Gute Laune, schlechte Laune …oder die Nutzlosigkeit einer Sterbeurkunde
Eigentlich hatte ich es mir geschworen: mir selbst keinen Grund mehr zu liefern, mich zu ärgern. Immerhin schaffe ich es mittlerweile schon ein gutes halbes oder gar ein Dreivierteljahr. Und dann überkommt es mich doch wieder: Ich gucke in ein Forum. Sogar sozusagen manuell. Mit Suchfunktion. Denn die entsprechenden Lesezeichen im Browser habe ich schon vor langer, langer Zeit gelöscht. Das Ergebnis nach der Lektüre ist natürlich vorhersehbar – ich bekomme schlechte Laune. Und offenkundig bin ich nicht der einzige Betroffene. Anscheinend ist schlechte Laune inzwischen sehr weit verbreitet. Insbesondere bei aktiven und passiven Foren-Teilnehmern, die sich mit noch viel höherer Sicherheit schlechte Laune einfangen.
Seltsamkeiten
Das Seltsame dabei ist, dass man im normalen Leben gar nicht bemerkt, wie viele notorische Stänkerer, Provokateure, Lügner, Besserwisser und mental substanziell eingeschränkte Personen (vulgo: Deppen) eigentlich zugegen sind. Das liegt womöglich daran, dass man sich seine Gesprächspartner normalerweise selber aussuchen oder zumindest die Länge eines Gesprächs beeinflussen kann. Mit anderen Worten: Man kann gehen. In einem Forum ist das seltsamerweise nicht möglich, sogar dann, wenn man nicht anwesend, nicht angemeldet und damit praktisch inexistent ist. Selbst der jahrelange Rückzug auf eine einsame, internetlose Berghütte kann nichts und niemand vor einem Forum retten. Ich vermute, dass nicht einmal eine amtliche Sterbeurkunde vor einem Forum retten könnte. Abgesehen von erträglicher, weil schnell überwundener schlechter Laune richten Foren deshalb etwas viel Schlimmeres an: Man beginnt an der Menschheit zu verzweifeln.
Theorien
Theorien besagen, dass die erwähnte Gruppe (also Stänkerer, Provokateure, Lügner, Besserwisser und mental substanziell eingeschränkte Personen) höchstens fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen soll. Nach der Lektüre diverser, übrigens nicht nur HiFi-orientierter Foren behaupte ich: Diese Theorien sind falsch. Um den Glauben an gute, stilvolle, gebildete, wohlerzogene, ehrliche und verantwortungsvolle Mitmenschen nicht zu verlieren, muss man also davon ausgehen, dass sich der o. a. kleine Teil der Population vorzugsweise in Foren konzentriert. Und das wäre ja auch erklärbar, wenn man davon ausgeht, dass die anderen sozialen Kontakte solcher Menschen – den Ausdruck „Mitmenschen“ möchte ich jetzt ausnahmsweise nicht benutzen – gegen null tendieren müssen. Und es scheint mir eine eherne Gesetzmäßigkeit zu sein, dass früher oder später jedes einst als nützlich und nobel gedachte Forum jener Gruppierung anheim- und damit unter die Gürtellinie fällt. Ganz zu schweigen davon, dass sich die Teilnehmer offenbar förmlich danach sehnen, die Bekanntschaft von Rechtsanwälten zu machen.
Phänomene
Als es noch kein Internet gab, wurde das ganze Phänomen eher nur punktuell registriert, es handelte sich meist um zufällige Begegnungen, insbesondere telefonischer Natur, die man schnell und effektiv abkürzen konnte. In der Publikationslandschaft war man ebenfalls nur sehr selten mit solchen Erscheinungen konfrontiert; die einstmals zu Recht geltenden Regeln für jene, die sich öffentlich äußern konnten, verhinderten sehr zuverlässig schlechte Laune und führten meist zu zivilisierten Formen der Auseinandersetzung, die mit sachlich vorgetragenen Argumenten und Beweisen geführt werden musste.
Konfrontationen
Übrigens scheint sich ein großer Teil der Konfrontation in Foren um Dinge zu drehen, die der Mehrheit der „Gesprächs“-Teilnehmer nicht einmal ansatzweise bekannt sind, dabei wird außerdem behauptet, man befände sich im Besitz des fraglichen Gegenstandes! Auch Fachwissen ist eher nur sporadisch anzutreffen, üblicherweise dort, wo sich noch einer der wenigen freundlichen, gesitteten Charaktere uneigennützig und mit übermenschlicher Geduld um Aufklärung bemüht. Ich bewundere solche Akteure wie den letzten Tropfen Wasser in der Internet-Wüste, wohl wissend, dass der Kampf vergeblich ist, denn eine Renaissance scheint mir in weiter Ferne zu liegen, ja sogar ein Ding der Unmöglichkeit darzustellen. Denn dann müssten unsere Computer nochmals sehr viel klüger werden, so klug, dass sie den Deppen an der Tastatur sicher erkennen und ihm den guten Rat geben, sich nicht öffentlich zu blamieren und das Geschwafel doch lieber nur der Festplatte anzuvertrauen. Noch viel gescheitere, zudem unbegrenzt leidensfähige Computer wären gar in der Lage, mit solchen Usern zu kommunizieren, entweder mütterlich korrigierend („Jetzt hör doch mal gut zu …“) oder, noch viel besser, sie würden ein Forum komplett simulieren, noch dazu eines, in dem es keine Moderation gibt. Wie viel Aggressionspotenzial so praktisch unbemerkt abgebaut werden könnte! Der gesellschaftliche Nutzen solcher Software wäre so immens, dass man eigentlich Schulbuchverlage damit beauftragen sollte. Allerdings kommt mir mitunter der Verdacht, dass selbst die heiligen Hallen der Bildungseinrichtungen alles andere als deppenfrei sind.
Lösungen
Da bleibt nur übrig, auf eine Lösung zu hoffen, die inzwischen immer öfter vorexerziert wird. Das Zauberwort lautet: ignorieren. Genauso wie man ein schlechtes Buch einfach links liegen lassen oder eine Ramsch-Sendung schlicht wegzappen kann, lassen sich Foren durch Nichtbeachtung ausblenden. Sie verschwinden aus dem Leben und verblassen schließlich in eine Schattenwelt, deren unselige Existenz man zwar noch erahnt, mit der man aber nicht mehr konfrontiert ist. Irgendwann erledigt sich das Problem dann sprichwörtlich todsicher von selbst, denn die Veranstaltung, deren Teilnehmer sich natürlich gerne einreden, dass mitgelesen wird, existiert einzig und allein von Wahrnehmung und Teilhabe. Wird dieser Sauerstoff entzogen, sind Foren erledigt und können endlich auf dem Müllhaufen der Internet-Geschichte entsorgt werden, die von Irrtümern ohnehin nur so wimmelt. Den Speicherplatz würde man dann für Interessanteres freigeben, etwa Protokolle der Jahreshauptversammlungen von Kleingartenvereinen. Also kein verschmerzbarer Verlust, nein, vielmehr ein Riesengewinn. Vor allem an guter Laune.