnächst verbietet, dann hau ich dem Ding zehn Stück KT88 als Booster obendrauf. Die können mich …